Lâle Özışık | Hochschule Bielefeld
Die Geschichte Deutschlands kann man nicht einfach wegräumen! Mensch_ kann die hiesige Geschichte auch nicht mehr mit dem ,,Narrativ“ weiter reproduzieren, ohne die daraus resultierende Verantwortung zu übernehmen, damit ,,Auschwitz nicht noch einmal sei“ (Adorno, 1966: 88). Dafür bedarf es einer Änderung der Erinnerungskultur und der,, gewohnten“ Erzählstruktur. Jedoch hat meist ‘Erinnern’ mit Schuld zu tun und diese hindert Menschen_, sich mit der zu übernehmenden Verantwortung auseinander zu setzen. Wie können (alle) Menschen_ auch die nicht (,,deutsch“ gelesen werden) die eigene Haltung überprüfen und nachforschen, welche Informationen Ihnen selbst zum ,,eigenen“ historischen Kontext zur Verfügung stehen und inwieweit sie sich selbst in der Gesellschaft positionieren und vor allem ,, Menschlich bleiben“ (Prasad, 2017) können?
Die weiße Mehrheitsgesellschaft und somit die Privilegierten dethematisieren den Rassismus und wollen nicht erkennen, was es für die Gesellschaft_ bedeuten kann, im hier und jetzt und für die Zukunft aktiv zu sein oder zu werden und gemeinsam gegen Rassismus und Diskriminierung zu arbeiten, damit die Geschichte sich nicht wiederholt (vgl. Adorno, 1966).
Es ist die Aufarbeitung (Adorno, 1966: 10ff) der verantwortlichen Perspektive, jedoch nicht nur diese, sondern Mensch_ muss vor allem die Perspektive und die
, Sozialposition der Anderen einnehmen“- ,,Empathie und Offenheit für die Schwächen und die Verletzbarkeit der Anderen“ (Spivak in Dübgen, 2014 : 120) herstellen, von und zu den Menschen_ die Rassismus und Diskriminierung erfahren. Ihnen ,,Hilfe leisten“ (Melter, 2017) dessen Lebens- und Generationsgeschichte aufzuarbeiten. Mit dem Erinnern, welches zum einen rationell und zum anderen emotional geschehen kann, könnte eine in der Zukunft zu erwartenden ‘Explosion‘ , dass das Nicht-Sprechen über die Vergangenheit auslöst, vermieden werden.
Jedoch stellt sich die Frage, wer eigentlich von Wem und wie spricht? Wer wird gehört und wie werden die Sprecherpositionen besetzt? Laut Stuart Hall gibt der Westen noch den Ton an. „The west and the rest“ (Stuart Hall, 1992).
Das kann auch weiterhin so beobachtet werden, denn die Menschen, die gehört werden bzw. sprechen dürfen, werden noch explizit ausgewählt und das Gesprochene bzw. Mitgeteilte, wird dann noch einmal nach dem eigenen Verständnis rekonstruiert wie z.B. bei Interviews die in den hiesigen Zeitungen kommen, die zum Teil wirklich Journalisten beauftragen, die mit ihren Fragen und Denkanstößen stetig das Thema in eine bestimmte Richtung lenken wollen und zwar in die Richtung, in der Menschen mit Migrationshintergrund, ethnische Minderheiten, People of Colour, Schwarze, usw., die Schuldzuweisungen bzw. das Problem darstellen.
Wie kann also eine historische Genese nachgezeichnet werden, indem Mensch_ begreift, auch wenn diese nicht zu Kriegszeiten involviert war, dass Menschen_ die in diesem System (Europa), in dem Menschen_ in Privilegien reingeboren werden, die bestehenden Vorteile nutzen? Und es ist ausschlaggebend zu verstehen, dass dieses System eine Konstitution von Rassismus ist und Menschen_ die zur weißen Mehrheitsgesellschaft_ dazugehören diese Vorteile nutzen (Arndt, 2005). Diese und weitere Vorteile werden auch durch das immer wieder Herstellen von bestimmten Themen und das Aufrechterhalten des Systems reproduziert, um mit ,,Migrationspanik“ (Baumann, 2016: 7ff) eine gewisse Angst zu schüren. Wovor wird die Angst geschürt? Vielleicht, dass Mensch_ ,, im eigenen Land als Heimatlose behandelt“ ( Herero Aktivist, Kaunatjike , 22. Mai 2017, Bielefeld) werden, weil ein Blick in die deutsche Geschichte genau diese Tatsache aufzeigt, dass z.B. Hereros und Namas diese Situation durchmachen mussten. Die „Rasse“-Forschung im Kaiser Wilhelm Institut, die von Josef Mengele durchgeführt wurde, brachte eine Trennung in konstruierte Menschengruppen und die Herstellung einer ungleichen Wertigkeit zwischen weisen und Schwarzen Menschen, wobei letzteren weniger Wert zugewiesen wurde (vgl. Kaunatjike, 2017).
Diese Abwertung geschieht weiterhin auch durch verbale Äußerungen und immer wieder durch das Einsetzen der Sprache im alltäglichen Gebrauch.
Wer entscheidet wo, was und wie gesprochen werden kann? Wie kann davon ausgegangen werden, dass das, was gesagt wird, die breite Masse von den Menschen vertritt die von der Mehrheitsgesellschaft zu den anderen gemacht wird, ohne die betroffenen Menschen auf verschiedenen Ebenen wie z.B. in Institutionen oder dergleichen zu involvieren? Bei einem Stellenausschreiben zu Rassismus und Rechtsextremismus, wurde z.B. eine Bewerberin mit Migrationshintergrund trotz ihrer persönlichen und jahrelangen beruflichen Kompetenzen nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen, weil wie bei der erfolgten ersten Gerichtsverhandlung, seitens des Arbeitgebers öffentlich im Gerichtssaal und vor dem dort anwesenden Publikum geäußert, die ,,migrantische Sicht“ nicht erwünscht sei (Details siehe Blockbeitrag auf Entschieden gegen Rassismus Bielefeld (http://entschiedengegenrassismus.de/eine-subjektive-migrantische-perspektive-auf-ein-gerichtsverfahren-beobachtungen-zu-einem-gerichtsprozess-zu-einer-klage-nach-dem-allgemeinen-gleichbehandlungsgesetz-von-lale/). Wird durch die zugeschriebene ,,migrantische Sicht“ die Hegemoniale Strategie in Frage gestellt, weil letztere Sich als ,,neutral“ einstufen und für andere und im Namen anderer Sprechen?!
Wir müssen ständig an unserer eigenen Haltung, Einstellung und an unserem Handeln arbeiten, welche mit vielen Ebenen vor allem der Rassismus-Ebene verwoben und verstrickt ist. Daran zu arbeiten bedeutet, wir müssen ständig unser Wissen etc. überprüfen und erneuern. Dazu gehört eigene Denk- und/auch Handlungsgewohnheiten zu fokussieren.
Angst als universelles Begründungsmuster für die Legititmation von Diskriminierung und Tabuisierung kann in der Zeit der ,,Aufklärung“ und der Globalisierung nicht gelten gelassen werden, wo doch der Zugang zu Wissen gerade für Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft eher möglich ist.
In der Psychologie wird die Fremdheit als menschliche Existenz dargestellt, wobei in rassistischen Gesellschaften nicht die Differenz von allen Menschen fokussiert wird, sondern den ,,Anderen“ als ihr ,,Mangel“ zugeschrieben wird, anstatt sich in seinem Mensch sein zu reflektieren. Wo liegt der Fehler? An dem Menschen der zum ,,Anderen“ gemacht wird oder den Menschen, die sich nicht selbst ihrer inneren Auseinandersetzung stellen können/wollen, weil Ihnen gewisse Stärke und Reflektionsfähigkeit dahingehend fehlt und sie nicht bereit sind von ihrem ,,Kuchen“ abzugeben bzw. zu teilen?! Durch den Rassismus wird keine Parallele aufgezeigt, sondern es ist ein Instrument, dass zur Hierarchisierung eingesetzt wird (vgl. Hund ,2007, S.97), daher wäre nur eine Legitimation u.a. durch die Herstellung einer rassismuskritische Menschenrechtsbildung möglich.
Erikson spricht vom psychosozialen Moratorium, das ist eine Phase in der zwischen dem kalendarischen Erwachsen und dem inneren Erwachsen Werdens, genügend Zeit ,,besteht“ damit (junge) Menschen mit der konfrontierten Wirklichkeit in der Welt, in der sie einen anderen ,,Kindlicheren Umgang“ hatten, sich eine Verantwortungserweiterung entwickeln können (vgl. Gröning, 2017).
Den (jungen) Menschen Zeit lassen, weil es in der Zeit das Heranreifen dieses Menschen auch und hoffentlich die Möglichkeit gibt, sich eigene ethische Gedanken zu machen, die in einer rassismuskritischen Ethik und somit der möglichen Idee und Erweiterung der Menschenrechte münden kann. Die benannte Phase von Erikson des ,,psychosozialen Moratoriums“ könnte als Idee für Menschen generell transferiert werden, damit Menschen, die noch nicht diese innere Reife und Verantwortungsübernahme erlangt haben, diese erlangen könn(t)en.
Wir brauchen dazu nicht nur eine funktionierende Menschrechtserziehung, sondern eine Rassismus u. Diskriminierungskritische Menschenrechtsbildung-/ erziehung in der hinterfragt wird, wie die Vermittlung stattfindet (Melter, 2017), ,,… so einfach ist das…“ (Kaunatjike, 2017, Bielefeld), den die Dinge sind nicht so wie sie sind, fix und unveränderlich, sondern ganz im Gegenteil ,,wenn die Würde des Menschen unantastbar ist“ (BGB, Artikel 1, Absatz 1), dann ist anzuerkennen, dass ,,jeder Mensch das Recht auf Rechte“ hat (Arendt) und somit sich unter einer rassismuskritischen Menschenrechtsbildung und -erziehung jedem Menschen seine Wirklichkeit zusteht, denn wer möchte Menschen die heimatlos ,,nicht nur in der Praxis , sondern auch nach dem Gesetz ihrer Menschenrechte beraubt sind“ (Bauman, 2016: 18), ihrer Rechte berauben, weil das ,,ihnen ihre Menschliche Würde und den Rest der Selbstachtung zurückgibt, der Ihnen geblieben sein mag“ (ebd.).
Literatur
- Adorno, W. (1966): Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959 – 1969. In: Kadelbach, G. Suhrkamp Verlag. Frankfurt
- Arndt, S. (2005): Weißsein. Die verkannte Strukturkategorie Europas und Deutschlands. In: Eggers, M.M./ Kilomba, G./ Piesche, P./ Arndt, S. (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster
- Bauman, Z. (2016): Migrationspanik- wie man sie nutzt (und missbraucht). In ebd.: Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache. Suhrkamp Verlag. Berlin
Diskriminierungs- und Rassismuskritik in Sozialer Arbeit und Bildung. FH Bielefeld
- Dübgen, F. (2014): Was ist gerecht. Kennzeichen einer transnationalen solidarischen Politik. Campus Verlag. Frankfurt / New York.
- Gröning, K. (2017): Beratung im Kontext von Hochaltrigkeit und Familie, Universität Bielefeld
- Hall, St. (1992): The West and the rest: discourse and power. Polity Press in association with the Open University. England
- Hund, W.D. (2007): Rassimus. Transcript Verlag. Bielefeld.
- Kaunatjike, I. (2017): Ringvorlesung im Sommersemester 2017
- Melter, C. (2017): Die Kontinuität unterlassener Hilfeleistung gegenüber erlittenem Rassismus und nationalstaatlicher Diskriminierung. PoliTeknik Ausgabe 18
- Prasad, N. (2017): Menschlich bleiben. In: https://www.youtube.com/watch?v=Vv1jRu2GQmw (eingesehen: 13.02.2018)
[1] Ringvorlesung an der FH Bielefeld Kaunatjike (2017)