Julie Hamann
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)
2016 hat die Unsicherheit wieder zu einem dominanten Gefühl im Umgang von Staaten miteinander gemacht. Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA und Großbritanniens Votum zum Austritt aus der EU sind politische Großereignisse, für die es keine Blaupause gibt. Sicher ist, dass sie das die globale Politik ganz entscheidend prägen und ändern werden. Für Frankreich und seine europäischen Partner ist dies vor allem aber auch ein Gelegenheitsfenster, das sich öffnet, um europäische Souveränität in entscheidenden Fragen wie Wirtschaftspolitik oder Sicherheit und Verteidigung zu stärken. Dies entspricht im Grunde Frankreichs langjähriger Forderung, Europa unabhängiger vom Schutz durch die USA zu machen. Doch erscheint Frankreich im Vorfeld des dort anstehenden Wechsels an der Spitze fähig und willens für eine solche Entwicklung? Welche Rolle könnte Frankreich nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in dieser sich ändernden Weltordnung spielen?
Mit Präsident de Gaulle begann eine Kontinuität in Frankreichs Außenpolitik, dessen Priorität die Erhaltung seiner strategischen Autonomie innerhalb eines Netzes internationaler Bündnisse war. Die europäische Integration mit der deutsch-französischen Versöhnung als ihre Basis sind dabei ebenso Pfeiler wie Frankreichs Sitz im UN-Sicherheitsrat und sein Status als Atommacht. Seit einigen Jahren ist diese Stabilität brüchig geworden. Innenpolitische Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit, die dauerschwache Wirtschaft und eine hohe Staatsverschuldung haben Frankreichs Handlungsfähigkeit in der internationalen Politik eingeschränkt. Die Erfahrung mehrerer schwerer terroristischer Anschläge hat die Frage nach Frankreichs Platz in der Welt mehr und mehr auf Terrorismusbekämpfung reduziert. Im Normandie-Format, in dem Frankreich, Deutschland, Russland und die Ukraine das Minsker Abkommen aushandelten, übernahm eher Deutschland als Frankreich den Part als treibende Kraft. Die UN-Klimakonferenz 2015 in Paris war eines der wenigen großen diplomatischen Projekte, bei denen Frankreich zuletzt erfolgreich seine wichtige Rolle als Vermittler und Mobilisierungskraft in einer multilateralen Staatengemeinschaft demonstriert hat. Auf Initiativen in der Europapolitik – auch gemeinsam mit Deutschland – konnte man dementsprechend zuletzt kaum zählen. Zwar haben Präsident François Hollande und Kanzlerin Angela Merkel mit ihren Amtskollegen aus Spanien und Italien kürzlich den Willen zu stärkerer Integration im Sinne eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten bekundet. Ähnliche Bemühungen gibt es in Bezug auf eine Vertiefung der Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik. Beides wird jedoch keine konkreten Formen annehmen, bevor nicht feststeht, welche Regierungen auf beiden Seiten des Rheins künftig nach den Wahlen zusammenarbeiten.
Im Wahlkampf spielt Frankreichs Rolle in der Welt eine untergeordnete Rolle. Dennoch zeichnen sich zwischen den Kandidaten sehr unterschiedliche Positionen ab was beispielsweise Handelspolitik, internationale Bündnisse wie die NATO, die Beziehungen zu Russland oder mögliche Wege aus dem Krieg in Syrien angeht. Für Marine Le Pen sollen Protektionismus im Stile Donald Trumps und „nationale Priorität“ Frankreich seine vermeintlich durch internationale Kooperation verloren gegangene Souveränität zurückgeben. Die NATO möchte sie verlassen; die EU ebenso – sofern ein Referendum sie in diesem Ziel bestätigt. François Fillon von den konservativen Les Républicains kritisiert insbesondere die Haltung der NATO gegenüber Russland und setzt auf die Zusammenarbeit mit Putin und Assad um den Krieg in Syrien zu beenden. Starke bilaterale Beziehungen mit Russland könnten dabei in Konflikt treten mit den Positionen der NATO-Bündnispartner. Der unabhängige Emmanuel Macron steht am deutlichsten für eine Stärkung multilateraler Strukturen und präsentiert die weitreichendsten Vorschläge zu einer vertieften EU-Verteidigungspolitik. Völlig abwesend aus dem politischen Diskurs ist derzeit die essentielle Frage der zukünftigen Beziehungen mit China, das nach Präsident Xis Plädoyer für Freihandel in Davos eine überraschende Wende in Reaktion auf Trumps Protektionismus in die Weltwirtschaft gebracht hat.
Zwei Szenarien zu Frankreichs zukünftiger Rolle in dieser Situation der sich wandelnden globalen Kräfteverhältnisse präsentieren sich derzeit: Zum einen könnte das derzeitige Momentum genutzt werden für lange notwendige, aber nie umgesetzte Schritte zu einer strategischen Autonomie der EU als Ganzes. Dafür muss ein zukünftiger französischer Präsident gemeinsam mit Partnern den politischen Willen an den Tag legen, Kompetenzen zu bündeln und Souveränität abzugeben. Zum anderen besteht die Gefahr, dass Frankreich dem derzeitigen Trend einer Abschottung folgt und sich aus einer aktiven Bündnispolitik herauszieht. Eine solche Entwicklung würde den globalen Umwälzungen eine weitere Komponente der Unsicherheit hinzufügen.