Die Darstellung von Integration in österreichischen Geschichteschulbüchern
- Integration als Thema in Politik und Schule
Integration ist längst zu einem innen- wie außenpolitischen Dauerthema geworden, das nicht nur die österreichische Regierungskoalition entzweit, sondern auch zu gesellschaftlicher Polarisierung führt. Die medialen Debatten um die Migrationspolitik der österreichischen Bundesregierung – und der Europäischen Union – machen die Migrations- und Fluchtthematik zu einem omnipräsenten Thema. Die jüngsten Diskussionen um die Aufnahme bzw. Abschiebung afghanischer Asylwerber*innen zeigen deutlich die Bedeutung dieses Politikfeldes auf. Insbesondere rezente Debatten um die ‚gescheiterte Integration‘ straffällig gewordener Ayslwerber*innen verschärfen zunehmend den medialen Diskurs. Neben den Medien kommt jedoch insbesondere der Institution Schule eine zentrale Informationsquelle für junge Menschen zu. Dementsprechend gilt es von hohem Interesse, die Vermittlung von Integration im Unterricht zu untersuchen. Hierzu wurden sieben in Österreich staatlich approbierte Lehrwerke für das Unterrichtsfach Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung (GSP) im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (vgl. Mayring 2015) auf die Darstellung der Integration von Migrant*innen untersucht.
Bei der Behandlung des Themas Migration und Integration nimmt insbesondere der Geschichte- und Politikunterricht, aber auch jener in inhaltlich verwandten Fächern wie Geographie und Wirtschaftskunde oder Ethik, eine tragende Funktion wahr. Im 2016 überarbeiteten Lehrplan der Mittelschulen und AHS-Unterstufen für das Unterrichtsfach GSP ist Migration als eigenes Modul im Lehrplan verankert. Dieser sieht neben einer Erarbeitung der Begriffe Migration, Asyl und Integration unter anderem auch vor, die „[d]urch Migration entstehende[n] Herausforderungen in Auswanderungs- und Einwanderungsländern [zu] analysieren und mögliche Lösungen [zu] diskutieren“ sowie „Migration am Beispiel von Lebensgeschichten vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart dar[zu]stellen“ (BMBF 2016, o.S.).
- Integration als einseitiger Prozess?
Eine dominante Rolle nimmt die Darstellung von Integration in den Lehrwerken ein, wobei aus zahlreichen Textpassagen hervorgeht, dass Integration als einseitiger Prozess der Eingliederung oder Anpassung von Migrant*innen verstanden wird. Insbesondere der Kulturbegriff wird vielfach verwendet, ohne ihn näher zu definieren, wie das vorliegende Beispiel aus dem Lehrwerk Zeitbilder zeigt:
„Für ein positives Miteinander ist es auch notwendig, sie [die Migrant*innen] mit den politischen und kulturellen Werten vertraut zu machen, die im Einwanderungsland gelten.“ (Wald et al. 2017, 80)
Die Textpassage zeigt deutlich die von den Migrant*innen erwartete Anpassung an die nicht näher definierten „politischen und kulturellen Werte“ der Aufnahmegesellschaft und impliziert, dass es eine Kultur des Aufnahmelandes gäbe. Die Gegenüberstellung von Aufnahmegesellschaft und Migrant*innen zeigt sich auch im Lehrwerk Querdenken, in welchem die Anpassung von Migrant*innen als Ziel von Integration definiert wird:
„Aufnahmestaaten versuchen die Zugewanderten in der Regel zu integrieren, also in ihre Gesellschaft aufzunehmen. Das Ziel ist dabei vielfach eine Anpassung […]. Dies ist jedoch nicht so einfach zu erreichen.“ (Brait et al. 2017, 145)
Neben der problematischen Übersetzung von Integration mit Anpassung stellt sich auch die Frage, worauf die Aussage, die Integration sei „nicht so einfach zu erreichen“, basiert. Zudem werden die Aufnahmestaaten undifferenziert als positiv der Integration von Migrant*innen gegenüberstehend dargestellt, indem behauptet wird, dass die Zielländer versuchen würden, „die Zugewanderten in der Regel zu integrieren“.
Eine weitere problematische Definition von Integration findet sich im Lehrwerk Genial Duo: „Integration heißt: Wer nach Österreich kommt, lernt Deutsch, respektiert die Gesetze und die österreichische Kultur.“ (Maukner et al. 2020, 111) Neben der einseitigen Darstellung von Integration als von den Migrant*innen zu erbringende Leistung ist auch an dieser Stelle die fehlende Definition der „österreichischen Kultur“ kritisch anzumerken. Die Beherrschung bzw. das Erlernen der deutschen Sprache wird in nahezu allen Lehrwerken als notweniger Bestandteil von erfolgreicher Integration thematisiert. Das Befolgen der österreichischen Gesetze wird auch im Lehrwerk Denkmal als Voraussetzung für Integration genannt:
„Damit Integration gelingen kann, müssen für alle die gleichen Regeln gelten. Das österreichische Rechtssystem muss auch von den Einwanderern akzeptiert werden.“ (Lang et al. 2020, 90)
Die Erwähnung dieses Umstandes scheint problematisch, da dies impliziert, dass Migrant*innen sich tendenziell nicht an die Gesetze des Ziellandes halten würden. Doch neben den Darstellungen von Integration als einseitig von den Migrant*innen zu erbringender Prozess finden sich in den untersuchten Lehrwerken auch Textpassagen, die die Aufnahmegesellschaft als wichtige Komponente im Integrationsprozess erachten. Auf den Lebensraum Schule bezogen, heißt es im Lehrwerk Bausteine etwa: „Soll Integration gelingen, müssen sich einheimische wie zugewanderte Schülerinnen und Schüler gegenseitig in ihrer Lebensweise respektieren.“ (Bachlechner et al. 2016, 45) Im Schulbuch Meine Geschichte wird Integration auch als Aufgabe der Aufnahmegesellschaft beschrieben: „Andererseits muss die Gesellschaft dieses Landes den Flüchtlingen helfen, sich in dem neuen Umfeld einzugliedern.“ (Paireder & Hofer 2017, 128)
- Vorurteile gegenüber Migrant*innen
Ein weiterer Aspekt, der in vielen Lehrwerken angesprochen wird, sind Vorurteile gegenüber Migrant*innen in den Aufnahmegesellschaften. Im Schulbuch Denkmal wird dies folgendermaßen beschrieben: „In den Zielländern entstehen oft Ängste und Vorurteile gegenüber den Neuankommenden.“ (Lang et al. 2020, 82)
Der folgende Ausschnitt aus dem Lehrwerk Geschichte für alle verdeutlicht die Problematik der Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit am Beispiel von gut integrierten Nachfolgegenerationen der damaligen Gastarbeiter*innen:
„Die Familien der früheren ‚Gastarbeiter‘ leben und arbeiten heute in Österreich, sie bezahlen Steuern und haben sich integriert. Sie sind österreichische Staatsbürger. Oft werden sie aber aufgrund ihres Aussehens und ihrer Sprache als ‚Ausländer‘ wahrgenommen. Deshalb haben viele von ihnen noch mit Vorurteilen zu kämpfen […].“ (Monyk et al. 2017, 93)
Dieses Beispiel zeigt auf, dass sich Fremdenfeindlichkeit auch gegen bereits lange im Staat lebende und gut integrierte Gruppen richten kann und vereint zudem das historische Lernen – Migrationsgeschichte Österreichs in Bezug auf Gastarbeiter*innen – mit dem politischen Lernen über Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit.
Der folgende Textausschnitt aus dem Lehrwerk Querdenken versucht hingegen die Perspektive jener, die migrationsfeindlich eingestellt sind, zu beleuchten und Gründe für diese Haltung aufzuzeigen, was im Sinne des geschichtsdidaktischen Prinzips der Multiperspektivität als positiv zu werten ist:
„Vielen Leuten macht die stetige Zuwanderung und wachsende Diversität Angst. Manche Menschen befürchten beispielsweise, dass es aufgrund der Zuwanderung weniger Jobs oder Sozialleistungen gibt. Auch fremde Sprachen und Gewohnheiten können zu Verunsicherungen führen.“ (Brait el al. 2017, 143)
Zu kritisieren ist hingegen, dass die Formulierung „stetige Zuwanderung“ die beschriebenen Ängste verstärkt, da sie eine zunehmende Immigration feststellt, wobei die Immigrationszahlen je nach Region auch innerhalb Österreichs sehr unterschiedlich sind. Auch die Aussage, „fremde Sprachen und Gewohnheiten können zu Verunsicherungen führen“ wirkt simplifizierend und bedarf einer näheren Erklärung.
- Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in den analysierten Lehrwerken vor allem die äußerst problematische Darstellung von Integration als einseitiger Prozess in hohem Maß vorhanden ist. Insbesondere fehlerhafte Übersetzungen von Integration als Anpassung oder die Forderung, Migrant*innen müssten sich zur Integration in die österreichische „Kultur“ – wobei diese als homogen und im Singular präsentiert und nicht näher definiert wird – einfügen, müssen kritisiert werden. Zwar werden Integrationsprozesse auch als Aufgabe der Aufnahmegesellschaft beschrieben, jedoch überwiegt die Darstellung von Integration als einseitige von den Migrant*innen durch Anpassung zu erbringende Leistung. Dieser überwiegende Grundtenor kann auch nicht durch die Tatsache, dass in einigen Lehrwerken Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit in der Aufnahmegesellschaft thematisiert werden, behoben werden.
Über den Autor
Christian FILKO, BEd BA MA ist nach Studien der Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft Lehrer an der Praxismittelschule und Mitarbeiter an der Kompetenzstelle für Mehrsprachigkeit, Migration und Menschenrechtsbildung der Pädagogischen Hochschule Wien. Schwerpunkte: Menschenrechtsbildung, Politische Bildung, Migration und Integration, Inklusion und Exklusion.
Bibliographie
Bachlechner, M., Benedik, C., Graf, F., Niedertscheider, F. & Senfter, M. (2016). Bausteine Geschichte 3, Arbeitsheft. Wien: ÖBV.
BMBF (2016). Lehrplan Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung. Online abrufbar unter: https://www.politik-lernen.at/dl/mnoNJKJKonmomJqx4lJK/Gesetzesblatt_113._Verordnung_18_Mai_2016.pdf (23.08.2021)
Brait, A., Mader, S., Sommer-Hubatschke, C. & Strutz, A. (2017). Querdenken 3, 2. Auflage. Wien: ÖBV.
Lang, T., Marschnig, G. & Merz, A. (2020). Denkmal 3. Wien: E. Dorner / Westermann.
Maukner, B., Moser, M., Mychalewicz, P., Sutner, P. & Wiesinger, B. (2020). Genial Duo Geschichte – Sozialkunde – Politische Bildung 3, Infoteil. Wien: Ed. Hölzel / Bildungsverlag Lemberger.
Mayring, P. (2015). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim: Beltz.
Monyk, E., Schreiner, E. & Mann, E. (2017). Geschichte für alle modular 3. Wien: Olympe.
Paireder, B. & Hofer, J. (2018). Meine Geschichte 3. Linz: Veritas.
Wald, A., Scheucher, A., Scheipl, J. & Ebenhoch, U. (2017). Zeitbilder 3. Neuer Lehrplan. Wien: ÖBV.