Johanna Gütlich / Judith Kaiser – Studierende im Master-Studiengang „Kindheitswissenschaften und Kinderrechte“ an der Hochschule Magdeburg-Stendal
Die Bezeichnung „Kinderrechteschule“ ist eine Zertifizierung für Schulen durch UNICEF oder das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW), welche Kinderrechte in ihrem Schulalltag umsetzen und leben. Ziel ist, dass die Kinderrechte fest im Schulalltag verankert und von allen Akteur*innen gleichermaßen respektiert werden (vgl. UNICEF). Kinderrechteschulen beziehen sich dabei auf die Kinderrechte der UN-Kinderrechtskonvention, welche 1989 verabschiedet wurde. Um Kinderrechte den Kindern näher zu bringen und ihnen zu zeigen, was es heißt, wenn man nach Kinderrechten handelt, werden sowohl Lehrer*innen als auch Schüler*innen geschult. Das Projekt verfolgt in dem Sinne die gleichen Ziele wie die Menschenrechtsbildung, allerdings mit dem Fokus auf Kinderrechtsbildung im schulischen Kontext. Jedoch können noch nicht in allen Bundesländer Kinderschulen zertifiziert werden. Grundlage dabei ist, dass das zustände Kultusministerium des Bundeslandes einen Vertrag mit UNICEF oder dem DKHW abgeschlossen wurde. Mit der Verankerung des Programms in den Ministerien setzt sich UNICEF das Ziel, dass die Kinderrechteschulen nachhaltig verankert werden (vgl. ebd.; vgl. Deutsches Kinderhilfswerk e.V. 2018). Ein festes Ziel, wie viele Schulen Kinderrechteschule werden sollen, wurde von UNICEF nicht formuliert. Laut der Webseite ist die Zielsetzung, “bis 2030 bundesweit möglichst viele Grund- und weiterführende Schulen in den 16 Bundesländern für das Kinderrechteschulen Programm zu gewinnen” (UNICEF).
Das Pilotprojekt dazu wurde in Nordrhein-Westfalen an Grundschulen durchgeführt. Weitergeführt wurde dies durch Education-Y. Mittlerweile wurde das Projekt bundesweit ausgeweitet und für alle Schulformen weiterentwickelt.
In sieben Schritten durchlaufen sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen ein Training, welches in etwa einem Jahr absolviert werden sollte. Im Gespräch mit UNICEF wurde mitgeteilt, dass der Zeitraum von einem Jahr zu kurz ist. Daher wurden die Trainingsphasen verlängert, sodass sich jede Schule die Zeit nehmen kann, die es benötigt, um die Lehrinhalte qualitativ umzusetzen. Mit Abschluss der Trainingsphase bekommen die Schulen das Gütesiegel „Kinderrechteschule – Wir leben Kinderrechte“ (vgl. ebd.). Nach Ausstellung des Gütesiegels zieht sich Unicef aus den Schulen zurück und steht nur noch als Ratgeber zur Seite. Ebenfalls zur Beratung stehen die Kultusministerien der Bundesländer zur Seite. Diese erhalten mit Vereinbarung der Kooperation ebenfalls Schulungen.
Evaluation der Kinderrechteschulen des Deutschen Kinderhilfswerks
Das Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration erstellte 2021 eine Evaluation für das Projekt der Kinderrechteschulen des Deutschen Kinderhilfswerks mit dem Ziel Gelingensbedingungen und Spannungsfelder bei der Verankerung von Kinderrechten in Grundschulen aufzudecken.
Durch die quantitative und qualitative Befragung von Fachkräften, Eltern und Schüler*innen entdeckten die Autor*innen verschiedene Faktoren sowohl für den Erfolg als auch den Misserfolg des Projekts.
Um das Projekt weiterzuentwickeln, sollte auf diese Punkte sowohl in der Projektorganisation sowie in der Zusammenarbeit mit den Schulen geachtet werden. Hier soll nun einzig auf die Aspekte eingegangen werden, welche für das Thema der Nachhaltigkeit relevant sind.
Im Allgemeinen wird das Projekt von Fachkräften und Eltern als sehr positiv bewertet, jedoch wurde durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns und Schulschließungen deutlich, wie sehr die Verankerung von Kinderrechten auch an den Projektschulen von einzelnen Personen abhängig sei und Potentiale noch längst nicht ausgeschöpft seien. (vgl. Walther & Nentwig-Gesemann 2021, 23, 63)
Bei der Frage nach der Berücksichtigung der Meinung stimmen knapp 30 % der Kinder der Aussage nicht zu, dass ihre Meinung bei Entscheidungen berücksichtigt würden und über 40 % stimmen der Aussage zu, dass am Ende die Erwachsenen entscheiden. Im Gegensatz dazu stimmen fast 96 % der Erwachsenen zu, dass “die Kinder ihre Meinung frei äußern [können] und ihre Bedürfnisse ernst genommen” (ebd., S. 17) würden. Im Endeffekt könne das Interesse der Kinder nur dann wahrgenommen werden, wenn es leicht umsetzbare und simple Lösungen gebe (vgl. ebd., S. 45).
Es stellt sich die Frage, wie die Kinder lernen können, dass ihr Recht auf Beteiligung und freie Meinungsäußerung (Art. 12 und Art. 13 der UN-KRK) gewahrt wird, wenn dies in einer Schule, die sich Kinderrechteschule nennt, beschnitten wird und keine vollumfängliche Beachtung findet.
In der qualitativen Befragung zeigt sich ein großes Spannungsfeld darin, dass einerseits die Teilnahme am Projekt und das Einbringen von Kinderrechten in die Schule sehr stark von einzelnen engagierten Personen abhänge (vgl. ebd., S. 35). Dies bürge die Gefahr des Ausgrenzens und des Ausschlusses von der Zusammenarbeit von anderen Fachkräften. Dies könne dadurch entkräftet werden, indem alle Beteiligten informiert werden, mitarbeiten können und demokratische Prinzipien angewandt und den Kindern vorgelebt werden. (vgl. ebd., S. 48f)
Um Kinderrechte nachhaltig in Schulen zu verankern, darf das Engagement nicht von einzelnen Personen abhängig sein, sondern muss vom gesamten Kollegium getragen werden und Teil des organisationalen Gedächtnisses werden, sodass Beachtung und Schutz auch bei Personalwechsel und Meinungsverschiedenheiten im Team selbstverständlich bleiben (vgl. ebd., S. 40).
Hierzu gehört ebenso, dass Kinderrechte nicht nur punktuell an Schulen Einklang finden, sei es durch die Teilnahme am Projekt der Kinderrechteschulen oder durch eigens initiierte Projekte. So werden “Kinderrechte als freiwilliges ‚Zusatz- oder Luxusthema‘ markiert, für das unter Umständen nicht genug Zeit vorhanden ist[. …] [D]ie kinderrechtsbasierte Arbeit [ist] als Querschnittsthema von Schule und Unterricht zu begreifen” (ebd., S. 46). Dabei muss bedacht werden, dass mit dem Artikel 2 der UN-KRK alle Vertragsstaaten unterzeichnet haben, die Kinderrechte zu achten, sowie diese umzusetzen (Artikel 4 der UN-KRK).
Bemängelt wird von UNICEF, dass Lehrer*innen während des Studiums nicht mit Kinderrechten in Berührung kommen. Es wäre demnach nötig, dass sich durch das Curriculum des Lehramtsstudiums bereits aktiv mit den Kinderrechten auseinandergesetzt werden würde. Diese lege die Grundsteine, dass diese auch im Unterricht mehr beachtet werden. Dass das Behandeln und der Einsatz von Kinderrechten die Beziehung zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen verbessert, wurde an den Kinderrechteschulen in Hessen bereits festgestellt. Hier ließ sich festhalten, dass die Beziehungen wertschätzender sind und mehr aufeinander geachtet wird (vgl. Student, Gebhard & Krappmann 2014, S. 45).
Es stellt sich nun die Frage, welche nachhaltigen Effekte eine Zertifizierung als Kinderrechteschulen haben. Im Gespräch mit der Programmassistentin für Kinderrechteschulen bei UNICEF wurde mitgeteilt, dass es aktuell noch kein vollständig ausgearbeitetes Konzept für die Kontrolle der Menschenrechtschulen vorliegt. UNICEF ist derzeit im Prozess zur Erstellung eines Konzeptes, welches in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium der Bundesländer entsteht. Angedacht ist dabei, dass Schulen spätestens nach drei Jahren sich einer Prüfung unterziehen müssen. Innerhalb dieser Prüfung soll es dann möglich sein, sich als Schule rezertifizieren zulassen. Bei Nicht-Einhaltung der erarbeiteten Ziele oder der Vernachlässigung von Kinderrechten im Unterricht, kann ein Gütesiegel wieder zurückgenommen werden. Das DKHW schreibt auf der Website, dass zum Prozess der Kinderrechteschulen auch die Erstellung eines Maßnahmeplans für die Folgejahre gehört (vgl. Deutsches Kinderhilfswerk e.V. 2018).
Durch die Tatsache, dass es das Projekt Kinderrechteschulen sowohl von UNICEF als auch vom DKHW gibt, treten die beiden Projekte insoweit in Konkurrenz zueinander, als dass sie um die Gunst der Schulen werben. Kinderrechte sollten jedoch nicht Teil eines Wettbewerbes sein. Gemäß Art. 42 UN-KRK sollten alle Kinder über ihre Rechte informiert werden und nicht nur die Kinder an Kinderrechteschulen. Darüber hinaus sollen die Menschrechte im Allgemeinen vermitteltet werden, jedoch finden auch diese in Kinderrechteschulen keine Beachtung.
UNICEF ist sich dessen bewusst, dass viele Schulen das Siegel als Motivation nehmen, um sich als Schule präsentieren zu können. Dennoch sieht es UNICEF positiv an, dass so viele Schulen bereit sind, sich des Trainings zu unterziehen und mit den Kinderrechten intensiver auseinandersetzten. Festhalten muss man, dass Kinderrechteschule ein gutes Konzept ist, um Kinderrechte an Schulen zu etablieren. Jedoch ist dies, durch die Vertragsschließungen mit den Kultusministerien, mit behördlichen Hürden verbunden. Zusätzlich dazu ist es notwendig, dass Kinderrechteschulen weiterhin betreut und auch überprüft werden. Durch Veränderungen im Kollegium und in der Schüler*innenschaft ist es nötig, dass das Wissen und das Ausleben der Kinderrecht regelmäßig aufgefrischt wird, andernfalls sind Kinderrechteschulen eine gute Idee, aber in der Umsetzung noch nicht ausgereift.
Literaturverzeichnis
Deutsches Kinderhilfswerk e.V. (2018): Deutsches Kinderhilfswerk bietet Grundschulen Teilnahme am Modellprojekt “Kinderrechteschule” an. https://www.dkhw.de/presse/schlagzeilen-archiv/schlagzeilen-details/deutsches-kinderhilfswerk-bietet-grundschulen-teilnahme-am-modellprojekt-kinderrechteschule-an/. – aufgerufen am 08.06.
Student, Sonja / Gebhard, Jasmine / Krappmann, Lothar (2014): Die Beziehung von Schülern und Lehrern in Kinderrechte-Schulen. Ein Blick in das Modellschulnetzwerk für Kinderrechte in Hessen. In: Prengel, Annedore / Winklhofer, Ursula (Hg.): Kinderrechte in der Praxis pädagogischer Beziehungen. 1. Band Praxiszugänge. Berlin (Toronto): Barbara Budrich.
UNICEF (o. J.): Schulen leben Kinderrechte. https://www.unicef.de/informieren/schulen/kinderrechteschulen. – aufgerufen am 07.06.2022.
Walther, Bastian / Nentwig-Gesemann, Iris (2021): Gelingensbedingungen einer nachhaltigen Verankerung von Kinderrechten in der Grundschule. Evaluationsbericht. Schriftenreihe des Deutschen Kinderhilfswerkes e.V. – Heft 8. Hg. v. Deutsches Kinderhilfswerk e.V. DESI – Insitut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration. Berlin.