Prof. Dr. Peter Rödler
Le Pen (Frankreich) und Wilders (Niederlande) ante portas, eine zwar in jüngster Zeit abnehmende aber immer noch starke AfD in Deutschland, nationalistische Regierungen in Polen und Ungarn, die die Verteilung von Flüchtlingen verhindern, der Brexit (im wesentlichen wegen der EU Freizügigkeit: größte Gruppe 750.000 Polen) und jetzt noch Trumps ‚let US be great again‘. Sind das ganz einfach allgemeine Auflösungserscheinungen, die die Hoffnung auf eine friedfertige, individualistisch-pluralistische Welt als naive Träume entlarven? Oder gibt es hier einen Zusammenhang, der erkannt werden kann und neue politische Optionen eröffnet?
Betrachten wir diese Zusammenstellung genauer, so ist festzustellen, dass hier in allen diesen genannten Vorgängen, von Populisten angeheizt‚ die Position einer großen – z.T. wahlentscheidenden – Gesellschaftsgruppe vernehmbar wird, die in den Jahren davor weitestgehend nicht vernehmbar war. Bei weiterer Analyse wird zudem klar, dass es genau die Bevölkerungsgruppen sind, die in den letzten 25 Jahren der ungebremsten Globalisierung die größten Verluste zu verzeichnen hatten. Dieses sind nicht alleine, Arme oder ‚bildungsferne‘ Schichten, sondern ist seit ca. zehn Jahren zunehmend und z.T. existenzbedrohlich auch die Mittelschicht.
So besaß schon 2007 das reichste eine Prozent der Bevölkerung Deutschlands 35,8 % aller Vermögen (vgl. Tabelle: Bach et al. 2011, S. 11). Neuere Daten liegen mir für Deutschland nicht vor, aber wenn man berücksichtigt, dass sich diese Entwicklung seit dem weltweit deutlich verschärft hat und Deutschland innerhalb dieser globalisierten Prozesse ja umfassend beteiligt war, kann man davon ausgehen, dass für Deutschland das gilt was heute über die Entwicklung der Verteilung des Weltvermögens gesagt wird: So zeigt eine Studie von OXFAM (2015) 2014, dass das obere eine Prozent der Weltbevölkerung 48 % des Weltvermögens besaß bei weiter deutlich steigender Tendenz, so dass für 2016 das überschreiten der 50 % Grenze vorausgesagt wurde (vgl.: S. 2) und das sich das Vermögen der reichsten 80 Menschen auf der Welt zwischen 2009 und 2014 verdoppelt hat und damit das Vermögen der unteren Hälfte der Weltbevölkerung 2014 überschreitet, wobei das Vermögen dieses Teils der Weltbevölkerung im selben Zeitraum deutlich abgenommen hatte (vgl.: S. 3).
Zusätzlich problematisch ist, dass diese Entwicklungen vorrangig von der Finanzwirtschaft befeuert wird und weniger von der realen Wirtschaft, von der die Mittelschicht lebt ausgeht. So zehren die niedrigen Zinsen die Ersparnisse der Menschen im realen Markt auf, während die Gewinne im Finanzbereich weiter laufen, wobei die Risiken, im Unterschied zur Realwirtschaft, zudem – ‚too big to fail‘ – über den Staat abgesichert werden.
Diese knappe Übersicht im Rahmen dieses Beitrags macht deutlich: hier existiert global eine gesellschaftliche Situation, in der die Rückwendung auf gewohnte überblickbare und scheinbar beherrschbare Handlungsräume (Nation, Volk, Ethnie) ebenso wie das Orientieren an ‚Führern‘ und ‚Führerinnen‘, die in der komplexen nicht beherrschbaren Situation einfache Lösungen verheißen oder so viel Macht repräsentieren, dass sie sich in der Situation als für ihre Anhänger handlungsfähig darstellen, naheliegend ja subjektiv geradezu vernünftig erscheint.
Ein weiterer Aspekt, der diese Situation zu dem verkompliziert und verschärft, ist die Kultur der Globalisierung: der Individualismus. Diese ‚Freiheit‘, die als Identität gelebt allein den Menschen zugänglich ist, die hierfür auch das kulturelle Kapital erwerben konnten – was ja wiederum über die Realisierung des Alltags hinaus gehendes ökonomisches Kapital erfordert –, d.h. dass sie sich eine autonome, gegenüber vielfältigen Anderen lebbare eigene Kultur aufbauen konnten. Für Menschen, denen dies aus den verschiedensten Gründen nicht möglich war, ist diese ‚Freiheit‘ nicht nutzbar und bedeutet im Gegenteil einen deutliche Drohung von Identitätsverlust. Auch dies begründet die Hinwendung zu ‚sicheren‘ säkularen (Volk, Heimat) oder religiösen Sinn verheißenden Werten. All dies wird von säkularen wie religiösen Populisten und Populistinnen leicht und zur Zeit ausgiebig ausgenutzt.
Gibt es einen Ausweg in dieser Situation? Mit der Beantwortung dieser Frage möchte ich in das Jahr der deutschen Wiedervereinigung 1989 zurückgehen. Mit dieser Vereinigung begann insbesondere durch den Putsch gegen Gorbatschow und die völlig chaotische Regierungszeit von Jelzin ab 1991, dessen Wahl massiv aus dem Westen unterstützt war, der Zusammenbruch der DDR. Dieses Geschehen wurde von dem Westen als das Scheitern des Kommunismus und aller sozialistischer ‚Träumereien‘ interpretiert, unabhängig davon ob in der DDR und der Sowjetunion überhaupt je ein Kommunismus existierte
War der Kapitalismus in der Zeit vor 1989 noch dazu gezwungen, mit dem behaupteten Kommunismus im Osten auch in sozialer Hinsicht konkurrent zu sein; der Spruch der Älteren gegenüber den linken Studenten 1968 „geh doch nach trüben, wenn es Dir hier nicht passt!“ zeigt dieses Bewusstsein auch der sozialen Überlegenheit des Kapitalismus der ‚sozialen Marktwirtschaft‘. Diese Konkurrenz, die dem Kapitalismus immer auch einen Rahmen setzte und den Gewerkschaften entsprechende Bedeutung verlieh fiel mit den Entwicklungen seit 1990 weg. Es entwickelte sich ein von allen sozialen Fesseln befreiter ‚Turbo-Kapitalismus‘.
Zwei Maßnahmen der Rot-Grünen-Regierung unter Schröder katapultierten Deutschland dabei in Europa an die Spitze dieser Entwicklung: die AGENDA 2010, die den Arbeitsmarkt deregulierte und die flächige Umwandlung des Niedriglohnsektors in prekäre Beschäftigungen beförderte einerseits und die Deregulierung des Finanzmarktes, die dem Finanzkapitalismus heute ein durch keine materiale Realität gebremstes Wachstum ermöglicht.
Diese Entwicklungen wurde allerdings auch dadurch ermöglicht, dass in diesem Szenario die These vom Scheitern des Sozialismus/Kommunismus mit äußerster Härte vertreten wird. Das ging so weit, dass mit Clement ein Politiker der eigenen Partei der SPD Politikerin Ypsilanti in der Woche vor einer erfolgsversprechenden Wahl ungestraft von der Parteiführung in den Rücken fiel und von der Wahl der SPD in Hessen abriet (!!!), um eine mögliche rot-rot-grüne Landesregierung zu verhindern.
Dieses Tabu gilt bis heute und verhindert, dass den im ersten Teil meines Textes genannten Gruppen auf der linken Seite eine auf einer gerechten Marktwirtschaft insistierende, demokratische, kulturell offene und dennoch verbindliche und verlässliche Heimat entstehen konnte. So stellt sich der von mir gedachte ‚Ausweg‘ in eben einer Wiedergewinnung des Anspruchs auf eine demokratische sozialistische Alternative dar.
Auf Grund der Macht der entstandenen kapitalistischen Strukturen wäre es dabei illusorisch diese Lösung nur national zu sehen. – Ich erinnere hier nur daran, welchen Wahlkampf der französische Präsident Holland ursprünglich führte und wie schnell er dann, bis zur heutigen Bedeutungslosigkeit hin, in die vorhandenen europäischen Spielregeln ‚assimiliert‘ wurde.
Eine echte Hilfe scheinen auf diesem Weg auf europäischer Ebene die Aktivitäten von DIEM25, einer vom ehemaligen Finanzminister von Griechenland Varoufakis gegründeten Vereinigung, zu sein, die sich europaweit für ein transparentes und demokratisches Europa einsetzt, um die vorhandenen Strukturen und Probleme erst einmal sichtbar zu machen, um diese dann im Sinne der Menschen zu lösen bzw. zu verändern.
Literaturverzeichnis
1 Bach, Stefan; Beznoska, Martin; Steiner, Viktor (2011): A Wealth Tax on the Rich to Bring down Public Debt? Revenue and Distributional Effects of a Capital Levy. Hg. v. DIW (SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research, 397). Online verfügbar unter http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.378111.de/ diw_sp0397.pdf (12.03.2017).
2 Hardoon, Deborah (2015): Wealth: Having it all and wanting more. Hg. v. OXFAM (OXFAM issue briefing, January 2015). Online verfügbar unter https://www.oxfam. org/sites/www.oxfam.org/files/file_attachments/ib-wealth-having-all-wanting-more-190115-en.pdf (12.03.2017).