Medien sind in ihrer großen Mehrzahl nationalstaatlich organisiert. Die Sprache setzt Grenzen. Grenzen weist aber auch die Perspektive auf, in der die Themen der Medien in nationalstaatlich verfassten Gesellschaften präsentiert werden. Auch wenn es teilweise kaum zu bemerken ist, bestimmt der ethnozentrisch gefärbte Blick die Wahrnehmung und Darstellung von Themen und Problemen. Die Medien sind Organe, wie eine Gesellschaft ihr Selbstverständnis artikuliert. Das ist in der Regel implizit und wird in Krisen explizit formuliert. Die Artikulation des Selbstverständnisses, und zwar des dominanten Selbstverständnisses, wird vor allem vorgenommen, wenn es darum geht, andere anzugreifen, vermeintliche Angriffe abzuwehren oder abweichende Meinungen im Inneren der Gesellschaft zu delegitimieren oder zu diskreditieren.
Öffentlichkeit kann als eine Arena verstanden werden, in der verschiedene Akteure auftreten bzw. in der Akteure vertreten werden. Die Arena wird strukturiert von Sprechern und Publikum. Zur Sprache kommt in diesem Forum, wer über Prestige verfügt oder wem Kompetenz zugeschrieben wird. Dies gilt für die verschiedenen Ebenen von Öffentlichkeit von der Encounter-Öffentlichkeit bis hin zu den Massenmedien. Der Zugang zu dieser letzten Ebene ist schmal und begehrt – der Kampf um Aufmerksamkeit ist ein Teil demokratischer Öffentlichkeit. Allerdings sind die Zugänge strukturell vermachtet. Deshalb sind Medien das Organ derer, die über Macht und/oder Geld verfügen, und derer, die sich Prestige und Kompetenz erworben haben. Beispielsweise sind die überregionalen Zeitungen und Journale in Deutschland, die eine besondere Definitionsmacht beanspruchen, Besitz einer Privatperson oder eines entsprechenden Konsortiums.
Die Massenmedien in Deutschland sind besonders strukturiert: den privaten Medien stehen die öffentlich-rechtlichen Anstalten gegenüber. Über diese Anstalten Macht auszuüben ist ein wichtiges Element der Strategie von Parteien. Faktisch regulieren die beiden bisher großen Parteien zusammen mit ihren Einflussagenten in den Rundfunkräten das durch diese Anstalten verbreitete Weltbild. Dieses Bild ist natürlich nicht einheitlich uniform, aber von seinen Größenordnungen her dominant: Minderheiten, besonders gesellschaftskritische Minderheiten kommen zu Wort, so lange sie das dominante Weltbild nicht ernsthaft stören. Gerade in Krisen oder in Phasen, die als Krise „hochgejubelt“ werden, wird dieses Verhältnis sichtbar und wichtig. Die Medien profitieren von jeder Krise, weil sie die Orientierungshilfen und die Problemlösungen versprechen. Die Massenmedien erwecken den Eindruck, dass es um die Existenz der Gesellschaft oder ein zentrales Gut der Gesellschaft geht, und können allein dadurch mit der dominanten Auffassung Loyalität erzeugen.
In den beiden Jahren der Corona-Pandemie war diese Struktur besonders ausgeprägt. Die Regierung konnte sich einer ausgewählten Gruppe von Experten bedienen, die auf ein Reservoir von Erkenntnissen zurückgreifen konnten, das gleichzeitig durch Entscheidungen der Regierung entstanden ist. So konnten Untersuchungen durchgeführt oder verhindert werden. Beispielweise gibt es auch im dritten Corona-Jahr nicht die Untersuchung, die sehr früh schon gefordert wurde, nämlich repräsentativ den Status der Bevölkerung in Hinsicht auf die Infektion mit dem Virus zu untersuchen. So könnten die erforderlichen Maßnahmen auf eine solide Datengrundlage gestützt werden. Doch die Dogmatisierung einer bestimmten Strategie hat nicht nur diese Studie verhindert, sondern auch bestimmte Begriffe mit einem Tabu belegt und abweichende Auffassungen entweder unkommentiert verklingen lassen oder diskreditiert.
Das Besondere der Corona-Jahre besteht darin, dass die wichtigsten Massenmedien auf vollständige Übereinstimmung mit der Regierungsstrategie geschaltet haben. Den Experten mit einer regierungskritischen Expertise stand der Druck und die Macht einer großen Koalition gegenüber. Die Debatten in den talk-shows des Fernsehens erzeugten überwiegend Konfusion. Die Bindung der zunehmend komplexer werdenden Verordnungen zur Regulierung an Kriterien, die auch nur vom staatlichen System kontrolliert werden konnten, erzeugten darüber hinaus einen Zustand der Desorientierung, der der Angst um das Leben und die Gesundheit uneingeschränkte Macht verleiht. Die Gesellschaft versank in Hysterie und Anomie, in der es sich ungestört regieren ließ.
Ähnlich entwickelte sich die öffentliche Meinung in Bezug auf den West-Ost-Konflikt. In einem zwanzigjährigen Prozess der Ausweitung der NATO bis an die Grenzen Russlands und der steten Durchsetzung eines aggressiven Bildes von Russland und seinem Präsidenten konnte schließlich Kriegsbereitschaft erzeugt werden. Auch wenn die Hauptakteure nicht mit Krieg rechnen, so ist der Kalte Krieg außerordentlich erfolgreich. Denn er zwingt zusammen mit der Ausdehnung der NATO Russland zu zweifellos völkerrechtswidrigen Abwehrmaßnahmen, um seine elementaren Bestandsvoraussetzungen zu wahren, und zu Rüstungsanstrengungen, die seine Bevölkerung ungleich mehr belasten als dies in den reichen Gesellschaften des Westens mit ihrer extremen Hochrüstung der Fall ist.
Bemerkenswert ist bei der Öffentlichkeitsstrategie der großen Tageszeitungen, von der FAZ bis zur taz, und der Journale, dass sie sich inzwischen so weit dem Weltbild der NATO, also des einzigen Militärbündnisses in der Welt mit 30 Mitgliedorganisationen, unterworfen haben, dass sie noch nicht einmal mehr nationale oder europäische Interessen im Blick haben. Sie definieren die Situation als einen Konflikt zwischen zwei Ländern, Russland und der Ukraine, und können so den NATO-Zusammenhang geschickt in den Hintergrund rücken. Dass aber die NATO, das wichtige Instrument des amerikanischen Imperialismus, mit ihrer Strategie der Ausdehnung den Konflikt hervorgebracht hat und mit der militärischen Unterstützung der Ukraine anheizt, kann ausgeblendet werden. Ebenso wird unterschlagen, dass die angespannte Situation in der Welt wesentlich dadurch hervorgerufen wurde, dass die USA wichtige Rüstungskontoll- und Abrüstungsverträge aufgekündigt haben.
Dies führt zu ganz merkwürdigen Konsequenzen. Das Verlangen Russlands, durch bindende Verträge eine Beruhigung der Situation zu erreichen, wird als „Unverschämtheit“ und als „Zumutung“ bezeichnet. Angeblich „pocht“ Russland darauf, dass die Ukraine nicht Mitglied der NATO wird. Würde dies nämlich durchgesetzt werden, geriete das europäische Gleichgewicht der Abschreckung gänzlich ins Wanken, weil die Kalküle Russlands, seine Sicherheit zu gewährleisten, unterlaufen würden. Wenn aber die binneneuropäischen Verhältnisse nicht mehr kalkulierbar sind, und durch den Aufbau von Abschussrampen für Raketen und Marschflugkörper im östlichen Europa sind sie schon unsicher geworden, sind die europäischen Länder, nicht die Vereinigten Staaten, einem erhöhten Kriegsrisiko ausgesetzt. Die Möglichkeit von Verträgen wird madig gemacht, wo sie doch das einzige Instrument der Konfliktreduzierung sind.
Die zweite Merkwürdigkeit besteht darin, dass die Medien mit den „Edelfedern“ die Regierungen anderer Staaten in Stellung bringen gegen die Bundesregierung. Die Schwurbeleien über „Bedenken“ anderer Regierungen, schön diffus ins Blatt gesetzt („das Misstrauen sei groß“, es gehe darum, „klare Kante“ zu zeigen) sollen das Gefühl der Unsicherheit in der eigenen Bevölkerung erzeugen, so dass sie dem „großen Spender“ der Sicherheit, den USA und der NATO, zujubelt. Es fehlen in diesem Stück keine der traditionellen Elemente, mit deren Hilfe eine aggressive Stimmung und Kriegsbereitschaft erzeugt werden kann. Selbst die Stimmen derer, die vor 30 Jahren in Mitteleuropa die deutsche Einigung und ein hohes Maß an Verständigung durch Diplomatie erreicht haben, zählt nichts mehr.
Die rhetorische Eskalation in den Medien, die Umkehr der Bedrohungsverhältnisse, die Diffamierung der Regierung, die Schwurbeleien über die Aggressivität Russlands seit 20 Jahren und das rasche Vergessen-lassen der Kriege des Westens bzw. der NATO-Mitglieder schaffen eine Bedrohungsangst und eine Fokussierung der Aggressivität, angesichts derer die Medien die heilbringende Botschaft verkünden: Es gibt Schutz unter dem militärischen Mantel des ganz großen Bruders. Und selbst das rationale Kalkül zu nationalen Interessen wird dem Herrn der Weltherrschaft geopfert, der in Weilerbach bei Kaiserslautern das größte amerikanische Krankenhaus außerhalb der USA aufbaut. Er wird wissen, warum.
Nachtrag
Die Zeitungen der „VRM Holding GmbH & Co. KG“ für das Rhein-Main-Gebiet und Mittelhessen veröffentlichten am 31.1.2022 eine Karikatur, in der ein großer hungriger Bär einen kleinen Menschen, mit der Aufschrift „UKR“ auf der Jacke, bedroht. Dieser ruft „Haalooo, Wer kann mir helfen?!!“ Im Vordergrund verstecken sich zwei Gestalten, leicht als Deutscher Michel und Kanzler Scholz erkennbar, hinter einem großen Buch mit der Aufschrift „Deutsche Geschichte 1933 – 1945“., das die Hälfte des Bildes einnimmt und den anscheinend bedrohten Menschen von Unterstützung durch Deutschland fernhält. Diese Karikatur setzt zwei Akzente: Die Ukraine scheint bedroht zu werden und hilflos zu sein; die Bedrohung der Ukraine durch Russland ist die wirksamste Erfindung der Nato, um ihre Macht ausdehnen zu können. Tatsächlich sucht Russland aus Gründen seiner Bedrohung durch die NATO nach einer vertraglichen Regelung, dass die Ukraine nicht Mitglied der NATO wird. Mit der Behauptung, dass die Ukraine angegriffen werde und die deutsche Regierung sich mit dem Hinweis auf den Nationalsozialismus von der militärischen Unterstützung der Ukraine zurückhalte, wird suggeriert, dass es sich um eine ähnliche Situation handle.
Die Karikatur wird mit dem Titel „Das Versteck“ gelabelt. Tatsächlich wäre Adolf Hitlers Spruch „Seit 5.45 wird zurückgeschossen“ angemessen, um die historische Perversität der Karikatur zu charakterisieren. Denn man kann nur noch zynisch kommentieren, dass damals schon Russland Deutschland angegriffen habe.
Jetzt ist es so weit, die Botschaft lautet: „Der Krieg ist vergessen, die Gräuel des Faschismus sind vergessen, die 27 Millionen Toten in Russland sind vergessen, zeigt klare Kante und nach dem Krieg können wir zu den Ursachen wieder heucheln und lügen. So wie wir Afghanistan die Demokratie gebracht haben.“