THEMA 1: Gründe für die Unsichtbarkeit des progressiven “Migranten”
Die neue Rechte benutzt neuerdings auch die Universitäten, um ihren modernisierten Rassismus zu platzieren. Der von der Rechten- von den Identitären bis zur AfD -vertretene neue Rassismus unterscheidet sich ja vom klassischen Rassismus vor allem darin, dass er Andere nicht mehr mit pseudobiologischen, sondern mit pseudokulturellen Merkmalen diskriminiert. Ansonsten bleibt die Argumentationslogik die alte: Es geht nach wie vor um die Identifikation von unerwünschten Anderen durch die Zuschreibung eines potentiell abwertenden Indikators B eines Indikators, der aufgrund eines ausreichend breit verankerten polemischen Diskurses geeignet erscheint, den Anderen mit einer Gruppe von Anderen zusammenzufassen und diese Gruppe von Anderen anschließend abzuwerten, auszugrenzen und aus der Gesellschaft zu verweisen. Der modernisierte Rassismus bietet gleich zwei Vorteile: Erstens kann man sich der Tabuisierung des klassischen Rassismus entziehen und dadurch wieder salonfähiger erscheinen. Und zweitens kann man den Anschluss an die Mitte der Gesellschaft verfestigen, wo die Mitgliedschaft in der Gesellschaft, wie z.B. die seit langem andauernde Leitkulturdebatte belegt, zunehmend kulturalistisch-nationalistisch definiert wird.
Für die Durchsetzung dieses modernisierten Rassismus ist erstens entscheidend, dass dessen Läuterung geglaubt wird, und zweitens, dass der Ausgrenzungsindikator tatsächlich auch auf Zustimmung stößt. Und genau daran arbeitet die neue Rechte mit zwei Strategien. Sie versucht einerseits ihre Position in der Öffentlichkeit und jetzt noch zusätzlich in der Wissenschaft zu legalisieren und anderseits die Ausgrenzung des Anderen zu normalisieren, ja zu veralltäglichen. Und diese Doppelstrategie scheint zunehmend aufzugehen.
Ein Beispiel dafür sind die von der neuen Rechten inszenierten aktuellen Auseinandersetzungen innerhalb der Universität. Konkretes Beispiel ist der Fall, wo sich ein Student der Universität zu Köln in der Presse über das Thema `Diskriminierung und Meinungsfreiheit” (z.T. mit anwaltlicher Vertretung) äußert und dabei sehr konkret die Seminarleiterin, die Humanwissenschaftliche Fakultät und die Universität insgesamt angreift. Der Student hatte in der Seminarveranstaltung im SS 2019, in der über die Kölner Silvesternacht 2015 debattiert wurde, die Gelegenheit ergriffen, um gegen den Islam zu polemisieren. Die Kritik an seinem unwissenschaftlichen Vorgehen hat er als Mobbing dargestellt und behauptet, hier werde die Freiheit von Forschung und Lehre eingeschränkt. Tatsächlich ging es dem Studierenden darum, die rechte Position durch einen Appell an die Freiheit von Wissenschaft und Forschung zu legalisieren und gleichzeitig die Nichtzugehörigkeit der ausgegrenzten Anderen als eine alltägliche Tatsache und eine Selbstverständlichkeit zu platzieren. Im Seminar ist diese Doppelstrategie noch gescheitert, weil die kulturrassistische Rekonstruktion der Silvesternacht zurückgewiesen wurde. Aber sowohl in der Öffentlichkeit als auch in universitären Verlautbarungen ist diese Doppelstrategie letztlich aufgegangen. Statt über die rassistischen Rekonstruktionsversuche streitet man über die Rede‑ und Meinungsfreiheit an Universitäten.
- a) In der Presse, zumal in Magazinen und Zeitungen wie CICERO und DIE WELT wurde dieser Fall neben weiteren analog inszenierten Vorfällen aufgerollt, um in der Bevölkerung die Angst zu schüren, dass sich das Klima an Hochschulen verändert habe und die Freiheit der Lehre in Gefahr sei oder sogar `zerstört” würde. Tenor der Artikel ist: Man dürfe nicht mehr alles an Universitäten sagen. Liest man die Artikel genauer, wird schnell klar: mit _alles> sind vor allem Aussagen gemeint wie: “Der Islam gehört nicht zu Deutschland” oder “Das Kopftuch ist ein Zeichen für Unterdrückung”.
- b) In der Universität wird diskutiert, inwieweit man angesichts solcher Positionen die Freiheit von Forschung und Lehre einschränken dürfe. Verwiesen wird hier u.a. auf Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Meinungsfreiheit schützt B aber er weist auch auf die Schranken im Kontext der Wissenschaft hin: Die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre ist eine Freiheit, die verdient werden muss. Nicht jede Meinung kann hier frei geäußert werden, sondern nur diejenige, die ein ernsthaftes wissenschaftliches Erkenntnisinteresse verfolgt und dieses mit Instrumenten und Methoden erreichen will, die überprüfbaren wissenschaftlichen Standards entsprechen. Weiter heißt es in dem Artikel, dass die Meinungsfreiheit dort ihre Grenzen findet, wo das Recht auf Schutz der persönlichen Ehre verletzt wird.
Der entscheidende Punkt ist der, dass hier ja gar nicht die Universität die Meinungsfreiheit bedroht, wenn sie die vorgebrachte Deutung für problematisch hält, sondern durch die rechte Intervention die Freiheit von Forschung und Lehre bedroht wird. Die Universität, an der wie in der Gesellschaft generell die in dem rechten Beitrag diskriminierten Personen Mitglieder sind, müsste eigentlich ihre Mitglieder schützen, um die Freiheit von Forschung und Lehre zu gewährleisten. Und genauso müsste das die Öffentlichkeit tun, wenn Gesellschaftsmitglieder diskriminiert und rassistisch angegangen werden.
Die Debatte belegt, dass die rechte Strategie tendenziell aufgegangen ist, insoweit alle Beteiligten wie selbstverständlich ignorieren, dass hier an der Debatte Beteiligte, dass hier Mitglieder der Diskursgemeinschaft angegriffen werden und damit die Freiheit von Wissenschaft und Forschung direkt torpediert wird. Es geht letztlich gar nicht um die laufend zunehmenden diskriminierenden bzw. menschenverachtenden Äußerungen über Geflüchtete, Muslime / Muslima, Sinti und Roma, Jüdinnen und Juden, es geht letztlich darum, dass hier Kommilitoninnen und Kommilitonen, Kolleginnen und Kollegen, eben Gesellschafts- bzw. Diskursmitglieder angegriffen werden. Es geht nicht um den Anderen irgendwo draußen, es geht um uns selbst. Wenn man nur noch über die Wissenschaftsfreiheit diskutiert und wenn man sich dafür verteidigt, dass man sie im konkreten Fall einschränken müsse, dann hat man die Veralltäglichung der Ausgrenzung des unerwünschten Anderen bereits hingenommen, weil man ihn schon nicht mehr dazu zählt und folglich dessen Ausgrenzung und die Verletzung der Freiheit von Forschung und Lehre durch dessen Diskriminierung schon gar nicht mehr realisiert. Und das bedeutet, ein zentraler Baustein der rassistischen Logik ist schon wieder in der Mitte der Gesellschaft verankert.