Prof. Dr. Michael Winkler
- Manchmal macht man sich unbeliebt – sogar bei sich selbst: Intuitiv neigt man dazu, die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens zu bejahen und zu unterstützen. Es gibt schließlich viele, gute Argumente, die für eine solche Form der Absicherung des menschlichen Lebens sprechen, allzumal wenn diese über die inzwischen üblich gewordene bloße Wahrung der einfachen Existenz hinausgeht. Immerhin muss man doch beides festhalten: Die zuletzt eingeführte, mit dem Begriff Hartz IV ironischerweise nach einem gerichtlich verurteilten Kriminellen benannte Grundsicherung soll erklärtermaßen nicht vor Not bewahren; es geht mit dieser – der Ausdruck fällt ein wenig schwer – Sozialgesetzgebung schon darum Druck auszuüben, Mobilität und Flexibilität von Menschen zu verlangen, die zuweilen eben nicht beliebig einem Arbeitsplatz hinterherfahren können – oft genug, weil diese einfach fehlen. Vor allem geht diese Grundsicherung mit bedrückenden und entwürdigenden Maßnahmen einher, mit Offenlegung der eigenen Existenz, Kontrolle und Disziplinierung, dass man sich schon wundern muss, wie dies in einer freiheitlichen Demokratie möglich sein kann – mal ganz abgesehen davon, dass all dies unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung eingeführt worden ist. Wobei: Historisch belehrt wird man eben dieser Sozialdemokratie immer ein wenig mit Skepsis gegenüber treten (man denke nur an Notstandsgesetze und Berufsverbote), von dem grünen Koalitionspartner ganz zu schweigen, der noch den sogenannten Liberalen den Schneid abkaufen könnte – Sozialdemokraten und Grüne haben in Deutschland schlicht das neoliberale Projekt durchgesetzt, das anderorts dann zunächst doch Konservative oder Republikaner erfordert hatte. Wobei: Colin Crouch hat gezeigt, wie etwa in England New Labour unter Tony Blair das „befremdliche Überleben des Neoliberalismus“ erst ermöglicht hat.
- Wie auch immer: Ein gesichertes Grundeinkommen würde für viele Menschen unbestreitbar eine massive Entlastung und vor allem einige Erleichterung im Leben nach sich ziehen, zunächst existenzielle Risiken und die Angst vor diesen mindern, dann aber auch Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen, die sonst weder wahrgenommen noch realisiert würden. Im Grunde könnte ein solches gesichertes Einkommen die Verfügung über das eigene Leben zurückgeben, Autonomie gewähren und Spielräume schaffen, die sowohl dem individuellen Subjekt wie der ganzen Gesellschaft aller Voraussicht ungeahnte Perspektiven eröffnen. Dabei gibt es wenig Grund zur Sorge, dass die Menschen kein Engagement mehr zeigen oder die Arbeit verweigern. Wenn es Lehren aus der Anthropologie, insbesondere aus der Evolutionsbiologie gibt, dann sind es die: Menschen wollen ihr Leben gestalten, organisieren sich in Kooperation und sozialen Kontexten, um nicht zuletzt die Rahmenbedingungen ihrer Existenz zu bestimmen. Dass es dabei immer Trittbrettfahrer gibt, die sich von anderen aushalten lassen, trifft zwar ebenfalls zu; aber sie bleiben immer in der Minderheit, werden meist geduldet, aber stören kaum die grundlegende Bereitschaft zu einer Tätigkeit, die man als Arbeit bezeichnen kann. Wobei man eine Hoffnung wohl aufgeben muss: Diese grundlegende Arbeitsbereitschaft, die eben auch durch ein gesichertes Grundeinkommen bewahrt bliebe, bedeutet noch lange nicht, dass eine nachhaltige, ökologisch verträgliche Form des Arbeitens eintritt. Eine solche Vernunft des humanen und guten Lebens muss selbst kollektiv erarbeitet und durchgesetzt werden – auch ökonomisch gesicherte Menschen brauchen ethische Maßstäbe für ihr Tun, doch fällt es vermutlich leichter, diese zu diskutieren und durchzusetzen, wenn man keine existenziellen Nachteile für sich befürchten muss.
Ein gesichertes Grundeinkommen bewahrt nicht nur vor den Abstürzen, die mit unerwarteten Unglücksfällen einhergehen; Arbeitslosigkeit birgt deutlich weniger Gefahren, allzumal in den Lebensphasen, die inzwischen mit erzwungener Beendigung der Lebensarbeitszeit einhergehen. Es hat Züge des Verlogenen, wenn politisch und in der Öffentlichkeit gefordert wird, dass ältere Menschen weiterhin berufstätig bleiben soll – die Unternehmen stellen zwar in ihren Hochglanzbroschüren so manchen älteren Arbeitsnehmer vor, nur stellen sie keinen ein. Das ist nicht mehr als ein ziemlich inszeniertes Theater. Mit einem gesicherten Grundeinkommen verliert diese Situation an – um es dramatisch zu formulieren – Lebensgefahr. Fast noch schwerer wiegen die auch finanziellen Einschränkungen, die in der Bewältigung eines gewissermaßen ganz normalen Alltags hingenommen werden. Vorrangig sind damit die intergenerativ aufgerufenen Leistungen gemeint, dann die Sorge für den Anderen. Menschen sind vor allem im Alltag vulnerabel, verletzbar, übrigens auch in einer Weise kränkbar, die sie aus der Lebensbahn wirft und buchstäblich existenziell gefährdet. Krankheit wirkt sich nämlich nicht nur für die unmittelbar Betroffenen aus, sondern berührt all diejenigen, die allzumal im familiären Umfeld tätig sind. Kinder zu versorgen, stellt vorgeblich keine große Herausforderung dar, weil doch umfassend Tagesbetreuung gesichert sei. Über den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung kann man sich selbst in nahezu jeder deutschen Großstadt ein Bild machen – erst recht übrigens in ländlichen Regionen. Vor allem: was tun, wenn ein Kind erkrankt oder behindert ist? Ein Grundeinkommen kann hier Entlastung bieten. Noch mehr übrigens im weitgehend tabuisierten Fall, nämlich bei der Erkrankung von Lebenspartnern oder bei der Versorgung der eigenen, hochaltrigen Eltern. Für viele bedeutet diese einen Abschied vom eigenen, sicheren Leben, übrigens auch die Preisgabe einer eigenen Beziehung. Eine Grundversorgung kann diese Fälle zumindest mildern.
Zugleich entsteht mit einem gesicherten Grundeinkommen die Möglichkeit, dass Menschen wieder mehr für das soziale Leben konkret und gemeinsam tun. Manche lästern ja über Vereine – für den Zusammenhang einer Gesellschaft und als Lernort sind sie jedoch von zentraler Bedeutung; es ist sicher kein Zufall, dass sie heute als Networking oder Initiativen dann doch in moderner Form weiter bestehen. Dabei wird meist übersehen, dass und wie Vereine zentrale infrastrukturelle Funktionen erfüllen. Als Beispiel seien nur die Freiwilligen Feuerwehren genannt, die mit einem gesicherten Grundeinkommen deutlich weniger Bestandssorgen hätten. Denn: längst sehen es die Unternehmen nicht mehr so gerne, wenn jemand wegen eines Einsatzes ausfällt. Wenigstens die Kostenfrage wäre so geklärt. Das gilt nicht minder für politische Aktivitäten. Nüchtern betrachtet kann also ein gesichertes Grundeinkommen einiges dazu beitragen, dass Gesellschaften eine höhere Lebensqualität entwickeln, somit tatsächlich sozial und kulturell vorangebracht werden. Es sind Experimente des Zusammenlebens möglich, die andernfalls mit individuellem oder sozialen Untergang verbunden wären – und das reicht noch viel weiter, der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt: Ein gesichertes Einkommen erlaubt, dass Menschen beispielsweise die historische Substanz von Dörfern oder Städten wieder rekonstruieren, sich vielleicht auf den Weg machen, Landschaften zu pflegen, wie das erst mancher Rentnerinitiative gelingt.
Kurz und gut: Ein gesichertes Mindesteinkommen könnte aus der Falle führen, in die eine Marktgesellschaft geraten ist, in der an Arbeit und Leistung nur stattfindet, was marktgängig und profitabel ist.
- Warum also meine Skepsis gegenüber der Debatte um das gesicherte Grundeinkommen, bzw. gegenüber diesem Vorschlag? Sie ist, zugegeben, ein wenig dogmatisch begründet: Mich irritiert zunehmend an vielen sozialpolitischen Debatten und auch an solchen der Bildungspolitik, wie wenig die gesellschaftlichen und – traditionell formuliert – die politisch-ökonomischen Kontexte berücksichtigt werden, für die Veränderungen propagiert werden. Das Dilemma besteht darin, dass die vorgetragenen Ideen, Vorschläge und Programmatiken einerseits gut klingen und meist ethisch sowie sozialphilosophisch begründet erscheinen; sie wirken – was auch immer das inzwischen heißen mag – fortschrittlich, tragen zur Zivilisierung oder gar zur Humanisierung bei. Andererseits jedoch bergen sie manche Tücken, wenn man sie in den Horizont einer kapitalistischen Gesellschaft stellt und vor diesem bedenkt. Ziemlich offensichtlich ist dies zuletzt dort geworden, wo Freiheit verhandelt und gefordert wird. Gegenüber allen Herrschaftsverhältnissen, gegenüber totalen oder totalisierenden Ordnungen wird sich kaum einer der Idee der Freiheit verweigern. Dennoch ist längst klar geworden, dass diese Idee zum Zynismus wird, wenn sichernde Bedingungen fehlen, übrigens auch rechtliche Regelungen, die es ermöglichen, Freiheit gegenüber Einschränkungen oder Verletzungen einzuklagen. Mehr noch: Freiheit ohne soziale Absicherung und ohne Wahrung von Gleichheit erweist sich als purer Zynismus, allzumal dann, wenn noch Verantwortung für Lebensbedingungen gefordert wird, auf die man keinen Einfluss hat.
Diese Kritik am Freiheitskonzept können inzwischen viele nachvollziehen, die sich im Sozialen Sektor engagieren. Deutlich lauter fällt hingegen der Widerspruch aus, wenn man Vorbehalte gegenüber dem Projekt der Inklusion erhebt. So erscheint es zwar auf den ersten Blick hoch plausibel, die Mechanismen der Ausgrenzung zu durchbrechen und allen Menschen die Teilhabe und Teilnahme sozialen, kulturellen und politischen Prozessen zu ermöglichen. Nach dem zweiten Blick muss man sich fragen, ob und wie weit es nicht doch um Praktiken des Einschlusses geht, die vernachlässigen, dass und wie es ganz unterschiedliche Formen des „Außenseins“ gibt; die mithin unterschiedliche Lebensformen vernachlässigen und drauf gerichtet sind, dass Menschen in eine Gesellschaft eingeschlossen werden, die im Kern allein als kapitalistisch organisierter Arbeitsmarkt sich erweist. (Mit dem fatalen Nebeneffekt, dass dann wiederum erneut ausgeschlossen wird, wer sich den Prinzipien dieses Arbeitsmarkts nicht fügen kann. Wer eben nicht hinreichend leistungsfähig ist.) Inklusion, das große Versprechen von Gleichheit und Individualität wird so zur Falle, weil und wenn nicht zugleich doch Infrastrukturen geschaffen werden, die für jene bereitgehalten werden, die Hilfe und Unterstützung bedürfen – und damit, gemessen an den Begründungsprinzipien der Inklusion Kategorisierung, Stigmatisierung und Ausschluss erleben.
Ein gesichertes Grundeinkommen kann also dazu beitragen, die soziale Integration zu wahren. In der Tat lässt sich kaum bestreiten, dass in allen modernen und Industriegesellschaften die Schere zwischen – in aller Vorsicht formuliert – geringeren und hohen Einkommen aufgeht. Da wird zwar viel herumgerechnet, mal bestritten, dass das durchschnittliche Einkommen die taugliche Messgröße sein, vom Medianeinkommen mal ganz abgesehen, manchmal sogar behauptet, dass Armut sich nur erfassen lassen, wenn weitere Angebote und Leistungen hinzugerechnet werden, die durch die öffentliche Hand bereitgestellt werden. Armut und Armutseinkommen dürfen demnach nicht individualisiert betrachtet und beurteilt werden – sagen dann meist diejenigen, die ansonsten fleißig dem Individualismus das Wort reden.
Bemerkenswert scheint schon, wie schnell sozusagen die Debatte um den spirit level erledigt war, die Wilkinson und Pickett mit ihrem Buch angeregt haben – oder, besser formuliert, eigentlich hätten anregen können. Fast noch mehr irritiert, dass und wie die Studie über die britische Klassengesellschaft in Deutschland überhaupt nicht rezipiert worden ist, die von Mike Savage u.a. vorgelegt worden ist, von so spannenden Diskussionsbeiträgen mal abgesehen wie Andrew Sayer’s „Why we can’t afford the Rich“. Die Befunde sind aber klar: es geht darum, wenigstens ein Mindestmaß an Gleichheit herzustellen, verbunden mit einer hinreichenden sozialen Sicherheit, sollen nicht die Gesellschaften in mehr oder weniger absehbarer Zeit auseinanderfliegen.
Nun kann man die Debatte um Ungleichheit radikal oder pragmatisch lesen:
Radikal wird man die Frage nach der Revolution stellen und deutlich machen, dass die heute gegebene Ungleichheit selbst zur Zerstörung der Gesellschaften führt – so nebenbei kann man sich tatsächlich im Sinne einer Grenznutzentheorie fragen, ob nicht am Ende eine Situation entsteht, die der des König Midas ähnelt. Wenn die wenigen Superreichen dann alles vergoldet haben, ersticken sie in ihren Münzbädern – um an Dagobert Duck zu erinnern. Vielleicht tritt dies nicht ein, gleichwohl können die Unterschiede ein solches Ausmaß erreichen, dass sie ziemlich unerträglich werden. Nicht minder radikal könnte man auch behaupten, dass ein gesichertes Grundeinkommen sozusagen ein halbes Versprechen größerer Gleichheit abgibt, um – ein wenig nüchtern betrachtet – die Menschen soweit bei Laune zu halten, dass sie nicht rebellisch werden. Zwar sind Revolutionen oder Revolten sogar eher unwahrscheinlich, wenn Menschen um das alltägliche Überleben kämpfen, zwar zeigt sich, dass Protest laut wird, entweder wenn Menschen aus ihren Positionen gedrängt werden, die sie als angestammt betrachten, obwohl sie objektiv inferior sind; der Platz in der Gesellschaft scheint manchmal wichtiger als die Verfügung über materielle Güter, die Bourdieusche Kapitaltheorie lässt sich sozusagen auch in den unteren Regionen der sozialen Welt anwenden. Ganz entscheidend scheint wohl, wenn Familienmitglieder, wenn insbesondere Kinder attackiert werden. Dann brechen doch Revolutionen aus, Menschen sind vielleicht doch archaischer strukturiert, als manche Soziologin uns glauben lassen will. Oder es entsteht Protest, wenn es Menschen besser geht, wenn sie fühlen, dass sie gesichert sind und über ihre Verhältnisse nachdenken können – so gesehen spräche ja doch einiges für das Grundeinkommen.
Die pragmatische Interpretation, zu der auch Wilkinson und Pickett tendieren, empfiehlt Realismus. Realismus bedeutet, dass man Ungleichheit nicht völlig beseitigen, aber auf ein Maß reduzieren kann, in welchem die übergroße Mehrzahl der Menschen ein Leben zu führen vermag, das ihnen einigermaßen erträglich erscheint. Sie werden dann zwar vielleicht gelegentlich protestieren, dennoch eher gelassen ein Leben führen wollen, das sie als sinnvoll oder erfüllt betrachten. Wenn Menschen sich keine existenziellen Sorgen machen müssen, richten sich ihre Interessen auf Aktivitäten und Sachverhalte, die nach der Theorie des homo oeconomicus als banal und trivial erscheinen – zuletzt hat beispielsweise eine Untersuchung für Aufsehen gesorgt, nach der junge Eltern mit gutem Einkommen dieses nicht mehr mehren wollten, sondern ihre Zeit lieber mit den eigenen Kindern verbrachten. Die Forscher waren etwas erstaunt, weil ihre Hypothese widerlegt wurde, nach der Menschen vor allem auf Einkommenssteigerung aus sind. Menschen wissen wohl um den Preis, den sie für solche materiellen Gewinne zu zahlen haben; erscheint scheint, dass sie einfacher gestrickt sind, nämlich das soziale und familiären Wohlergehen in den Vordergrund stellen.
All das spricht also erneut für das garantierte Mindesteinkommen; immerhin taugt es selbst als Herrschaftstechnik und zum Machterhalt taugt. Boshaft formuliert: Sogar die Klassengesellschaft profitiert von ihm. Und dennoch bleibt die Mahnung, dass dem Kapitalismus bislang noch immer gelungen ist, alles für sich zu vereinnahmen, den Protest ebenso, die gegen ihn gerichtete Kunst und Theorie, am Ende eben auch sozialpolitische Programme und Maßnahmen, von denen manche hoffen, dass sie zu einer neuen Gesellschaftsordnung führen. Zugegeben, ein wenig platt formuliert: Was im gesellschaftlichen System erfunden wird, wird am Ende in dieses dann auch eingebaut:
So wird das garantierte Mindesteinkommen vielleicht dem Leben der Menschen Entlastung geben und ihnen erleichtern, die Krisen des Alltags zu bewältigen. Im Ergebnis aber dient es nicht nur dem Erhalt dieser Gesellschaftsordnung, sondern stellt für es eine Funktionssteigerung dar, die ihrerseits dann doch wieder zu Lasten der Menschen geht – übrigens nicht nur, weil diese dann eben pazifiert sind, auf Aufruhr, Protest oder Rebellion verzichten.
- Welche Szenarien lassen sich mithin als dunkle Seiten des garantierten Mindesteinkommens denken? Die Grundfunktion liegt wohl darin, dass es die Disponibilität und insofern Flexibilität der menschlichen Arbeitskraft erhöht. Schon immer tendierten sozialpolitische Maßnahmen und Angebote dazu, strukturelle Krisen der Produktion zu mindern, indem Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt genommen wurden; häufig genug wurde dies damit verbunden, auf Kosten der Gesellschaft von Steuerzahlern die Arbeitskräfte etwa durch Qualifikationsmaßnahmen an veränderte Produktionsbedingungen anzupassen. Die Unternehmen leisteten das selbst nur bedingt, von einer eigenen Absicherung ihrer Mitarbeiter haben sie sich weit entfernt, obwohl dies in der Geschichte des Kapitals nicht ungewöhnlich war; bei Krupp war das möglich. Mit dem gesicherten Grundeinkommen gewinnt das Kapital eine sichere Verfügung über die Arbeitskräfte. Ohne Legitimationsverluste befürchten zu müssen, werden diese bedarfsabhängig freigestellt oder wieder angeheuert. Leben mit garantiertem Mindesteinkommen bedeutet also: Arbeit auf Abruf: Man verfügt über ein Mindesteinkommen, das soziale und kulturelle Sicherheit gewährt, das hoch genug ist, um nicht die gefährlichen Folgen hervorzurufen, die bei Arbeitslosigkeit und Mindesteinkommen dann doch kaum zu vermeiden sind, nämlich gesundheitliche, allzumal psychische Beeinträchtigungen, Motivationsverlust und Depression, von körperlichen Einschränkungen abgesehen. Man kann gut leben, erfährt keine Einschränkung – und wenn nur soweit, dass man sich der gefährdenden Aktivitäten und Stoffe enthält. Das Mindesteinkommen schafft genügend Spielraum zur Selbstachtung und Selbstbewahrung, es wirkt schon ein wenig wie die berühmte Karotte, die dem Esel vor das Maul gehängt wird.
Dann also: Wer vom gesicherten Grundeinkommen spricht, muss sich darüber im Klaren sein, dass die kapitalistisch organisierte Produktion immer auf Rationalisierungsgewinne setzt. Sie macht menschliche Arbeit systematisch überflüssig – und diese Tendenz wird sich künftig sogar verstärken, zumal die Krisenphänomene zunehmen. Automatisierung setzt sich durch, die gewiss übersteigerten Fantasien von ziemlich wildgewordenen – um sehr bewusst diesen Ausdruck zu wählen – IT-Fuzzies erzählen von einer Industrie 4.0, die sich am Ende digital selbst steuernd übersteigert, während die Menschen noch im Modus Menschheit 2.0 dahin dümpeln. Schon vor einem halben Jahrhundert hat Günther Anders diese Situation als Antiquiertheit des Menschen beschrieben – gegenwärtig läuft die Entwicklung zumindest darauf hin, dass die Menschen tendenziell überflüssig werden. Selbst die Klagen der Unternehmen über den vermeintlichen Fachkräftemangel enthüllen sich schnell als ziemlich unwahr, wie jeder gut für einen Ingenieursberuf qualifizierte Hochschulabsolvent nach wochenlanger Bewerbungstour bestätigen wird. Die schon vor gut zwei Jahrzehnte gebrauchte Formel, nach der die Arbeit ausgeht trifft schon zu; Lohnarbeit wird weniger benötigt, wie sich auch daran ablesen lässt, dass in der Zeiten der Vollbeschäftigung die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden zurückgeht. Verschärft wird das noch durch den Umstand, dass die einst als Rettung für die verlorenen Jobs der Industrie beschworene Arbeitsmarkt für Dienstleistungen – mit Ausnahme der sozialen und pflegerischen Berufe – die heftigsten Einbrüche erlebt hat – übrigens ironischerweise als Effekt von Rationalisierung. Man braucht dazu nur die Zahlen der Beschäftigten etwa im Bankengewerbe ansehen.
Gegenwärtig spitzt sich die Angelegenheit zu, wie das Beispiel Autoindustrie zeigt: Die Autoindustrie in Deutschland, einer der Kernbereiche der Wirtschaft wird höchstwahrscheinlich im nächsten Jahrzehnt einen massiven Niedergang erleben, Menschen werden freigesetzt, die aber nicht beliebig in die Existenznot gebracht werden können. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass es um eine höchst reputierliche Gruppe von Arbeitskräften geht, von Facharbeitern einerseits, von Ingenieuren andererseits, die schnell zum Wutbürgern werden und sich anders zu artikulieren wissen, als die bislang von Arbeitslosigkeit Betroffenen. Wer einmal „beim Daimler“ in Stuttgart gearbeitet hat, wer „Opelianer“ gewesen ist, kann nicht einfach zum Hartz IV-Empfänger werden – das wäre nun in der Tat so ungerecht, wie der Kanzlerkandidat der SPD das eben beschwört.
Nüchtern betrachtet rauscht also eben eine Krise auf die Bundesrepublik Deutschland zu, die das Land massiv erschüttert, zumal gleichzeitig die Sozialsysteme in ihrer bisher gegebenen Form zusammen brechen werden. Niemand kann sich jedoch erlauben, hier eine Armutssituation zu schaffen, wie sie zwar längst eingetreten ist, aber bislang noch mit den klassischen Mitteln der Denunziation erledigt werden konnte: das waren dann eben die sozial Schwachen, die Bildungsfernen oder eben diejenigen, die Migrationshintergrund hatten. Das alles taugt nicht mehr so recht – insofern wird eine gute Absicherung für alle notwendig. Es muss also einiges getan werden, um – wie Oliver Nachtwey das beschrieben hat – das Aufbegehren in der Abstiegsgesellschaft zu verhindern.
Das garantierte Mindesteinkommen eröffnet da einen Notausgang.
Mit ihm gelingt es nämlich, der Workforce hohe Flexibilität zu geben. Denn zu rechnen ist nicht nur mit einer längerfristigen Krise, sondern mit einer hochproblematischen Krisendynamik. Das Kapital muss daher in Zukunft schnell auf die Arbeitskräfte zugreifen können, sie per SMS holen oder entlassen, um so auf die Volatilität der globalen Märkte reagieren zu können: Trump kommt, Trump geht, mit ihm die Zölle, die den amerikanischen Markt schließen und wieder öffnen. China gerät in eine Krise, kann den pazifischen Raum nicht mehr beliefern, den es eben erobert hatte, nun müssen die Fabriken im Rest der Welt wieder hochgefahren werden. Wahrscheinlich wird das alles schneller gehen, als in den bislang dann doch noch an politische Zyklen gebundenen Phasen. So nebenbei lässt sich nicht ausschließen, dass Umweltkatastrophen oder der Zusammenbruch der Energieversorgung das eine Land und seine Wirtschaft zusammen brechen lässt, während die andere Ökonomie gewinnt. Immer kommt es zum gleichen Spiel: Möglichst kurzfristig müssen Arbeitskräfte mobilisiert werden, die man ansonsten nicht benötigt.
Halt, ruft mancher: Wie ist das denn mit der Entwicklung von Produkten? Auch hier trägt das garantierte Mindesteinkommen zur Lösung der Probleme bei: Abgesehen davon, dass selbstverständlich eine Gruppe von „Edelbeschäftigten“ weiterhin in den Entwicklungsabteilungen tätig bleibt, bringt es die gut Gesicherten dazu, sich brav im Home Office und digital vernetzt zu beschäftigen. Garantiertes Mindesteinkommen und Projektexistenz lassen sich hervorragend verbinden – die Erfahrung lehrt, dass so Beschäftigte größeren Einsatz zeigen als diejenigen, die in einem Büro zusammen sitzen. Zumal einer jungen Generation ja längst das Bild von einer modernen flexiblen Arbeitswelt gezeigt worden ist, bei der man am Strand sitzt, den Laptop auf den Knien, weltvergessen und arbeitsversessen.
Ökonomisch perfekt wird das Unternehmen garantiertes Mindesteinkommen aber noch dadurch, dass es damit gelingt, die Achillesferse des Produktionskapitalismus zu beseitigen. Der Konsum war bislang dann doch noch sein Problem, selbst wenn man die Menschen so fleißig zum Konsumieren angehalten hat – und man gelegentlich schon zu der Verschwörungstheorie neigen möchte, nach der niedrige Zinsen dazu genutzt werden, um eine Überproduktion durch Menschen abbauen zu lassen, die wenig Sinn im Sparen mehr erkennen können. Was in den Überflussgesellschaften auf den Markt kommt, wird ja nicht so recht benötigt – noch einmal ein verschwörungstheoretisches Schmankerl: Hat vielleicht der berühmte Dieselskandal nicht auch den reizenden Nebeneffekt einen Automobilverkauf wieder anzuregen, der ziemlich eingeschlafen ist? Wenn jedenfalls gilt, dass – wie etwa Zygmunt Bauman vermutet hat, der moderne Kapitalismus von Produktion auf Konsum umzustellen, dann lässt sich das Mindesteinkommen gar nicht mehr umgehen. Es ist das Schmiermittel für eine langsam verebbende Produktion.
Jedenfalls gilt: Eine flexibel verfügbare Arbeitskraft, die nicht der Not unterliegt, sondern konsumieren kann und so ausgestattet ist, dass sie etwas mit sich anzufangen weiß – das ist wohl die erste Funktion, der das garantierte Mindesteinkommen genügt. Flankierend tritt selbstverständlich hinzu, was die OECD, MacKinsey und andere nicht müde werden, gemeinsam mit den ihnen folgenden Wissenschaftlern allzumal der sogenannten Bildungswissenschaften und der Psychologie zu fordern: Menschen sollen gefälligst selbst lernen, die konstruktivistische Theorie unterstreicht, dass und wie sie das tun (müssen), übrigens jenseits von Lehrern, Die Bildungswissenschaftler verkünden denn auch groß den Paradigmenwechsel vom Lehren zum Lernen – und damit diese Botschaft auch gut funktioniert, wird der Nachwuchs erst einmal ordentlich in Institutionen sozialisiert. Aufruhr, wie man ihn in der Pubertät im Elternhaus entwickelt und praktiziert, wird durch ein Sozialisationsmodell stell gelegt, das mit – so bekommt das Wort richtig Sinn – institutioneller Betreuung einhergeht. Das hält dann wohl ein Leben lang an: Materiell einigermaßen sichergestellt, werden die Menschen lebenslang lang – sozusagen vordergründig freiwillig, hintergründig gezwungen, weil sie nie anderes erfahren haben. Damit das auch ganz sicher funktioniert, werden Experten berufen, die das Lernen mit Normen und Standards flankieren, wobei der Druck nur mäßig bleibt: die hegemonial funktionierenden ideologischen Apparate sorgen schon dafür, dass die Botschaft ankommt; man will sich schon selbst fit halten, als anpassen. Letztendlich sorgen dann kleine Maschinen, tracker, dafür, dass man selbst den Lernnormen folgt. Das Garantierte Mindesteinkommen etabliert so die Rahmenbedingung für einen sozialisatorischen Habitus der Selbstsorge, der hochgradig funktional für das ökonomische System ist. Gesicherter Lebensstandard, höher als das Existenzminimum und Selbstbildung gehen also ganz eng miteinander einher – wobei zugleich die Hoffnung dementiert wird, dass die menschlichen Subjekte das Wohlergehen aller und das eigene gute Leben zu ihrer Aufgabe machen. Sie werden individualisiert bleiben und gegeneinander antreten, um dann doch wieder performativ in den Projekten zu brillieren, zu welchen sie in die Betriebe zurück gerufen werden. Der neue Geist des Kapitalismus, wie Boltanski und Chiapello ihr Buch überschrieben haben, kehrt kaum in die Flasche zurück, aus der einmal entlassen worden ist.
Eine zweite Funktion zeigt sich: Man kann nicht ausschließen – zumal dies in Skandinavien schon diskutiert wird -, dass das gesicherte Grundeinkommen mit einer Liberalisierung in den Regeln für die Lebensarbeitszeit einhergeht. Positiv bedeutet dies, dass die Arbeitszeit über einen längeren Lebenszeitraum gestreckt wird, dass vor allem die Chance besteht, sich gleichsam Auszeiten zu nehmen, wann man dies benötigt. Das Sabbatical wählt man, wenn man es für nötig hält, man hat Einkommen, bleibt abgesichert, hängt später noch ein Arbeitsjahr an. Vielleicht nimmt man sich Zeit, um sich für einen Berufswechsel zu qualifizieren – vieles scheint denkbar. Negativ aber könnte dies bedeuten, dass durch Arbeitnehmerrechte und Sozialversicherungen geschützte Zeiten aufgehoben werden: Du bist krank – alles kein Problem, hol die Zeit später nach! Schwanger oder Kinderbetreuung – nimm Dir Zeit, gönne Dir die schönen Monate oder Jahre mit den Kindern, später wirst Du Deine Arbeitspflichten erfüllen. Viele sind mit siebzig Jahren doch immer noch fit, zumal: wer Kinder hat, lebt länger.
Hinzu kommt endlich, drittens: Spätestens mit der Ausbreitung der Krise und ihrer Durchsetzung als mehr oder rhythmische Erscheinung wird sich eine Versorgung der Bevölkerung nicht mehr sicherstellen lassen, wenn und sofern die dafür erforderlichen Dienstleistungen marktförmig organisiert werden. Etwas banal formuliert: das lässt sich rechnerisch nicht mehr darstellen. Sowohl die pädagogischen wie die pflegerischen Aktivitäten müssen und werden wieder in die Hände der Menschen zurückgegeben – symptomatisch dafür sind übrigens die Überlegungen, die in der OECD über die Zukunft der Familien schon für 2030 angestellt worden sind. Die OECD sagt ziemlich klar, dass Familien notwendig sind und unterstützt werden müssen, weil sie nicht zuletzt die soziale und – erstaunlicherweise – ökologisch nachhaltige Ökonomie und Lebensform sichern. Das geschieht besser durch eine Grundsicherung, die ihrerseits wiederum erlaubt, die Grundleistungen menschlicher Reproduktion jenseits von Rationalisierung und Profitdenken zu erbringen. Selbstverständlich kann man einwenden, dass dies zu Lasten von Fachlichkeit und Professionalität geht – aber vielleicht sind Fachlichkeit und Professionalität eher schöner Schein, der durch die Vermittlung über den Arbeitsmarkt hergestellt wird. Man könnte ja hier ein wenig ironisch auf die Befunde etwa der Hattie-Studie für die Tätigkeit von Lehrern verweisen: Die Persönlichkeit machts, nicht unbedingt das methodische Instrumentarium.
- Nun gilt freilich auch: Gesellschaftliche Entwicklungen verlaufen nicht linear, Überraschungen sind möglich und ziemlich wahrscheinlich. Selbst wenn man dem Grundsatz folgt, nach dem sozialwissenschaftliche Forschung besser die gruseligen Möglichkeiten aufdeckt, statt heller Visionen also lieber die dunklen Seiten ausleuchtet, selbst wenn man sich sagt: to be forewarned ist o be forearmed, kann und muss man sich auf das verlassen, was wenigstens als historische Dialektik zu bezeichnen ist. Es kommt ja meistens anders, als man denkt. Dennoch sollte nie aus dem Blick verloren werden, was bei aller fortschrittlich erscheinenden Programmatik dann doch als Gefahr für menschliche Subjektivität und Autonomie erscheint, allzumal dann, wenn diese vordergründig gewahrt wird. Eben dies macht das garantierte Mindesteinkommen ein bisserl verdächtig.