Susanne Jacobsen Pérez
Externe Dozentin, Roskilde Universität Dänemark
Politischer Nationalismus
„Aus meiner Sicht werdet Ihr niemals stubenrein“ – so sagte 1999 der sozialdemokratische Staatsminister Poul Nyrup Rasmussen zur nationalistischen Dänischen Volkspartei (Dansk Folkeparti), nachdem sie im Parlament vorgeschlagen hatte, ganze Migrantenfamilien vom Lande zu verweisen, im Falle mehrmaliger Kriminalität ihrer Nachkommen. Heute, zwanzig Jahre später bildet die Dänische Volkspartei als zweitgrößte Partei die parlamentarische Grundlage für „die liberal-konservative Regierung”, die nun viele der jahrelangen Antimigrationsvisionen der Dänischen Volkspartei in geltende Gesetzgebung verwandelt. Auf der Homepage des Ministeriums für Ausländer und Integration zeigt ein großer Zähler an, wie viele Male die ausländerrelatierte Gesetzgebung verschärft worden ist seit 2015. Verschärft! Nicht verändert, nicht verbessert, nur verschärft. Die Zahl per März 2019: 112 Mal. Als die ersten 50 Verschärfungen erreicht waren im März 2017, feierte die Ministerin Inger Støjberg es mit einer großen Torte, und teilte es dazu noch mit der Welt auf Facebook (siehe z.B. Karschnick 2017 oder Borchert 2017).
Während die politischen Ansichten der Dänischen Volkspartei zum Thema Migration sich nicht wesentlich verändert haben seit ihrer Gründung 1995, haben sich ins besonders die beiden großen Parteien Socialdemokratiet und Venstre, die jeweils links und rechts von der Mitte stehen, sich der rechtspopulistischen Rhetorik angenähert, und scheinen sich darum zu streiten, wer die strengste „Ausländerpolitik“ führen kann. Das geltende „Ausländergesetz“ anno 2019 wird nicht nur in Dänemark, sondern in ganz Europa als eines der restriktivsten angesehen, und steht im grellen Kontrast zum ersten „Ausländergesetz“ von 1983, dessen Inhalt als eine der liberalsten Migrations- und Asylpolitiken beschrieben wird.
Der institutionalisierte Alltags-Nationalismus
Ohne die Bedeutung der eindeutig nationalistischen Parteien zu unterschätzen, stütze ich mich in meinen Analysen oft auf jene Theorien, die beschreiben, wie die historische Bildung der europäischen Nationalstaaten gerade eben ein nationalistisches Projekt war; die staatlichen Politiken sollten dazu beitragen, dass sich die Personen im staatlichen Territorium als ein kulturell, sprachlich und historisch homogenes verbundenes Volk verstanden. Da dieses nicht der Fall war, und die Bevölkerung eine große Diversität aufwies, ging es darum, die Illusion einer „vorgestellten Gemeinschaft“ (Anderson 1991) zu schaffen, welches z.B. die Aufgabe der Schulen war und weiterhin ist. Teil dieser Vorstellung ist gleichzeitig, das alle anderen Personen zu anderen vorgestellten Gemeinschaften gehören.
Teil des frühen institutionalisierten Nationalismus war auch der „Orientalismus“ (Said 1978): Orientalismus beschreibt die europäische Repräsentation der Bevölkerung in Asien und dem Nahen und Mittleren Osten als „Orient“ und der Eigenzuschreibung als „Okzident“ oder „Westen“ (Hall 1992). Solche Vorstellungen wurden durch Reisebeschreibungen, Handelsverbindungen, aber besonders auch durch die frühe Organisierung akademischer Spezialisierungen im 18. Und 19. Jahrhundert festgehalten und auch bis Dänemark verbreitet.
Mit diesem historischen Verständnis wird es deutlicher, warum das nationalistische Gedankengut auch außerhalb der politischen Nationalisten so lebensfähig ist. Larsen (2010) hat z.B. den Alltagsnationalismus der dänischen Kindergartenpädagogik untersucht und hierbei die frühe Klassifizierung der Kinder in unausgesprochene ethnische Kategorien entdeckt durch die Anerkennung und Problematisierung der Handlungen, Kompetenzen oder Sprachfähigkeiten.
Ein kleiner Einblick in die türkeistämmige Bevölkerung in Dänemark
Die türkeistämmige Bevölkerung ist die drittgrößte Einwandererbevölkerung in Dänemark (nach Polen und Syrien) mit 63.352 Personen. Davon sind 30.428 in Dänemark geborene Nachkommen von türkischen Staatsbürgern. Schaut man auf das Gesamtbild der Nachkommen von Einwanderern in Dänemark, machen die türkeistämmigen Nachkommen mit 17% den größten Anteil aus. Statistisch erfasst man auch die Nachkommen der Nachkommen. Diese Gruppe umfasst in 2018 zirka 850 Personen. Altersmäßig sind die türkeistämmigen Einwanderer hauptsächlich 30 Jahre und älter, während die Hälfte der türkeistämmigen Nachkommen unter 20 ist, und ein Drittel dieser Gruppe zwischen 20 und 29 Jahren ist. Die Nachkommen der Nachkommen sind größtenteils unter 10 Jahre. Verschiedene Generationen werden von verschieden Teilen der Migranten-Politik erfasst. So ist schon seit Jahren z.B. eine 24-Jahres Regel geltend, die eingeführt wurde, um Zwangsehen zu verhindern. Eine noch größere Rolle spielt jedoch der sozioökonomische Status, da ein Teil der Politiken sich besonders an Migranten in den sogenannten Ghettos richten.
Die Arbeitsfrequenz der türkischen Einwanderergruppe entspricht in etwa anderen ”alten” Einwanderergruppen, auf Seiten der Männer. Die Frauen schneiden dahingegen relativ schlecht ab in der Arbeitsfrequenz, welches politisch oft als mangelnde Gleichstellung in der Familie, oder als Mangel an Integrationswille interpretiert wird. Die Arbeitsfrequenz ist jedoch dicht verbunden mit dem Ausbildungshintergrund, und kann daher eher ein Zeichen von Ausbildungsbedarf sein.
Die türkeistämmige Bevölkerung ist aufgrund ihrer langjährigen Präsenz eine etablierte Minderheit in der dänischen Gesellschaft, die sich auch durch eigene Institutionen organisiert, wie z.B. türkische und kurdische Kulturinstitutionen, Moscheen, Studenten- und Frauenvereine oder Schulen, und sowohl in der lokalen als auch nationalen Politik engagiert.
Politische Herangehensweisen an Türken in Dänemark
Die politischen Herangehensweisen an Türken und anderen „Migranten“ scheinen einer Reihe von Prinzipien zu folgen, die türkeistämmige Bürger verschieden beeinflussen können.
Das Prinzip der Unterteilung in Dänen, Westliche Einwanderer und Nicht-Westliche Einwanderer: Eine Strategie des institutionalisierten Nationalismus ist die fast minutiöse Registrierung der Einwanderer und ihrer Nachkommen durch statistische Daten, egal ob sie mittlerweile die dänische Staatsbürgerschaft angenommen haben. Türkische Staatsbürger und ihre Nachkommen werden hier in der Gruppe der „nicht-westlichen“ Einwanderer platziert und unterliegen somit statistisch der obengenannten Orientalisierung. Die Verbreitung solcher Statistiken durch öffentliche Medien trägt zu einer Stereotypisierung bei, in der die „nicht-westlichen“ Migranten die höchsten Raten der Arbeitslosigkeit und Kriminalität repräsentiert und die tiefsten Raten der Schulausbildung.
Das Prinzip des Wohlfahrtsnationalismus: Als reiches, sicheres Land mit einer Reihe von sozialen Leistungen ist die Politik, dass man erstens den Zugang zu diesen Leistungen erschweren möchte für solche Personen, die kein „natürliches“ Anrecht auf diese Leistungen haben und zweitens, dass mit Leistungen auch Verpflichtungen folgen. Die Parole einer Reihe von Gesetzen ist unter Anderem, geringere Sozialleistungen für neu zugewanderte Flüchtlinge, verlängerte Wartezeit und mehr Unkosten bei Familienzusammenführung und Daueraufenthaltsgenehmigung, Verlängerung der Periode, um volle dänische Staatsrente zu bekommen. Dazu kommt das berüchtigte Schmuckgesetz,
Das Prinzip der schnellen kulturellen und sprachlichen Eingliederung: Der nationalistische Gedanke tut sich schwer mit der Vorstellung einer mehrkulturellen und mehrsprachlichen Identität, solange es sich um „nicht-westliche“ Bürger dreht. Kulturelle und sprachliche Assimilationsgesetze sind deshalb besonders stark vertreten im Klein- und Schulkinderbereich und oft mit Zwang verbunden, falls die Eltern nicht selbst solch eine Assimilationsstrategie gewählt haben sollten. Kinder mit türkischen Sprachfähigkeiten können in vielen Gemeinden aber trotz Allem noch kostenlos an Muttersprachenunterricht teilnehmen. Ebenso müssen neu zugewanderte Migranten schnell Dänisch lernen, da die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis hiervon abhängig ist. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Regeln, in denen Einwanderer durch korrektes Wissen (z.B. Staatsbürgerschaftsprüfung) oder Handeln (z.B. mit dem Bürgermeister Hände Schütteln) zeigen sollen, dass sie sich dem Land kulturell angepasst haben.
Das Prinzip der „Parallelgesellschaft“: Eine Reihe Gesetze und Politiken beinhalten die Idee, dass sich kleine Parallelgesellschaften gebildet haben, in denen die Einwanderer sich vom Rest der Gesellschaft abkapseln und oft nach eigenen kulturellen Regeln lokal regieren. Diese Idee hat man kombiniert mit der Idee des Ghetto. Seit einem Jahrzehnt werden jährliche Ghettolisten angefertigt, und für diese Gebiete gelten oft besondere Regelungen. So z.B. dass der Strafrahmen einer kriminellen Handlung verdoppelt werden kann, dass Kinder in der 1. Klasse einen Sprachtest bestehen sollen, um weiter in die zweite Klasse zu kommen, oder das ganze Hochhauskomplexe runtergerissen werden sollen, um Platz zu machen für teurere Wohnungen, die sozio-økonomisch starke Familien anziehen sollen. Dieses Prinzip kann große Konsequenzen für viele türkische Familien haben, da viele in diesen Gebieten wohnen.
Das Prinzip der Islamophobie:
Schon seit den 70er Jahren hat eine islamophobische Rhetorik ihren festen Platz im Parlament gehabt. Sie war jedoch schwer in Gesetze zu verwandeln, wegen der menschenrechtlichen Aspekte. Zentrale Elemente sind weibliche Zudeckungsbekleidung, welche letztes Jahr zu einem „Maskierungsverbot“-Gesetz führte, Beschneidung von Jungen und Mädchen, Diskussionen, die mit denen der Parallelgesellschaft verbunden sind.
Das Prinzip „Vorübergehend“:
Das neueste Prinzip wurde vor Kurzem als radikal anders präsentiert. Ab sofort ist nicht Integration das Ziel des Aufenthalts von Flüchtlingen, sondern Rückkehr ins Heimland, sobald die Situation es zulässt. Dieses Prinzip war aber gar nicht so neu, den schon 2015 wurden im Gesetz die notwendigen Änderungen vorgenommen, und kurz danach gewissen Somaliern die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen oder nicht zu verlängern. Das Prinzip hat aber auch noch ganz andere Konsequenzen. Junge Menschen, zurzeit hauptsächlich Syrier, mit einer vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis, müssen selbst ihre Universitätsausbildung bezahlen, während sie gratis ist für Konventionsflüchtlinge oder Migranten mit anderer Aufenthaltserlaubnis.
Ein Blick in die Zukunft:
Neue Parlamentswahlen finden bald statt in Dänemark, und zum ersten Mal seit 1995 sieht es so aus, als ob die Dänische Volkspartei Plätze im Parlament verlieren wird. Nationalistische Politik ist jedoch so dominant in der Alltagspraxis zentraler Institutionen, und nationalistische Gesetze werden schon jahrelang von den grossen Parteien zusammen verabschiedet, dass es nur wenig bedeuten wird, ob die Regierung links oder rechts von der Mitte liegt. Viele der letzteren Gesetze fordern internationale Menschenrechte bis zur Grenze heraus, und selten ist Dänemark so sehr kritisiert worden wie in diesen Jahren.
Sollte ein kleiner Fleck Optimismus Platz finden in diesen Spalten, dann liegt er in der Observation von den Reaktionen der Zivilbevölkerung, die zu Protesten und auch zivilem Ungehorsam geführt hat. Sowohl Arbeitgeber, Schulen als auch die linken Parteien möchten das Vorübergehend Prinzip abschaffen, weil es einen unglaublich negativen psychologischen Effekt hat.
Quellen:
Anderson, Benedict (1991): Imagined Communities: Reflections on the origin and spread of nationalism.
Borchert, Thomas (17.3.2017): Wenn Torte politisch wird. Frankfurter Rundschau. Besucht am 6.4.2019 https://www.fr.de/politik/wenn-torte-politisch-wird-11043513.html
Danmarks Statistik (2018): „Tyrkere er den tredjestørste indvandrergruppe i Danmark”. https://www.dst.dk/da/Statistik/bagtal/2018/2018-06-22-tyrkere-er-den-tredjestoerste-indvandrergruppe-i-danmark. Besucht am 6.4.2019.
Hall, Stuart (1992): The West and the Rest. Discourse and Power.
Karschnick, Ruben (15.3.2017): Støjberg und die Torte bei Facebook: Eine Karikatur ihrer selbst. https://www.shz.de/deutschland-welt/politik/stojberg-und-die-torte-bei-facebook-eine-karikatur-ihrer-selbst-id16358731.html). Besucht am 6.4.2019.
Larsen, Vibe (2010): Nationale praktikker i børnehaven. Om relationen mellem forskelsstrukturer i småbørnspædagogikken og en nationalstatsorganisering. Roskilde: Roskilde Universitet.
Said, Edward (1978): Orientalism. New York: Pantheon Books.