Philipp Mittnik
Der Vizekanzler der Republik Österreich, Heinz-Christian Strache, von der rechtsnationalistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) hatte in einem Interview mit der Tageszeitung „Kronen Zeitung“ am 28.04.2019 für internationales Aufsehen gesorgt. Er spricht davon, dass der „Bevölkerungsaustausch“ eine Realität sei und schließlich will man „ja keine Minderheit im eigenen Land werden“. Wenige Tage später, bei den 1. Mai Feierlichkeiten der FPÖ in Linz, wiederholte er diese Aussage immer in Zusammenhang mit der „schleichenden Islamisierung“ in Österreich.
Durch Straches Machtübernahme der FPÖ im Jahr 2005 wurde der Anteil von Funktionären, die auch Mitglieder in deutschnationalen und pflichtschlagenden Burschenschafter sind stetig höher. Dadurch kam es zu einer weiteren Radikalisierung der FPÖ nach der Obmannschaft von Jörg Haider. Burschenschaften und die (in Österreich sehr kleine) Identitäre Bewegung, können als die Träger des gegenwärtigen Rechtsextremismus in Österreich angesehen werden, wie es auch der österreichische Verfassungsschutz formulierte. Es gibt seit jeher eine große personelle und ideologische Schnittmenge zwischen diesen den oben genannten Burschenschaften und der FPÖ. In Bezug auf die Identitäre Bewegung gibt es zumindest eine ideologische Überschneidung.
Eines der Hauptziele der Identitären ist es den „großen Bevölkerungsaustausch“ zu verhindern. Von eben jener Gruppierung musste sich Vizekanzler Strache im April 2019, auf Aufforderung durch den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz distanzieren, nachdem bekannt wurde, dass der Attentäter vom neuseeländischen Christchurch, sowie einige FPÖ-Funktionäre Kontakt mit den Identitären hatten. Führende Funktionäre der FPÖ, wie z.B. der Grazer Vizebürgermeister Mario Eustacchio erklärte noch wenige Tage davor, dass er nicht wüsste, wovon er sich distanzieren sollte, denn alle Forderungen der Identitären würde er schließlich unterstützen. Strache musste trotzdem reagieren und tat dies beim oberösterreichischen Landesparteitag in dem er ausführte: „Wir wollen mit der Identitären Bewegung nichts zu tun haben.“ Wenige Tage später führt er diese Abgrenzung ad absurdum, da er den Begriff „Bevölkerungsaustausch“ einem zentralen Vokabular der Identitären in diesem Interview verwendete und dessen Gebrauch auch danach noch verteidigte.
Was ist mit diesem Begriff überhaupt gemeint und geht er tatsächlich auf einen rechtsextremen und/oder nationalsozialistischen Sprachgebrauch zurück? Begründet wurde der Begriff von Renaud Camus, dem ideologischen Vordenker des Front National (seit 2018 Rassemblement National). In seinem Buch „Le grand remplacement“ (Der große Austausch“) beklagt er den Identitäts- und Kulturverlust („déculturation“) Frankreichs aufgrund von Einwanderung. Dieses Buch wurde von der Neuen Rechten stark rezipiert und stellt die ideologische Grundlage für die völkisch orientierte ideologische Ausrichtung der Identitären dar. Es war nicht immer der Begriff des Bevölkerungsaustausches, sondern viele Jahre wurde der Begriff „Umvolkung“ von Vertretern der FPÖ verwendet. Generell scheint die FPÖ aber kein Problem mit der Verwendung von Begriffen zu haben, die mit der nationalsozialistischen Ideologie eindeutig in Zusammenhang stehen. So findet sich im aktuellen Programm der FPÖ folgender Satz: „Die überwiegende Mehrheit der Österreicher ist Teil der deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft.“ Österreich wird von einer Regierungspartei als Teil der deutschen Volksgemeinschaft beschrieben. Die Grundideologie, „nicht zur Minderheit im eigenen Land zu werden“ kann als ident beschrieben werden, der Unterschied ist nur, dass „Umvolkung“ eindeutig der NS-Rhetorik zuzuordnen ist. Auch wenn der Begriff bereits zuvor existierte, erreichte er Berühmtheit im Rahmen der nationalsozialistischen Volkstumspolitik. Er ist beim sogenannten Gewinn von „Lebensraum im Osten“ im politischen Diskurs der 1940er Jahre regelmäßig verwendet worden.
Franz Lafer (1989), Andreas Mölzer (1992), Johann Gudenus (2004), Karl Schnell (2013) und Johannes Hübner (2017), alles aktuelle und ehemalige FPÖ Spitzenfunktionäre verwendeten „Umvolkung“ als gezielt rassistischen und ausländerfeindlichen Begriff. Auf Grund der eindeutigen Konnotation versuchte die FPÖ diesen Begriff zu vermeiden und verwendete von nun an „Ethnomorphose.“ Abermals wurde nur das Wort geändert, die Bedeutung ist jedoch unverändert geblieben.
Aber nicht nur die Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut ist bei Teilen der FPÖ zu beobachten. Zentrale Aspekte des von Heitmeyer beschriebenen Konzepts der Gruppenbezogenen Menschfeindlichkeit (GMF) können als Grundlage der ideologischen Ausrichtung der FPÖ angesehen werden. Die Soziologen Zick und Klein führen 2014 an, dass neben Rassismus, auch Elemente wie Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Abwertung von AsylwerberInnen, Abwertung von Homosexuellen, aber auch Sexismus als konstituierende Merkmale der GMF angesehen werden können.
Strache behauptete im bereits zuvor angesprochenen Interview, dass „der Bevölkerungsaustausch“ eine Realität ist.“ Die Faktenorientierung die in jedem politischen Diskurs berücksichtigt werden sollte, spricht hier jedoch eindeutig eine andere Sprache. Der von der FPÖ intendierte „Bevölkerungsaustausch“ bezieht sich ja darauf, dass „die Muslime“ die Mehrheit in Österreichs zukünftiger Bevölkerung stellen. Eine Studie des österreichischen Integrationsfonds in Kooperation mit der österreichischen Akademie der Wissenschaften hat die Entwicklung der Konfessionen für Österreich bis in das Jahr 2046 berechnet. So soll der Anteil der Muslime in Österreich bei geringer Zuwanderung im Jahr 2046 bei 12%, bei einer realistischen Einschätzung bei 14% und bei einer Maximalannahme bei 21% liegen. Dies wäre selbst beim höchsten Wert nur ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung und es steht fest, dass „die ÖsterreicherInnen“ nicht die Minderheit im eigenen Land wären, so wie von Strache behauptet (ÖIF 2017, 15). Österreich muss sich vor allem mit dem Faktum abfinden ein Einwanderungsland zu sein. Genau diese Erkenntnis fehlt jedoch vielen PolitikerInnen der FPÖ. Im Winter 2018, rund um die Diskussion des Ausstiegs aus dem UN-Migrationspakt, stellte der Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) fest „Österreich ist kein Einwanderungsland“. Darauf reagierte unter anderem der Bildungsminister und ehemalige Universitätsprofessor mit dem Forschungsschwerpunkt Migration Heinz Faßmann (ÖVP) und widersprach offen seinem Koalitionspartner in dem er ausführte: „Österreich ist natürlich ein Einwanderungsland. Das lässt sich, wenn man auf die empirischen Fakten blickt, nicht bestreiten.
Es stellt sich nun die Frage, muss Österreich auch in der Zukunft ein Einwanderungsland sein? Eine Studie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften hat für Deutschland, Österreich und die Schweiz errechnet, dass die durchschnittliche Anzahl an Kindern in allen drei Staaten bei 1,4 je Frau liegt. Um den Bestand der Bevölkerung zu erhalten wäre eine durchschnittliche Kinderanzahl von 2,1 notwendig. Um die finanzielle Absicherung für das Gesundheitssystem, das Pensionssystem und die weiteren notwendigen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur (um nur drei Beispiele zu nennen) gewährleisten zu können, muss diese Differenz mit Zuwanderung ausgeglichen werden.
Der Zugang zum freiheitlichen „Bevölkerungsaustausch“ ist aber noch aus einer weiteren Perspektive einfach falsch. Im Jahr 2018 haben 6.656.000 Einwohner Österreichs laut Statistik Austria keinen Migrationshintergrund. Dies sind um 128.000, oder 1,4% gemessen an der Gesamtbevölkerung weniger als zehn Jahre zuvor. Der mit Abstand größte Anteil von MigrantInnen kommt aus der EU, insbesondere aus Deutschland, Rumänien und Ungarn, sowie den Nicht-EU Mitgliedsstaaten Serbien und Montenegro, alles keine „islamischen Staaten“. So kommt der Der Standard Redakteur Michael Matzenberger, in der Ausgabe vom 3.5.2019 zu dem Schluss, dass selbst „wenn sich der Trend der vergangenen zehn Jahre fortsetzen (würde), so würde es mehr als ein halbes Jahrtausend dauern, bis die heimische Bevölkerung ‚ausgetauscht‘ ist und vorwiegend Nachkommen von Jahrhunderten zuvor eingewanderten Deutschen, Rumänen und Serben die Ostalpen und ihre Ausläufer bevölkern.“
Jene Partei, die in ihrer ständigen Opfer(selbst)darstellung sich darüber beklagt „angepatzt“ oder ins „rechte Eck gestellt zu werden“ ist durch ihre Ideologie der Ungleichheit für eine Spaltung der österreichischen Gesellschaft zumindest mitverantwortlich. Zu behaupten, dass VertreterInnen dieser Partei, die Bedeutungen dieser Begriffe nicht kennen ist als absurd und nicht glaubwürdig anzusehen. Diese Thematik rund um die Verwendung des politisch unwidersprochen inkorrekten Begriffs des „Bevölkerungsaustausches“ muss in Zukunft auch von der Mitte der Gesellschaft als problematisch wahrgenommen werden. In der schulischen Politischen Bildung wäre es wünschenswert, wenn LehrerInnen dieses Thema in ihren Unterricht aufnehmen, um junge Menschen darüber zu informieren. Es kann nicht im Interesse Österreichs liegen, dass einerseits mit falschen Informationen politisches Kleingeld gemacht wird und andererseits jegliche politische Sensibilität im Umgang mit belasteten Begriffen fehlt.