Die im März 2014 erfolgte Abspaltung der Halbinsel Krim von der Kiewer Ukraine und der Anschluss an die Russische Föderation ist der Anlass für die Aggressions- und Sanktionspolitik der westlichen Allianz unter Führung der USA mit der NATO gegen Russland. Angeblich wurde der Ukraine-Konflikt – als Beginn des erneuten Kalten Krieges – von Russland verursacht. Aber die Chronologie der Ereignisse beweist etwas anderes.
Nach völkerrechtlicher Definition ist eine Annexion die gewaltsame Aneignung des Gebietes eines Staates durch einen anderen Staates, und sie erfolgt zumeist mit kriegerischen Mitteln und auf Dauer.[1] Es stellt sich also die Frage, ob die Separation der Krim, bei der kein einziger Schuss gefallen ist, tatsächlich eine Annexion im völkerrechtlichen Sinne gewesen ist.
Dazu schrieb der Rechtwissenschaftler Reinhard Merkel 2014 in der FAZ[2]: „Annexionen verletzen das zwischenstaatliche Gewaltverbot, die Grundnorm der rechtlichen Weltordnung. Regelmäßig geschehen sie im Modus eines ‚bewaffneten Angriffs‘, der schwersten Form zwischenstaatlicher Rechtsverletzungen. Dann lösen sie nach Artikel 51 der UN-Charta Befugnisse zur militärischen Notwehr des Angegriffenen und zur Nothilfe seitens dritter Staaten aus – Erlaubnisse zum Krieg auch ohne Billigung durch den Weltsicherheitsrat.“
Hätte es sich bei der Separation der Krim um eine Annexion gehandelt, wären also die Kiewer Ukraine zur Notwehr gegen die Russische Föderation, und dritte Staaten ohne ein UN-Mandat zur Nothilfe befugt gewesen. Das hätte offenen Krieg gegen Russland bedeutet, aber es gab keine Annexion. Reinhard Merkel warnt dementsprechend vor dem inflationären, leichtfertigen Gebrauch des Begriffs „Annexion“ und er kommt zu dem Ergebnis: „Was auf der Krim stattgefunden hat, war etwas anderes: eine Sezession.“
Eine Sezession bedeutet im Völkerrecht die Abspaltung eines Landesteils von einem Staat „mit dem Ziel, einen neuen souveränen Staat zu bilden oder sich einem anderen Staat anzuschließen“.[3] Das ist auf der Krim geschehen, und zwar nach einem des Längeren von auswärtigen Mächten, insbesondere den USA, vorbereiteten Putsch gegen die legitime Regierung.[4]
Dass die USA bei diesem „Regime Change“ eine entscheidende Rolle gespielt haben, womit sich bereits die damalige Europa-Beauftragte im US-Außenministerium, Victoria Nuland, gebrüstet hatte,[5] bestätigte US-Präsident Barack Obama am 1. Februar 2015 in einem Interview bei CNN. Zur sogenannten Annexion der Krim durch Russland sagte er: „Putin traf die Entscheidung in Bezug auf die Krim nicht etwa aus einer großen Strategie heraus, sondern einfach, weil er von den Protesten des Maidan und der Flucht von Janukowitsch überrascht wurde, nachdem wir einen Deal zur Machtübergabe ausgehandelt hatten.“[6]
Unmittelbar nach dem Regime Change in Kiew wurde von den Putschisten ein Verbot des Russischen als Zweitsprache beschlossen (später zurückgenommen). Die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko drohte, sie wolle „dem Drecksack [Putin] in die Stirn schießen“ und gegen die Russen Atomwaffen einsetzen.[7] Der Vorsitzende der rechtsextremen Swoboda-Partei, Oleg Tjagnibok, hatte dazu aufgerufen, „Russensäue, Judenschweine und andere Unarten“ zu bekämpfen.[8]
Unter diesen Umständen kam es auf der Krim zu Separationsbestrebungen. Nach dem Staatsstreich fand ein Referendum statt, bei dem sich ca. 80 Prozent der Wahlberechtigten für den Anschluss an Russland aussprachen.[9] Dem Referendum folgte eine Erklärung der staatlichen Unabhängigkeit und danach stellte die Autonome Republik Krim den Antrag auf Aufnahme in die Russische Föderation, dem stattgegeben wurde. Das war also die friedlich verlaufene Abspaltung der Krim von der Kiewer Ukraine.
Auch der Jurist Reinhard Merkel kommt zu dem Ergebnis, dass diese Abspaltung sowie das vorausgegangene Referendum nicht völkerrechtwidrig waren, er macht allerdings Einschränkungen: Sowohl die Sezession als auch das Referendum verstießen nach seiner Auffassung gegen die ukrainische Verfassung. Das sei aber keine Frage des Völkerrechts, und da die ukrainische Verfassung Russland nicht binde, konnte es dem Antrag auf Beitritt der Krim stattgeben. Dennoch sei die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation schon zwei Tage nach ihrer Abspaltung und aufgrund der militärischen Präsenz Russlands außerhalb seiner Pachtgebiete völkerrechtswidrig gewesen. Daraus folge jedoch nicht, dass die Separation der Krim „null und nichtig“ und der nachfolgende Beitritt zu Russland eine „maskierte Annexion“ sei. Vielmehr habe es sich um eine Sezession gehandelt.
Merkel kommt noch zu weitergehenden Schlüssen: Die völkerrechtswidrige russische Militärpräsenz habe zwar das zwischenstaatliche Interventionsverbot verletzt, das mache aber „die davon ermöglichte Sezession keineswegs nichtig“, berechtige andere Staaten jedoch zu „Gegenmaßnahmen, zum Beispiel Sanktionen“. Deren Verhältnismäßigkeit dürfe sich allerdings nicht an einem „fingierten Schreckgespenst“ bemessen, denn „Adressaten der Gewaltandrohung waren nicht die Bürger oder das Parlament der Krim, sondern die Soldaten der ukrainischen Armee. Was so verhindert wurde, war ein militärisches Eingreifen des Zentralstaats zur Unterbindung der Sezession.“[10]
Dem ist in der Grundaussage, dass die Sezession und das Referendum völkerrechtskonform waren, zuzustimmen, nicht jedoch den weiteren Schlussfolgerungen, der begleitende Schutz des Referendums durch russische Soldaten, sowie die unmittelbare Anerkennung der Republik Krim durch Russland seien völkerrechtswidrig gewesen. Die russischstämmige Krim-Bevölkerung fürchtete Krieg, insofern war der Einsatz der in Sewastopol stationierten russischen Einheiten zur Absicherung einer ordnungsgemäßen Durchführung der Wahlen und zum Schutz ihres Flottenstützpunktes in Sewastopol nicht zu beanstanden.
Da gemäß des Artikels 51 der UN-Charta in einem Konfliktfall Notwehr des Angegriffenen und Nothilfe seitens anderer Staaten rechtens ist, kann das nach der Unabhängigkeitserklärung auch auf die Krim Anwendung finden. Von einem Konfliktfall war in der damaligen Situation auszugehen. Auch ist zu bezweifeln, dass die ukrainische Verfassung nach dem Putsch noch Geltung hatte. Es herrschten kriegerische Zustände und nach dem Regime Change war die Ukraine dem Zugriff der USA ausgeliefert. Damit war auch die Garantie ihres territorialen Bestandes durch Russland nach dem sogenannten Budapester Memorandum[11] von 1994 obsolet.
Insofern war die Anwesenheit russischen Militärs vor den ukrainischen Kasernen erforderlich und die unverzügliche Aufnahme der Republik Krim in die Russische Föderation geboten – es war sozusagen eine humanitäre Intervention sui generis und somit völkerrechtskonform. Der Begriff „Annexion“ dient allein propagandistischen Zwecken.
Von Wolfgang Bittner erschien 2017 das Buch „Die Eroberung Europas durch die USA“.
Quellennachweise
[1] Vgl. Hans-Jürgen Schlochauer, Herbert Krüger, Hermann Mosler und Ulrich Scheuner, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 1, 2. Aufl., Berlin 1960, S. 68 ff.
[2] Reinhard Merkel, Kühle Ironie der Geschichte, Frankfurter Allgemeine v. 8.4.2014.
[3] Wikipedia, Sezession, mit weiteren Nachweisen, https://de.wikipedia.org/wiki/Sezession, 12.1.2019.
[4] Dazu: Wolfgang Bittner, Die Eroberung Europas durch die USA, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2017, Seiten 22f, 80ff, 117, 135, 154.
[5] Schon am 13. Dezember 2013 renommierte Victoria Nuland, in Washington damit, dass die USA mehr als fünf Milliarden Dollar für den “Regime Change“ in der Ukraine investiert hätten. Vgl. Wolfgang Bittner a.a.O., S. 18 i.V.m. S. 17 Fn. 16.
[6] RT Deutsch, https://deutsch.rt.com/10795/international/obama-im-cnn-interview-wir-ueberraschten-putin-mit-deal-zum-machttransfer-in-der-ukraine/, 12.1.2019.
[7] Vgl. Benjamin Bidder, http://www.spiegel.de/politik/ausland/timoschenko-telefonat-putin-in-die-stirn-schiessena-960554.html, 12.1.2019.
[8] Vgl. Andreas Förster, 9.3.2014, http://www.berliner-zeitung.de/politik/rechte-parteien-ukraine-npd-und-swoboda-gegeneuropa,10808018,26505664.html, 12.1.2019.
[9] Sputnik, Krim-Referendum, 17.3.2014, https://de.sputniknews.com/politik/20140317268050290-Krim-Referendum-9677-Prozent-stimmen-fr-Wiedervereinigung-mit/, 12.1.2019.
[10] Reinhard Merkel, a.a.O.
[11] Im Budapester Memorandum von 1994 garantierte Russland der Ukraine im Gegenzug zu deren Atomwaffenverzicht die bestehenden Grenzen.