Prof. Dr. Michael Winkler
Bekanntmachung des Projekts Erweiterung des Menschenrechts auf Bildung 2018
Ein klein wenig feierlich darf und soll der Ton nun doch sein: Es ist mir eine Freude, heute, jetzt und hier ganz offiziell das Projekt bekannt zu machen, das wir heute mit einer ersten Tagung auf den Weg gebracht haben – und wenn ich das so recht sehe: eigentlich erfolgreich, in einer guten Atmosphäre eines gemeinsamen Gesprächs.
Das Projekt trägt also den Namen „Erweiterung des Menschenrechts auf Bildung“; Aufgabe und Ziel ist es, das geltende Menschenrecht auf Bildung zumindest weiter auszubuchstabieren, für dieses neue Dimensionen zu erfassen und festzuhalten, am Ende eben auch die Instanzen zu einer solchen Erweiterung zu bewegen, die dafür zuständig sind.
Ja, wir sind ein bisserl größenwahnsinnig, tollkühn: Wir wollen nämlich die Vereinten Nationen dazu bewegen, in welcher Weise auch immer, eine solche Erweiterung des Menschenrechts zumindest in Erwägung zu ziehen. Das kann unterschiedlich geschehen, in einer erklärenden und kommentierenden Form des geltenden Menschenrechts auf Bildung, in einer Konvention, vielleicht tatsächlich in Änderungen des Wortlauts. Das wäre Plan A.
Und der Plan B? Der Plan B lautet, dass wir alle gemeinsam möglichst viele bewegen, die Frage nach dem Menschenrecht auf Bildung und nach seiner Erweiterung zu diskutieren, um auf diese Weise inhaltlich und in der Sache das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass und wie Bildung in der Tat nicht bloß ein Schlüsselthema ist, sondern die menschheitliche Aufgabe und Verpflichtung schlechthin darstellt.
Plan a und Plan B eint dabei eine, die vielleicht entscheidende Absicht: es geht darum, eine Debatte zu führen, sowohl über die grundlegende Bedeutung der Menschenrechte, wie ganz besonders über das der Bildung, über das human right on education. Ist das nötig? Ja, aus vielen Gründen sogar: Menschenrechte sind nicht selbstverständlich, weder als gesatztes und geschriebenes Recht, wie es sich in den Verfassungen vieler Staaten findet, noch als Praxis – übrigens sowohl des staatlichen Handelns, der Politik und der Verwaltung wie insbesondere auf allen Ebenen des menschlichen Lebens, Fühlens, Denkens und Handelns. Die Menschenrechte müssen immer wieder aufgegriffen, wiederholt, ja, gedanklich und praktisch eingeübt werden; sie müssen diskutiert werden im Blick auf die Lebensverhältnisse allzumal in ihren Veränderungen. Menschenrechte müssen im Gespräch bleiben, sie müssen Teil unserer Gedankenwelt und unseres Redens sein; Menschenrechte brauchen eine lebendige und praktische Präsenz.
Denn die größte Gefahr für die Menschenrechte besteht wohl darin, dass sie für selbstverständlich gehalten werden und damit in Vergessenheit geraten – auch und ganz besonders in den Gesellschaften und Staaten, in welchen die Meinung vorherrscht, die Menschenrechte seien doch gewahrt, in jedem Augenblick, durch die Institutionen der Politik, Rechtspflege und Verwaltung. Nein: das ist ganz und gar nicht sicher, die politischen Auseinandersetzungen können schnell zur Missachtung der Menschenrechte führen, wenn Machtverhältnisse gefährdet erscheinen – vielleicht, weil historisch eine Situation eingetreten ist, die man so nicht kannte und die durcheinander wirbelt, was vertraut schien. Die Menschenrechte müssen immer wieder aufgegriffen, wiederholt, ja, gedanklich und praktisch eingeübt werden – und zwar von uns allen.
Die zweite, nicht minder große Gefahr für die Menschenrechte, für alle Menschenrechte besteht dort und dann, wenn Menschen, wenn große Gruppen oder gar ganze Gesellschaften beginnen, aus welchen Gründen auch immer, andere Menschen zu kategorisieren, auszugrenzen, mehr noch: wenn sich ein Ton der Härte und Kälte breitmacht, wenn entsteht, was als moralische Blindheit bezeichnet wird. Es gibt weltweit deutliche Anzeichen dafür, dass das eben passiert: In den sozialen Medien machen sich Hassparolen breit, in nahezu allen europäischen Gesellschaften erstarken Gruppen, die zwischen denen hier, zwischen dem Wir und den Anderen unterscheiden, Menschen als fremd demarkieren, ihnen die grundlegende Bestimmung des Menschen absprechen. Da wird schnell verfügt, ohne auch nur die geringste Bemühung um ein Kennenlernen und die Entdeckung der Gemeinsamkeit. Dabei sind Gemeinsamkeiten viel größer als all die Unterschiede, die uns angeblich auf- und einfallen – übrigens gerade dort, wo es um Bildung geht. In der Forschung wird jedenfalls von Tendenzen des „othering“ gesprochen, von Tendenzen, Menschen als die Anderen, als die Fremden abzutun und abzugrenzen. Wie machtvoll solche Tendenzen gegenwärtig sind, merkt man übrigens noch daran, dass und wie jene betroffen sind, die doch schon lange in den Gesellschaften sind, schon lange in diesen leben.
Es gibt endlich noch eine dritte Gefahr: Sie zeigt sich darin, dass Menschen meinen, es gäbe zuständige Organe für die Wahrung der Menschenrechte: Das sollen doch die Politiker machen! Da sind doch die Gerichte zuständig! Oder neuerdings: Das kann doch die Soziale Arbeit machen, die sich doch inzwischen als Menschenrechtsprofession profiliert! Desengagment kann man diese Tendenz nennen, die nicht bloß mit Gedankenlosigkeit zu tun hat, sondern manchmal auch mit einer Müdigkeit, die in Gesellschaften sich breit macht, die von ihren Bürgern ständig Verantwortung abverlangen; man kann nicht ausschließen, dass die modernen Gesellschaften der Gegenwart mit ihren zwei Entwicklungen hin zur Individualisierung einerseits, hin zur Spezialisierung ihrer Systeme andererseits hochgradig gefährlich sich auf die Menschenrechte auswirken. Wir sind hier als Individuen gefordert für das Ganze – und können uns nicht auf Experten verlassen.
Nein, ganz und gar nicht: es gibt eigentlich keine Spezialisten für die Menschenrechte, auf die man die Beschäftigung mit diesen abschieben, auf die man sich dann beufen kann. So nach dem Motto: Die werden es schon richten. Es gibt gewiss Expertinnen und Experten – die vielleicht sogar sagen, dass unser Projekt vergebens sei. Aber das entlässt niemanden aus der Verantwortung. Wir alle, jede und jeder von uns muss sich mit der Frage nach den Menschenrechten befassen, mit ihren Forderungen, mit einer Lebenspraxis, die diesen Rechten genügen muss. Wir selbst sind die Expertinnen und Experten – wir sind verpflichtet. Eben auch in den Bereichen, die uns besonders am Herzen liegen – nämlich in dem Bereich der Bildung, der Erziehung und des Unterrichts.
Benötigt wird für dieses Projekt deshalb ein breites Bündnis, in allen Ländern und Gesellschaften, die sich auf die Debatte einlassen. Also NGOs weltweit, Bildungs- und Lehrergewerkschaften, Vereinigungen und Verbände von Studierenden und Schülern, Universitäten selbstverständlich, die zuständigen Ministerien – und endlich und eigentlich: jede und jeder, die oder der in Handlungsfelder unterwegs ist, die mit Bildung zu tun hat, die oder der über Bildung nachdenkt, pädagogisch aktiv ist, in Praxis und Theorie. Alle sollen Ideen entwickeln, wie eine solche Erweiterung aussehen kann oder muss – und eingeladen sind auch alle, die Vorbehalte haben. Die Lage ist ja keineswegs eindeutig – es kann sein, dass zu allererst daran zu arbeiten ist, das geltende, von den Vereinten Nationen festgesetzte Menschenrecht überall, für jede und jeden zu realisieren.
Zwei Jahre soll dieses Projekt in Anspruch nehmen, von dieser Auftakttagung bis ins Jahr 2018. Wenigstens eine weitere Tagung ist für das nächste Jahr geplant – es wird gewiss nicht dabei bleiben, weil schließlich alle aufgefordert sind, Ideen und Anregungen zu sammeln, Vorschläge und Einsprüche. Das Projekt wird organisiert – eigentlich wiederum von allen Beteiligten. Das hat schon etwas mit grass roots zu tun. Aber helfen sollen dabei zwei, ebenfalls eher lockere Gremien, nämlich eine Koordinierungsstelle und ein wissenschaftlicher Beirat. Hier wie dort geht es darum, die möglichen Ideen zu sammeln, gar nicht zu bewerten, wohl aber gedanklich zu übersetzen und so zu verbinden, dass dann doch ein vortragsfähiges Konzept entsteht.
Aus der Tagung im Frühjahr des nächsten Jahres soll und wird dann eine Publikation entstehen, mit einem ersten Katalog, mit Debattenbeiträgen, vielleicht auch schon mit Reaktionen aus Öffentlichkeit und Politik. Und vielleicht gelingt es dann, im zweiten Jahr des Projekts eine Abstimmung unter den Beteiligten durchzuführen, um einen gemeinsamen Katalog zu erstellen – möglicherweise zum Vortrag in den nationalen politischen Gremien, dann auf höherer Ebene.
Selbstverständlich weiß ich, wissen wir alle, dass solche Prozesse nicht in zwei Jahren erfolgreich zu Ende zu bringen sind. Wer die Geschichte der UN-Konventionen ein wenig nur verfolgt hat, rechnet tatsächlich mit Jahrzehnten – zumal die Zeiten keineswegs einfacher geworden sind, wie sehr heute die Kommunikation sozusagen in real time erfolgt. Wahrscheinlich erschwert das die Sache sogar. Aber noch einmal, unter Nutzung eines ein wenig platten Spruches: es könnte durchaus der Fall sein, dass der Weg das Ziel ist. Aber das sollte uns gar nicht davon abhalten, diesen Weg zu beschreiten, ihn zu gehen. Man kann ja nie ausschließen, dass man doch ankommt.