Im Herbst 2020 begannen einzelne Gerichte, unverhältnismäßige Corona-Maßnahmen wie Reise- und Beherbergungsverbote aufzuheben. Doch als die vom RKI gemeldeten Infektionszahlen wieder stiegen, richtete Bundeskanzlerin Angela Merkel am 17. Oktober 2020 einen dramatischen Appell an die Bevölkerung: „Wir sind jetzt in einer sehr ernsten Phase der Corona-Pandemie. Tag für Tag steigt die Zahl der Neuinfektionen sprunghaft. Die Pandemie breitet sich wieder rapide aus, schneller noch als vor einem halben Jahr. … Ich bitte Sie: Verzichten Sie auf jede Reise, die nicht wirklich zwingend notwendig ist, auf jede Feier, die nicht wirklich zwingend notwendig ist. Bitte bleiben Sie, wenn immer möglich, zu Hause, an Ihrem Wohnort.“ Merkel mahnte, wie der Winter verlaufe, „das entscheiden wir alle durch unser Handeln“. Es reiche nicht mehr aus, Abstand zu halten und Masken zu tragen, nun zähle jeder Tag: „Wir müssen jetzt noch weiter gehen. Die Wissenschaft sagt uns klar: Die Ausbreitung des Virus hängt direkt an der Zahl der Kontakte, der Begegnungen, die jeder von uns hat.“1
Merkel berief sich diesmal nicht auf den in die Kritik geratenen Christian Drosten, sondern auf den Physiker Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Er versuchte den künftigen Corona-Verlauf anhand der vom RKI gelieferten Zahlen mathematisch zu berechnen – eine umstrittene Methode.2 Meyer-Hermann war bis dato hauptsächlich dadurch in Erscheinung getreten, dass er schon im Frühjahr 2020 für schärfere Corona-Regeln eintrat. Am 24. Oktober wiederholte die Kanzlerin ihren Appell: „Das Gebot der Stunde heißt für uns alle: Kontakte reduzieren, viel weniger Menschen treffen. Wenn wir uns alle daran halten, werden wir alle zusammen die gewaltige Herausforderung auch bestehen.“3
Zwar forderten jetzt immer mehr Politiker eine legislative Kontrolle durch den Bundestag und die Länderparlamente, doch die rigiden Maßnahmen wurden nach wie vor von den Exekutivorganen angeordnet. Es traten strengere „Regeln“ mit schärferen Sanktionen in Kraft: Abstands-, Kontakt- und Hygienevorschriften, Maskenzwang auch auf der Straße, Sperrstunden, Reise- und Beherbergungsverbote. Ministerpräsidenten nahmen weitreichende Eingriffe in die Bürgerrechte weiterhin per Verordnungen vor.4 In mehreren Ortschaften in Bayern ordneten Bürgermeister Quarantäne an. Die Einhaltung der Verbote wurde von Polizei, Ordnungsämtern und Gesundheitsämtern streng überwacht, zur Nachverfolgung von Kontakten positiv Getesteter wurden bei den Gesundheitsämtern Soldaten der Bundeswehr eingesetzt, vereinzelt auch in Kindergärten.5
Aufschlussreich ist, was Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 25. Oktober 2020 zum World Health Summit der Weltgemeinschaft der Gesundheitsexperten virtuell mitzuteilen hatte. An den Bildschirmen hatten sich Mediziner, Unternehmer, Politiker, Vertreter internationaler Organisationen usw. versammelt. Die entscheidende Frage bleibe immer noch unbeantwortet, sagte der Bundespräsident: „Schaffen wir es wirklich, als Weltgemeinschaft zu handeln? Dazu bedarf es mehr als nur der Einsicht! Ich bin der Europäischen Kommission unter Frau von der Leyen und dem WHO-Exekutivdirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus sehr dankbar für ihre führende Rolle, eine solche globale Allianz zu schmieden. Ebenso dem französischen Staatspräsidenten und der Bundeskanzlerin für ihre starke Unterstützung, schon im Frühjahr, zu Beginn der Pandemie, jedenfalls die Weichen richtig zu stellen. Ich bin den 168 Regierungen dankbar, die sich bis heute dem sogenannten Access to COVID-19 Tools Accelerator (ACT-A) angeschlossen haben.“6
Der Bundespräsident bedankte sich bei den Ländern, Unternehmen und Stiftungen, die sich in der Covax-Initiative7 engagieren: „Covax ist unsere beste Chance, einen weltweit fairen, transparenten und bezahlbaren Zugang zu Impfstoffen, Medikamenten und Diagnostik zu organisieren. Bis Ende 2021 sollen so über neunzig Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen zwei Milliarden Impfdosen zur Verfügung gestellt werden.“
Steinmeier blickte auch in die Zukunft: „Der sogenannte ‚Impfstoffmoment‘, der uns im Falle erfolgreicher Forschung bevorsteht, ist – wer wüsste das nicht unter Ihnen – medizinisch und logistisch enorm komplex und herausfordernd. Überdies ist er auch politisch voller Risiken und eine Wegscheide. Es hängt von unserem Handeln heute ab, wie die Welt nach der Pandemie aussieht.“
Offensichtlich soll auch diese Zukunft von einer koordinierten Aktion gestaltet sein, was auf den vom Weltwirtschaftsforum propagierten Great Reset hinausliefe. Selbstverständlich ist Frank-Walter Steinmeier eingeweiht in diese Programmatik, ebenso wie Angela Merkel oder Ursula von der Leyen.
Offene Fragen
Ohne Zweifel sind bei der Einhegung der Covid-19-Epidemie sowohl Grundrechtsverstöße, Panikmache und Fehlinformationen wie auch ein überbordender Aktionismus der Bundesregierung und der Behörden zu registrieren. Geschürt durch willige Medien, war in weiten Bevölkerungskreisen so etwas wie eine Hysteriewelle entstanden, die nur sehr langsam wieder abebbte. Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen brachten fast stündlich Meldungen über Getestete, Infizierte und Verstorbene, aber wesentliche Fragen zu Covid-19 wurden nicht beantwortet. Stattdessen wurden von verschiedensten Stellen hastig unterschiedliche Maßnahmen angeordnet, von denen man nicht wusste, ob sie sinnvoll und zweckmäßig waren.
Ende November 2020 warnte der ehemalige stellvertretende Vorsitzende des vom Bundesgesundheitsminister berufenen Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Prof. Matthias Schrappe, in einem Interview vor einem „unendlichen Lockdown“. Es sei falsch, die Bevölkerung in Schrecken zu versetzen; der Hinweis auf Bergamo mache ihn fassungslos, weil das deutsche Gesundheitssystem nicht mit dem dortigen zu vergleichen sei.8
Zu konstatieren ist, dass die jährliche Sterberate in Deutschland bei durchschnittlich 2500 bis 2600 Toten pro Tag liegt, wie aus einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes vom 30. Dezember 2020 hervorgeht.9 Das wirft die Frage auf, ob die staatlichen Zwangsmaßnahmen, die aufgrund von zweifelhaften Inzidenzwerten und angeblich übermäßig hohen Sterbezahlen getroffen wurden, berechtigt und sinnvoll waren. Denn die Sterbezahlen lagen im Jahr 2020 zumeist unter 2500 pro Tag. Und der Inzidenzwert geht von der Anzahl positiv Getesteter pro 100 000 Einwohnern innerhalb einer Woche aus. Aber je mehr Testungen durchgeführt wurden, desto höher war die Anzahl der positiv Getesteten. Dabei blieb unberücksichtigt, dass positiv Getestete nicht unbedingt mit SARS-CoV-2 infiziert oder krank sind. Daraus ergeben sich ernsthafte Zweifel an dem allen Maßnahmen zugrunde gelegten Inzidenzwert und der Zweckdienlichkeit der staatlichen Zwangsmaßnahmen, wie auch überhaupt ihrer Verhältnismäßigkeit und damit ihrer Rechtmäßigkeit.
Grundlage
Auszug aus dem Buch „Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen“ von Wolfgang Bittner, Verlag zeitgeist, März 2021. Darin wird genauer auf die rechtlichen Voraussetzungen und die Begleitumstände der staatlichen Corona-Maßnahmen eingegangen.
- www.tagesschau.de/inland/rki-deutschland-fallzahlen-merkel-101.html ↩
- https://de.sputniknews.com/deutschland/20201017328203208-merkels-neuer-corona-experte/ ↩
- www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/mediathek/videos ↩
- www.merkur.de/bayern/corona-regeln-bayern-soeder-massnahmen-risikogebiet-pendler-oesterreich-zr-90078329.html ↩
- https://kenfm.de/was-macht-die-bundeswehr-im-kindergarten-von-bernhard-loyen/ ↩
- www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/10/201025-World-Health-Summit.html ↩
- www.forschung-und-lehre.de/politik/china-schliesst-sich-globaler-covax-impfstoff-initiative-an-3172/ ↩
- Bild-Zeitung, 25.11.2020. ↩
- www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/Tabellen/sonderauswertung-sterbefaelle-pdf.pdf?__blob=publicationFile, S. 28. ↩