Prof. Dr. Heinz Sünker | Universität Wuppertal
In einer Zeit, die wie zuletzt vor gut hundert Jahren durch gewaltige gesellschaftliche Spaltungen auf Grund lange nicht mehr so extrem gekannter sozialer Ungleichheit – primär mit äußerst negativen Konsequenzen auf unterschiedlichen Ebenen für die Lebensqualität der Benachteiligten und Ausgrenzten – gekennzeichnet ist, wird die Frage nach Bedingungen und Folgen für Individuen wie Gesellschaft immer wichtiger.
Dabei ist in Bezug auf die Bedingungsfrage klar, dass es sich um die Steigerung von Klassenspaltungen – als Ergebnis einer kapitalistischen Formung von Gesellschaft wie Politik – handelt, die von konservativer Seite aus durch die Ideologie der ‚Meritokratie‘, d.h. jedem/jeder nach Leistung, legitimiert werden soll.
Mit Bezug auf die Frage nach Folgen für Individuen wie Gesellschaft ist eine Überlegung von Heinrich Heine, einem der bedeutendsten europäischen Dichter und Schriftsteller, politischem Theoretiker und Praktiker interessant. Angesichts gesellschaftlicher Spaltungen, die innergesellschaftlich wie außenpolitisch zu seiner Zeit relevant waren, stellt er heraus:
„Wenn wir es dahin bringen, daß die große Menge die Gegenwart versteht, so lassen sich die Völker nicht mehr von den Lohnschreibern der Aristokratie zu Haß und Krieg verhetzen, das große Völkerbündnis, die Heilige Allianz der Nationen, kommt zustande, wir brauchen aus wechselseitigem Mißtrauen keine stehenden Heere von vielen hunderttausend Mördern mehr zu füttern, wir benutzen zum Pflug ihre Schwerter und Rosse, wir erlangen Friede und Wohlstand und Freiheit“ (Heine 1972/1832: 368f.).
Ein ähnliches argumentum ad personam wie bezogen auf strukturelle Verhältnisse spielt auch für P. Bourdieu eine große Rolle, wenn es um gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen und Attacken geht – vor allem in seinen Beiträgen unter dem Titel “Gegenfeuer”: “Aus Gründen, die zweifellos an mir sowie vor allem dem augenblicklichen Zustand der Welt liegen, bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass diejenigen, denen es vergönnt ist, ihr Leben der Untersuchung der Sozialwelt widmen zu können, nicht neutral oder indifferent gegenüber den Kämpfen sein können, in denen über die Zukunft dieser Welt entschieden wird. Diese Kämpfe sind zum wesentlichen Teil theoretische Auseinandersetzungen, in denen die Herrschenden auf unzählige sich spontan einstellende oder bezahlte Komplizenschaften zählen können – man denke etwa an die in die Tausende gehende Zahl von professionellen Lobbyisten, die sich in den Gängen der Brüsseler Kommission, des Europäischen Rates oder Parlaments tummeln. Die neoliberale Vulgata, eine ökonomisch-politische Orthodoxie, die so universell durchgesetzt und so einmütig akzeptiert ist, dass sich jegliche Diskussion und Infragestellung zu verbieten scheint, ist keineswegs aus einer spontanen Selbstzeugung hervorgegangen, sondern ganz im Gegenteil das Ergebnis eines ungeheuren Arbeitsaufwands, der in regelrechten Produktion-, Verbreitungs- und Interventionsunternehmen gebündelt und organisiert wird“ (Bourdieu 2001: 7f.).
Klar wird damit zweierlei für Antworten auf die Frage ‚was tun?‘, um die Perspektive Heines und Bourdieus zu realisieren: Zum einen geht es darum, die bezahlten wie unbezahlten Komplizen der herrschenden Klasse anzugreifen, die Rolle der rechten und rechtsradikalen Medien – in unterschiedlicher Gestalt – herauszuarbeiten und durch Aufklärung zu bekämpfen, u.a. zur Überwindung von Rassismus, Xenophobie.
Zum zweiten ist es wesentlich, deutlich zu machen, dass ein bedeutender Zusammenhang zwischen einem Konzept, das auf eine Bildung für alle im Interesse einer Bildung aller setzt, grundlegend für den Zusammenhang von demokratischer Bildung und der Bildung einer Demokratie, die diesen Namen verdient, ist.
Denn es handelt sich um die Erkenntnis, dass es eine substantielle Vermittlung von Frieden, Wohlstand und Freiheit gibt, was in dieser Trias nur gemeinsam mit allen Menschen zu erreichen ist. Dies meinen im Übrigen auch Wilkinson und Picket (2010), wenn sie als empirische Sozialforscher in einer aktuellen Studie von den Auswirkungen sozialer Ungleichheit handeln und als Ergebnis festhalten, dass „Gleichheit für jedermann/frau besser ist“.
Bourdieu, P. 2001: Vorwort, in: ders.: Gegenfeuer 2. Konstanz, 7-13
Heine, H. 1972: Französische Zustände, in: ders. Werke und Briefe in zehn Bänden, hg. von H. Kaufmann. Bd. 4. Berlin/Weimar, 363-581
Wilkinson, P./Pickett, K. 2010: The Spirit Level. Why Equality is Better for Everyone. London