Prof. Dr. Claus Melter | Hochschule Bielefeld
Deutschland war und ist ein rassistisches Land. Trotz und mit demokratischen Gegenbestrebungen.
Im Gesellschaftsverhältnis Rassismus in Deutschland angegriffene Personen wie Roma und Sinti, Schwarze Deutsche, Muslim*innen, Jüd*innen, Migrant*innen, geflüchtete Personen, als „nicht-weiß“, als „nicht deutsch aussehend“, „nicht Norm-Deutsch-sprechend“ kategorisierte Personen wurden und werden nicht ausreichend von Seiten der Dominanzgesellschaft unterstützt, geschützt und begleitet, sondern systematisch diskriminiert.
Und es gibt selbstorganisierten Widerstand der angegriffenen Personengruppen wie DAMIGRA, Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland oder den Zentralrat deutscher Roma und Sinti und viele andere..
Es besteht eine mehr als hundert Jahre anhaltende unterlassene Hilfeleistung, ein Leugnen der Gewalt und Straftaten des Rassismus und nationalstaatlicher Diskriminierung in der Dominanzkultur und dessen Bildungsinstitutionen und Medien. Ein Leugnen der unterlassenen Hilfeleistung für bestimmte Menschen.
Unterlassene Hilfeleistung ist es, wenn eine Person in eine Situation gebracht oder gelassen wird, wo ihre Menschenrechte, ihre Menschenwürde verletzt wird, und eine andere Person dies verursacht, dabei mitwirkt oder dies geschehen lässt, obwohl sie dagegen etwas unternehmen kann.
Unterlassene Hilfeleistung ist, wenn ein System von systematischer Menschenrechts- und Menschenwürdeverletzung vorhanden ist, und Menschen nicht dafür eintreten, dass die Menschenrechtsverletzungen, die Verletzungen der Integritäten der Menschen (die Menschenwürde) beendet oder abgeschwächt werden.
Nationalstaatliche Diskriminierung und Rassismus verletzen in ihrem Zusammenspiel die Menschenwürde, die Integritäten von Menschen weltweit, in der EU und in Deutschland. Die Logiken nationalstaatlicher Diskriminierung und des Rassismus beinhalten eine formale, gedankliche und/oder soziale Einteilung in Menschengruppen sowie dann der Bevorrechtigung der einen Gruppe und die teilweise oder vollständige Entrechtlichung der anderen Gruppen.
Rassismus kann mit Albert Memmi verstanden werden als die „Rasse“-Konstruktionen verwendende „verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver biologischer Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers ist, mit der eine Aggression gerechtfertigt werden soll.“ (Memmi 1992: 151) Grada Kilomba beschreibt Rassismus als Re-Inszenierung kolonialer Herr-Knecht-Konstellationen (vgl. Kilomba 2010). Das Besondere des aktuellen Rassismus in der BRD ist es, dass „Rasse“-Konstruktionen verbunden werden mit Konstruktionen von Kultur, Nation, Ethnie, Sprachfähigkeiten im Deutschen und christlicher Religionszugehörigkeit (vgl. Melter 2016). Rassismus in Deutschland ist als gesellschaftliches Machverhältnis anzusehen, welches auf allen Ebenen des Zusammenlebens strukturell, institutionell, in Diskursen, Interaktionen und Selbstverständnissen bedeutsam gemacht, kritisiert und ausgehandelt wird (vgl. Rommelspacher 2009). „Rasse“-Konstruktionen finden sich heute in einer Verflechtung mit anderen Denkfiguren, die aber alle ohne die historisch alten und doch weiterhin wirksamen Inhalte der „Rasse“-Konstruktion (vgl. Kelly 2016) massiv abgeschwächt würden. Natasha A. Kelly plädiert daher dafür, soziokulturelle bzw. sozialpolitische „Rasse“-Konstruktionen in ihren Wirkungsweisen zu untersuchen sowie diese als Analyse-Kategorien zu benutzen, um ungleiche Macht- und Gewaltverhältnisse zu analysieren, zu kritisieren und zu verändern (Kelly 2016: 177).
Kolonialismus, Nationalsozialismus und heutiger Rassismus müssen zusammen gedacht werden.
Hannah Arendt verstand unter der Banalität des Bösen (vgl. Arendt/Fest 1964/2011) die Unfähigkeit sich in die Lage und Perspektive anderer Personen hinein zu versetzen. Mehr noch als die Unfähigkeit handelt es sich bei Rassismus und nationalstaatlicher Diskriminierung auch um den Unwillen, die Lagen und Perspektiven anderer Personen einzunehmen. Oder es ist das bewusste Ignorieren oder gar Befürworten der Verletzung der Würde, der Integritäten von rassistisch und nationalstaatlich kategorisierten und abgewerteten Personen und Personengruppen, das Ausschließen aus dem Kreis derjenigen, denen Respekt, Menschsein und Menschenwürde zugestanden wird.
Die Verletzung der Menschenwürde, der physischen, psychischen, kognitiven, sozialen, rechtlichen und räumlichen Integritäten (vgl. Gebrande/Melter/Bliemetsrieder 2017) und das Nicht-Einschreiten gegen diese Verletzungen (trotz einer möglichen Intervention) bedeutet eine unterlassene Hilfeleistung. Bei den letzten Auschwitz-Prozessen (28.11.2016 Die Welt) hieß es, dass auch die Mitwirkung an einem Unrechtssystem, in dem Menschen gefoltert und ermordet werden, eine Mitschuld bedeutet, wenn die Person sich davon wissend dafür entscheiden. Denn sie konnten das System und die Gewalt nicht oder weniger unterstützen oder gar kritisieren oder in Teilen destabilisieren.
Auch das Nicht-Einschreiten gegen nationalstaatliche Diskriminierung und Rassismus ist eine nicht wahrgenommene Verantwortung, einige würden auch sagen: Schuld, eine unterlassene Hilfeleistung. Iris Marion Young spricht vom sozialen Verbindungsmodell geteilter Verantwortung (Social Connection Model of Responsibility, Young 2006). Sie plädiert, dass alle Personen nicht nur ihre juristische, sondern auch ihre institutionelle, zivilgesellschaftliche politische und moralische Verantwortung für Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges analysieren. Alle sollen nachdenken und darüber sprechen, wo, wie und mit wem sie Verantwortung für gerechtere Verhältnisse übernehmen können. Was können wir gegen menschenrechtswidrige Ungleichheitsverhältnisse tun?
Rassismus ist mit den anderen Ungleichheitsverhältnissen (Kapitalismus, Geschlechter- und Behinderungsverhältnissen u.a.) intersektional verwoben (vgl. Crenshaw 2004) und unterscheidet sich von diesen durch die Verwendung von „Rasse“-Konstruktionen. Vielfach wird auch in herrschaftskritischen Analysen diese bedeutsame Realität geleugnet:
Deutschland war und ist ein rassistisches Land. Trotz und mit demokratischen Gegenbestrebungen.
Am 21. Juli 2017 wird in New York die Gerichtsverhandlung der Herero gegen die Bundesrepublik wegen des von Deutschen verübten Völkermordes an den Herero und Nama 1904 bis 1908 im heutigen Namibia verschoben, weil die deutschen Behörden die Annahme der Anklageschrift verweigern (vgl. Süddeutsche 22./23. Juli 2017). Nach mehr als 100 Jahren hat sich keine deutsche Regierung in Bezug auf den Völkermord an den Herero und Nama öffentlich entschuldigt wie es beispielsweise in Bezug auf die Kooperation der deutschen Regierung mit den Tätern des Völkermordes an den Armenier*innen in diesem Jahr erfolgt ist. Israel Kaunatjike, einer der bekanntesten Vertreter der Herero in Deutschland, verweist auf den seit Jahrzehnten größer werdenden Protest der Herero und Nama in Namibia, Deutschland und anderen Ländern, gegen diese skandalöse Verweigerung der deutschen Regierung (Kaunatjike 2017). Auch der von Deutschen verübte Völkermord an den Maji-Maji in Tansania kommt zunehmend in das öffentliche Bewusstsein und es erfolgt in Tansania eine Sammlung der Protestbewegung, die auch zu einer offiziellen Klage gegen Deutschland führen kann. Auch hier keine offizielle Anerkenntnis der Tatsache des Völkermordes von deutscher Seite.
Die Anerkennung der Tatsache des Völkermordes an den Jüdinnen und Juden sowie anderen Gruppen war nach dem militärisch verlorenen Zweiten Weltkrieg unausweichlich, um wieder die Anerkennung und die Unabhängigkeit als Staat in der Staatengemeinschaft zu erhalten.
Die große LEUGNUNGSERZÄHLUNG nach dem Nationalsozialismus war, dass es VOR dem Nationalsozialismus keine kolonialen von Deutschen verübte Völkermorde gegeben hätte, das es keinen Rassismus und Antisemitismus sowie keine Feindlichkeit gegen „kranke“ und „behinderte“ Menschen, keine Feindlichkeit und Verfolgung gegen Sinti und Roma in der Bevölkerung und durch den Staat vor dem Nationalsozialismus gegeben hätte und keine Leugnung der Existenz afrikanischer Deutsche (vgl. El-Tayeb 2011) gegeben hätte.
Und nach 1945 wurde verschleiert, dass viele nationalsozialistische Täter*innen in zentrale gesellschaftliche Positionen in alle Branchen wieder gelangten und die Einstellung großer Teile der Bevölkerung, der Dominanzkultur, weiterhin rassistischen Denkfiguren verhaftet war. Professionen de-thematisierten die aktive Mitwirkung an der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, z.B. die Soziale Arbeit (vgl. Kappeler 2000).
Die Gegenwart des Rassismus zeigt sich heute in allen Bereichen des Zusammenlebens.
Am 31. März 2017 wurde Shaden M., eine Austauschstudentin aus Ägypten, in Cottbus von einem Auto, das vorher beschleunigt wurde, getötet. Später sollen die Täter an den Unfallort zurückgekehrt sein und die Opfer rassistisch verhöhnt haben. Dass es eine rassistische Gewalttat war, haben erst antirassistisch engagierte Personen veröffentlicht, die Polizei hatte nicht in diese Richtung ermittelt (vgl. junge welt 12./13. August 2017).
Mitte Juli 2017 verhaften italienische Behörden Aktivist*innen, die im Mittelmeer geflüchtete Personen vor dem Ertrinken retten. Zudem hat die EU Verträge mit Libyen abgeschlossen, damit Libyen mit Militärbooten geflüchtete Personen in einer Zone vor der Küste abfängt und zurück deportiert. In Libyen findet bekanntermaßen keine rechtsstaatliche Asyl-Anhörung nach EU-Standards statt. Da die EU-Staaten keine gleichmäßige Verteilung der geflüchteten Personen der in die EU einreisenden geflüchteten Personen verweigert und Italien und Griechenland sich überfordert sehen, setzen auch diese Länder auf Abschottung und militärische Abwehr der geflüchteten Personen, dies sollen afrikanische Länder in Kooperation mit der EU-Organisation Frontex übernehmen.
Rassistische Anschläge gegen Wohnheime von geflüchteten Personen und gegenüber als „Flüchtlinge“ oder „Migrant*innen“ angesehene Personen erreichen 2016 und 2017 regelmäßig Höchststände (vgl. Pro Asyl 2016; 2017). Und in Medien und Politik werden keine systematischen Forderungen gegen rassistische Terror-Netzwerke formuliert. Und Polizei und Justiz verfolgen rassistische Straftagen gar nicht oder nachlässig (vgl. Amadeu Antonio Stiftung 2012).
Im Rahmen des NSU-Prozesses und vor allem in vielen Landtags- und Bundestags-Untersuchungs-Kommissionen wurde aufgezeigt, dass Justiz, Staatsanwaltschaften und Politik die rassistischen Morde nicht professionell untersuchte und verfolgten, da fast ausschließlich als Migrant*innen geltende Personen verdächtigt wurde, viele V-Mitarbeiter*innen wurden in den Ermittlungen und im Prozess nicht enttarnt und damit die Findung der Wahrheit und weiterer Mittäter*innen verhindert (vgl. Süddeutsche 2017).
Das Asylrecht wird systematisch in den letzten Jahren weiter grundrechtswidrig verschärft, die geflüchteten Personen werden von unqualifizierten Mitarbeitenden des BAMF in Asylverfahren abgelehnt (vgl. Die Welt 03.06.2017) und in Bürgerkriegsländer wie Afghanistan menschen- und grundrechtswidrig deportiert, wo ihnen Gefahr für Leib, Leben und Freiheit bekanntermaßen droht. Weiterhin widerspricht die eingeschränkte Gesundheitsversorgung für geflüchtete Personen der UN-Kinderrechts- und der Frauenrechtskonvention (vgl. Prasad 2017).
Auch die ethnisch-rassistische Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt gegenüber als Migrant*innen angesehene Personen wird nicht von Seiten der Wirtschaft und der Politik angegangen.
In Bezug auf Praxen des Racial Profiling, weist Frank Olaf Radtke (2013) daraufhin, dass diese nicht nur im Kontext von NSU-(Nicht)Ermittlungen[1] sowie Grenz- und Polizeikontrollen erfolgen, sondern auch im Bildungssystem, indem ethnisierende-rassialisierende Konstruktionen mit Benachteiligungspraxen (bei Zugang zu Bildungseinrichtungen, Förderung und Benotung sowie Personalgestaltung) einhergehen. „(M)an kann eine Parallele zum NSU-Desaster ziehen, das als eklatantes Staats- und Medienversagen diskutiert wird. Ich habe den Eindruck, dass auch in der Bildungsforschung nicht „in alle Richtungen ermittelt“ wird. Man müsste bei der Forschungsförderung darauf achten, dass auch die Spuren im Bildungssystem verfolgt werden, die für Schule und Politik nicht so angenehm sind. Ein Bildungssystem, das einen von der Herkunft unabhängigen Bildungserfolg nicht garantieren kann, ist in einer modernen Einwanderungsgesellschaft ein Skandal. Ein Skandal, der nicht so ohne weiteres mit ein paar zusätzlichen Förderstunden und Kindergartenplätzen zu erledigen ist.“ (Radtke 2013)
Auch die Regelung der neuen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, Studiengebühren für Studierende abzuschaffen, nicht jedoch für Studierende aus Nicht-EU-Ländern spricht nicht nur allem Reden von Internationalisierung und interkulturelle Öffnung Hohn, es entspricht auch kolonialen und rassistischen Ausgrenzungslogiken des „Europe First“.
Jahrzehntelanger Widerstand und wissenschaftliche rassismuskritische Expertise
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (www.isdonline.de), Migrant*innen-Selbstorganisation wie DAMIGRA oder die Initiative Deutsch-Plus (www.deutsch-plus.de) sowie Selbstorganisationen von Migrant*innen und Organisationen wie Pro Asyl verweisen seit langem auf die Geschichte und Gegenwart rassistischer, ethnisierender und nationalstaatlicher Diskriminierung. Wissenschaftler*innen wie Fatima El-Tayeb, Maisha Eggers, Paul Mecheril, Mark Terkissidis, Astride Velho, Nkechi Madubuko, Natasha A. Kelly, Adetoun Küppers-Adebisi, Michael Küppers-Adebisi und Nivedita Prasad publizieren seit Jahrzehnten Texte gegen Rassismus, fördern Selbstorganisation von Schwarzen Deutschen, Migrant*innen und geflüchteten Personen, Empowerment und fordern Angehörige der Dominanzgesellschaft zu einer Bündnis-Kooperation gegen Rassismus und Diskriminierung auf.
(Noch) bestehender Widerstand, die Rassismus-Tatsache anzuerkennen und nationalstaatliche Diskriminierung und Rassismus, die beide Menschenwürde verletzen, anzugehen
Doch die diskriminierend und rassistisch handelnde Dominanzgesellschaft und ihre staatlichen Institutionen blocken gegenüber den rassismuskritischen zivilgesellschaftlichen Forderungen und emanzipatorisch kritischen Forschungen ab. Eine ernsthafte und auf Änderung abzielende Auseinandersetzung gegenüber institutionellem Rassismus in Polizei, Justiz, Bildung, Sozialer Arbeit, Wohnbaugesellschaften und auf dem Arbeitsmarkt wird weiter verweigert, aber die Forderungen und Gruppen werden stärker werden. Die auch von diversen EU-Kommissionen bestätigte unterlassene Hilfeleistung gegenüber der Gewalt des Rassismus seitens staatlicher Behörden und staatlich finanzierter Organisationen wird von den Regierungsparteien fortgesetzt werden, aber die Kritiker*innen werden nicht mehr zum Schweigen zu bringen sein. Wie Israel Kaunatjike sagte: „Wir werden weitermachen bis wir eine offizielle Entschuldigung und Reparationen bekommen!“
Gegen Integritäten-Verletzungen vorgehen
Als diskriminierungs- und rassismuskritische sowie integritäten-orientiert ambitionierte Handlungspraxen können u.a. folgende Grundlagen und Zielvorstellungen (vgl. Gebrande/ Melter/ Bliemetsrieder 2017) angesehen werden.
- der Schutz und Ermöglichung von Integritäten aller Menschen;
- die Begleitung und Unterstützung von Personen, deren Integritäten verletzt wurden;
- die auf Nachvollziehen und Veränderung abzielende Arbeit mit Personen, welche die Integritäten anderer Personen verletzen;
- Teilhabe-Ermöglichen aller Gruppen an hegemonialen Bildungs-, Lebens- und Arbeitsverhältnissen;
- Selbstbestimmung und Mitbestimmung aller Adressat_innen in der Weise, dass eigene Integritäten geschützt und ermöglicht sowie die Integritäten anderer Personen nicht verletzt werden und
- Kritik und Verändern-Wollen hegemonialer, ausgrenzender, benachteiligender Bildungs-, Lebens- und Arbeitsverhältnisse, die die Integritäten von Gruppen systematisch einschränken und verletzen.
Wie können Hilfeleistungen gegen Rassismus und nationalstaatliche Diskriminierung konkretisiert werden?
Dies kann umgesetzt werden durch eine Quote für migrantische/Schwarze Deutsche in allen Berufsbereichen (z.B. Professuren, Schulleitungen, DAX-Unternehmen) von 20 Prozent, was dem Bevölkerungsanteil entspricht.
Durch die Abschaffung des Asylbewerber*innen-Leistungsgesetzes und eine rechtliche Gleichstellung mit allen anderen Bürger*innen, da diese sich an der Menschenwürde orientieren. So entschied das Bundesverfassungsgericht, das Regelungen, die sich an der Menschenwürde orientieren, nicht durch migrationspolitische Regelungen und Gesetze eingeschränkt werden dürfen (Bundesverfassungsgericht 18.07.2012). Diese höchstgesetzliche Regelung wird systematisch durch Verschärfungen des Asylrechts gebrochen.
Durch einen Abschiebestopp in Länder wie Afghanistan, wo Leib, Leben und Freiheit der Menschen massiv gefährdet sind.
Durch das Ermöglichen legaler Migrationsrouten und Bleiberechtsperspektiven für Menschen, die aufgrund lebensbedrohlicher Armut, Krieg und Verfolgung fliehen.
Durch eine Kenntnis der rechtsverbindlichen Menschenrechtskonventionen wie der UN-Kinderrechtskonvention, UN-Frauenrechtskonvention, UN-Behindertenrechtskonvention u.a. und das Anwenden auf bestehende Gesetze, Rechtsauslegungen und Handlungen: Werden die Integritäten, Rechte ALLER Menschen gewahrt oder verletzt?
Durch eine Auseinandersetzung mit Rassismus und Theoretiker*innen, Aktivist*innen und Literat*innen wie W.E.B. du Bois, Audre Lorde, May Ayim (vgl. Kelly 2016), Mark Terkessidis oder Kübra Gümüsay.
Durch eine Analyse, wo, wie und mit wem sich wer in und außerhalb von Organisationen vernetzen und aktiv gegen Diskriminierung, Ungleichheit und Rassismus werden wollen. Denn: „Wir können es uns nicht länger leisten ruhig zu sein!“ (Kübra Gümüsay 2016). Und das gilt auch für im Rassismus privilegierte „weiße“ Personen, denn Rassismus schadet allen.
Literatur:
Amadeu Antonio Stiftung (2012): Das Kartell der Verharmloser. Wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremen Alltagsterror bagatellisieren, Berlin
Arendt, Hannah/ Fest, Joachim (1964/2011): Eichmann war vom empörender Dummheit. Gespräche und Briefe. München: Piper
Ausnahmslos (2016): Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall. Ausnahmslos. www.ausnahmslos.org
Bundesregierung (2017): 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Berlin
Bundesverfassungsgericht (20.07.2012): Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig. Pressemitteilung Nr. 56/2012 vom 18. Juli 2012 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2012/bvg12-056.html
Crenshaw, Kimberlé (2004): Intersectionality. The Double Bind of Race and Gender. Interview mit der Zeitschrift Perspective. www.abanet.org/women/perspectives/Spring2004CrenshawPSP.pdf (Zugriff: 27.04.12).
Du Bois, William Edward Burghardt (2003): Die Seelen der Schwarzen.The Souls of Black Folk. Übersetzt von Barbara Meyer-Wendt und Jürgen Meyer-Wendt. Mit einem Vorwort von Henry Louis Gates Jr., Freiburg: Orange-Press.
El-Tayeb, Fatima (2011): Anders Europäisch. Rassismus, Identität und Widerstand im vereinten Europa. Münster: Unrast
Flieger, Petra/Schönwiese, Volker (Hrsg.) (2011): Menschenrechte – Integration – Inklusion. Aktuelle Perspektiven aus der Forschung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Gebrande, Julia/ Melter, Claus/ Bliemetsrieder, Sandro (2017): Anregungen für Orientierungspunkte und Analysekriterien einer kritisch ambitionierten Sozialen Arbeit. In: dies. (Hrsg.): Kritisch ambitionierte Soziale Arbeit. Intersektionale praxeologische Perspektiven.Weinheim/ München: Beltz/ Juventa, S. 390-405.
Gümüsay, Kübra (2016): Organisierte. Rede auf der Res Publica. Berlin 2016: https://www.youtube.com/watch?v=BNLhT5hZaV8
Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD): Homepage: isdonline.de
Junge Welt (03.08.2017): Wieviel Staat steckt im NSU? Berlin https://www.jungewelt.de/bibliothek/dossier/174
Junge Welt (12./13. August 2017): Überfahren und verhöhnt. Autofahrer sollen ägyptische Studentin ermordet habe. Beamte ignorieren Hinweise, Berlin
Kappeler, Manfred (2000): Der schreckliche Traum vom vollkommenen Menschen. Rassenhygiene und Eugenik in der Sozialen Arbeit. Marburg: Schüren.
Kaunatjike, Israel (2017): “It cannot be about us without us: Anything about us without us, is against us” Vortrag von Israel Kaunatjike (Herero Aktivist vom Bündnis Völkermord verjährt nicht) an der FH- Bielefeld
Kelly, Natasha A. (2016): Afrokultur. „der raum zwischen gestern und morgen“. Münster: Unrast
Kilomba, Grada (2010): Plantation Memories: Episodes of Everyday Racism. Münster: Unrast, 2. Auflage
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Memmi, Albert (1992): Rassismus”, Hamburg: RoRoRo
Prasad, Nivedita (2017): Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession im Kontext von Flucht. In: Gebrande, Julia/Melter, Claus/Bliemetsrieder, Sandro (Hrsg.): Kritisch ambitionierte Soziale Arbeit. Intersektionale praxeologische Perspektiven. Weinheim/ München: Beltz/ Juventa.
Pro Asyl (2016): Gemeinsam gegen Rassismus! https://www.proasyl.de/thema/rassismus/
Pro Asyl (2017): Das Problem heißt Rassismus und es ist hausgemacht. https://www.proasyl.de/news/das-problem-heisst-rassismus-und-es-ist-hausgemacht/
Radtke, Frank-Olaf (2013): Frühkindliche Bildung ist nicht die Lösung. https://mediendienst-integration.de/artikel/wir-muessen-in-alle-richtungen-nach-den-ursachen-suchen.html
Rommelspacher, Birgit (2009): Rassismus – was ist das eigentlich? In: Claus Melter und Paul Mecheril (Hrsg.): Rassismuskritik Band I: Rassismustheorie und –forschung, Schwalbach/Ts, S. 25-38.
Süddeutsche Zeitung (22./23. Juli 2017): Abwarten nach mehr als 100 Jahren. Der deutsche Vernichtungskrieg gegen Herero und Nama beschäftigt Gerichte und Politik, jetzt verzögert eine Klage die Verhandlungen. München
(Die) Welt (03.06.2017): Hunderte Asyl-Entscheider offenbar unqualifiziert. Hamburg. https://www.welt.de/politik/deutschland/article165215610/Hunderte-Asyl-Entscheider-offenbar-nicht-qualifiziert.html
(Die) Welt (28.11.2016): Wer in Auschwitz Dienst tat, machte sich schuldig. https://www.welt.de/politik/deutschland/article159821331/Wer-in-Auschwitz-Dienst-tat-machte-sich-schuldig.html
Young, Iris Marion (2006): Responsibility and Global Justice. https://www.biu.ac.il/law/cjdl/doc/Young_2006.pdf
[1] Die NSU (nationalsozialistischer Untergrund) ermordete als rassistische Terrororganisation 9 Personen, die als mit Migrationshintergrund von den Täter*innen definiert wurden, und eine Polizistin ohne Migrationshintergrund. Über zehn Jahre wurden fast ausschließlich „Migrant*innen“ als Täter*innen seitens der Strafverfolgungsbehörden verdächtigt. Die Dominanzangehörigen Täter*innen, das Netzwerk ihrer Unterstützer*innen bei den Morden vor Ort sowie die in diesem Netzwerk tätigen Verfassusngsschutz-Mitarbeiter*innen blieben unbehelligt. Das Netzwerk um diese Kerngruppe und die Verfassungsschutzmitarbeitenden blieben auch im Münchener Gerichts-Prozess, der 2018 enden wird, unbehelligt (vgl. junge welt 03.8.2017)