Die meisten Medien begreifen Trump nicht, weil sie keinen Begriff von der Gesellschaft haben. Aber die modernen und miteinander globalisiert verbundenen Gesellschaften befinden sich in einer Dynamik, die als Übergang vom Kapitalismus zu einer neuen Form des Feudalismus bezeichnet werden kann. Thomas Piketty hat in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ gezeigt, wie sich die Verteilung des Reichtums in den entwickelten Gesellschaften derjenigen des 18. und 19. Jahrhunderts annähert. Der digitalisierte Kapitalismus (Manuel Castells) lässt die demokratischen „Deformationen“ des 20. Jahrhunderts hinter sich und bezieht auch die aufstrebenden Gesellschaften in seine Dynamik mit ein. Nicht China ist reich, sondern die herrschende Clique. Doch nicht nur der Reichtum und die Armut verändern ihr Gesicht und die Gesellschaften, sondern auch die Kultur entledigt sich ihrer bürgergesellschaftlichen Fassaden und tritt roh als ordinäre Selbstbeweihräucherung der Herrschaft einerseits und als exquisite Stilisierung des Feinen der Wenigen andererseits hervor.
Die Irritation der meisten Medien, der Blick richtet sich lediglich auf die deutsche Szene, rührt aber zusätzlich daher, dass sie ihre Definitionsdominanz, die sie als vierte Gewalt unkontrolliert entwickelt haben, verlieren, weil ein demokratisch gewählter Herrscher zwar strukturell die Privatheit der Verfügungsgewalt über die Medien stabilisiert, inhaltlich aber sich von der „Wohlanständigkeit“ ihres und seines Selbstbildes verabschiedet. Hinzu kommt, dass die meisten „Qualitätsmedien“ in Deutschland der „US-amerikanischen Heuchelei“ (Stephen Mennell) über Frieden, Freiheit und Demokratie anhängen und als Vasallen des Imperiums seine Macht verteidigen. Sie stecken bei all ihrer Abneigung gegen den Stil des Imperators in dem Dilemma, dass sie über ihn berichten müssen und bei aller Ablehnung ihn und seine Handlungen immer bekannter machen und damit durch den Raum, den sie ihm einräumen, prominenter machen. Diesen Mechanismus hat Niklas Luhmann schon vor längerer Zeit analysiert, was aber nicht verhindert, dass in Deutschland beispielsweise die AfD mit jedem Furz, den einer ihrer Führer lässt, Themen und Beteiligungen an Talkshows bestimmt. Während der Stil Trumps verachtet wird, wird eine Politik, die sich in Bezug auf ihre Prioritäten nicht von der seiner Vorgänger unterscheidet, herbeigesehnt.
Mit Trump regiert das Kapital selbst, es benötigt nicht mehr einen „Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Kapitalistenklasse verwaltet“, wie Karl Marx und Friedrich Engels die Staatsgewalt bezeichnet haben. Die scheinbar großzügige Geste, dass Trump auf das übliche Gehalt eines amerikanischen Präsidenten (das ja ohnehin im Vergleich zu den Managereinkünften lächerlich gering ist) verzichtet, wurde bis heute eher anerkennend und nicht als Ausdruck der Verachtung gegenüber einem Einkommen aus den Steuergeldern des Volkes, das in irgendeiner begründbaren Relation zur Tätigkeit steht, bewertet. Die mit einer „Entlohnung“ üblicherweise verbundene Verbindlichkeit, die Tätigkeit auch als vertraglich geregelte Beziehung der Wechselseitigkeit zu verstehen, ist aufgekündigt. Das Land gehört dem Herrscher so wie einem Feudalherren. Der Herrscher sucht sich seine nächsten Lehnsherren und Bediensteten an der Wall Street aus, deren Lebenssinn ebenso lediglich am Profit orientiert ist.
Auch wenn die demokratischen und rechts- und sozialstaatlichen Bedingungen die Entfaltung des modernen Feudalismus noch hemmen, kann ein Blick in Wikipedia (!) mehr die gegenwärtigen Verhältnisse beleuchten als die Lektüre der common-sense-Literatur. „Eine idealtypische feudale Gesellschaft kann durch folgende Merkmale beschrieben werden: Ein Landesherr überlässt seinen militärischen Gefolgsleuten zu deren materieller Versorgung die Nutzung von Teilen seines Landes einschließlich der darauf befindlichen Bewohner. Das feodum ist ein zum Lehen (also ein im anfänglichen Grundprinzip nur zur Leihe) übertragenes beneficium, also eine Wohltat im Sinne eines Liegenschaftsvermögens, welches nach seiner Bodenbeschaffenheit sowie personellen Ausstattung (samt der damit einhergehenden baulichen und gerätschaftlichen Ausstattung) dazu geeignet und bestimmt ist, Erträge zum Unterhalt des Lehnsinhabers zu erwirtschaften. Im Anschluss an die Lehensgüter entwickeln sich mit der Zeit herrschaftliche und wirtschaftliche Gegebenheiten, die verrechtlicht werden und die den Personenkreis, der zur Landbewirtschaftung bestimmt ist (Bauern), von der gesellschaftlichen Organisationsgestaltung im Sinne einer staatlich-politischen Willensbildung ausschließen und gleichzeitig nach oben hin, zum obersten Landesherrn, der Entstehung einer geschlossenen Staatsverwaltung entgegenwirken“ – so weit Wikipedia. Die „Jobs“, die Trump besorgen wird, dienen der Akkumulation des Reichtums von einem Prozent der amerikanischen Bevölkerung. Und die mit „Jobs“ verbundenen Sozialleistungen können die demokratischen und sozialstaatlichen Leistungen des 20. Jahrhunderts, nämlich Sicherung einer freien Bildung, Versorgung im Krankheitsfall und im Alter, nicht erfüllen. Darauf hat Piketty nachdrücklich hingewiesen und argumentiert, dass diese Sicherungen zentral für demokratische Verhältnisse sind.
Die Kultur der Herrschaft hat sich in der Figur des narzisstischen Trump schon weit entfaltet. Die Präsentation im Kreis der Familie in dem berühmten CNN – Interview am 11.November 2016 (an diesem Tag beginnt die Kampagne der Mainzer Fastnacht) und der Einzug mit dem ganzen Clan nach der gewonnenen Wahl am 9.11.2016, als „Siegesrede“ medial verherrlicht, realisiert eine Protzigkeit, wie sie einmal Fürstbischöfe und französische Könige entfaltet hatten. Die Obszönität der Reden dient der Anbiederung an die rohe Kultur reduzierter Zivilität, die Pracht der Repräsentation, von den Medien ins Wunderbare gesteigert, suggeriert eine Teilnahme durch Anschauung an der Macht für das selbe Publikum. Viele Kommentare konzentrieren sich auf diesen doppelten Schein der Verkleidung der Macht, der Wandel der Teilhabe verbirgt sich ihnen. Welche Kultur der neue Feudalismus hervor bringt, kann man in Europa am Palast des Imperators Erdogan oder an dem im Stil einer Kathedrale (!) von Victor Urban gebauten Fußballstadion, einige Hundert Meter von seinem Geburtstaus entfernt errichtet, ablesen. Die Brosamen für das Volk werden verdeckt durch die Bewunderung der Herrschaftskultur.
Die Sozialdemokratie hatte dagegen Teilhabe verstanden als Teilhabe am materiellen Reichtum der Gesellschaft und der Verfügung über ihre Produktionsmittel für alle; jetzt reduziert sie die Teilhabe auf den Kern der Industriearbeiterschaft, der 45 Jahre lang ununterbrochen einen Arbeitsvertrag „besaß“. Die neue nationale Herrschaft versteht unter „sozial“ dann nur doch die Teilhabe durch Medienkonsum und das „Soziale“ der neuen Medien, die ein isoliertes Individuum voraussetzen, als Zugehörigkeit durch folgenloses Twittern. Die Kontrolle dieser Medien ist schon den Besitzern der Medien übertragen und noch nicht einmal mehr der Staatsgewalt zugänglich. Und für den großen Markt China stellen die Besitzer diensteifrig dem Staat die Kontrollmechanismen zur Verfügung.
Die „Kriege im 21. Jahrhundert“ (wie der von Rudolph Bauer herausgegebene Band betitelt ist) brauchen im US-amerikanischen Imperium keine weitere Modifikation. Sie sind schon in den vergangenen Jahrzehnten auf der Grundlage von Lug und Betrug entstanden und haben sich einen Kehricht um das Völkerrecht oder die Menschenrechte geschert. Für Europa gilt, dass diese feudalistisch-willkürliche Praxis mit dem Krieg gegen Serbien 1999 begonnen hat und nun als Aufrüstung gegen Russland und gegen die „Migrationsströme“ fortgesetzt wird. Wenn der industriell-militärische Komplex dem Präsidenten Trump erst einmal eingeredet hat, dass man mit Rüstung und Krieg Profit machen und „Jobs“ schaffen kann, dass auch das Niederrüsten im Kalten Krieg Profit einbringt, dann wird selbst die vermeintliche Sympathie für den russischen Präsidenten Putin schnell verdunsten.
Franz Hamburger