Aufgrund der Covid-19-Pandemie, der von ihr mit ausgelösten Rezession sowie der unausgewogenen Finanzhilfen des Staates haben sich die Lebens-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Menschen weiter auseinanderentwickelt. Nur durch Beantwortung der Frage, wer unter der Coronakrise am stärksten gelitten und wer von ihr am meisten profitiert hat, kann man die richtigen politischen Schlussfolgerungen aus der Pandemie ziehen.
Hauptleidtragende der Pandemie: Finanz- und Immunschwache
Weil sich der Gesundheitszustand, die Arbeits- und Lebensbedingungen sowie die Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnisse der Gesellschaftsmitglieder zum Teil erheblich voneinander unterscheiden, sind auch die Infektionsrisiken sehr ungleich auf die einzelnen Berufsgruppen, Klassen und Schichten der Bevölkerung verteilt. Mit den von Bakterien ausgelösten Epidemien, die Deutschland im 19. Jahrhundert heimgesucht haben – Cholera, Tuberkulose und Typhus –, teilt die Covid-19-Erkrankung das Wesensmerkmal, die Immun- und Einkommensschwächsten am stärksten zu treffen – zwei Gruppen, die sich personell nicht zufällig überlappen.
Hauptleidtragende, weil überwiegend einkommens- und immunschwach, waren Wohnungs- und Obdachlose, Migrant(inn)en ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftige, Suchtkranke, Sexarbeiter/innen, Erwerbslose, Geringverdiener/innen, Kleinstrentner/innen und Transferleistungsbezieher/innen (Empfänger/innen von Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Asylbewerberleistungen) sowie die Bewohner/innen von Gemeinschaftsunterkünften, etwa Strafgefangene, Geflüchtete, (süd)osteuropäische Werkvertragsarbeiter/innen der Subunternehmen deutscher Großschlachtereien bzw. Fleischfabriken und Saisonarbeiter/innen.
Obdach- und Wohnungslose, die kein Zuhause hatten, konnten trotz der Infektionsgefahr nicht – wie von Medizinern, Virolog:innen und Politikern gleichermaßen gefordert – „zuhause bleiben“, aber während des wiederholten Lockdowns auch weder Straßenzeitungen verkaufen noch Pfandflaschen sammeln oder ihren Lebensunterhalt mit Betteln verdienen, weil die nötigen Passant:innen ausblieben oder aus Furcht vor Ansteckung auf Distanz zu ihnen gingen. Sie gehörten zweifellos zu den Hauptleidtragenden der Covid-19-Pandemie, standen jedoch weder im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit noch der staatlichen Fürsorge.
Aufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete boten den Viren günstige Verbreitungsmöglichkeiten, weil häufig mehrere Personen auf einem Zimmer untergebacht waren, die über keinerlei Rückzugsgelegenheiten verfügten. Ein besonderes Problem in Sammellagern für Asylsuchende bildeten Kollektivquarantänen, von denen alle Bewohner/innen, d.h. auch solche betroffen waren, die sich weder selbst angesteckt noch unmittelbaren Kontakt zu einer infizierten Person hatten.
Die durch das Coronavirus ausgelöste Unterbrechung von Lieferketten und die Zerstörung von Vertriebsstrukturen, der Verlust von Absatzmärkten sowie die als Reaktion auf die Pandemie behördlich verordnete Schließung von Geschäften, Gaststätten, Hotels, Diskotheken, Clubs, Kinos, Theatern und anderen Kultureinrichtungen nach dem Infektionsschutzgesetz hatten erhebliche finanzielle Einbußen für die dort Tätigen, aber auch zahlreiche Konkurse und Entlassungen zur Folge. Am härtesten traf es kontaktintensive Dienstleistungsbranchen, in denen viele Geringverdiener:innen arbeiten: Genannt seien Friseurinnen, Fußpflegerinnen und Beschäftigte in Fitnessstudios.
Topprofiteure der Pandemie: Reiche als Krisengewinnler
Die sozioökonomische Polarisierungsdynamik der Pandemie machte vor den Vermögenden nicht etwa halt. Ganz entscheidend war der Wirtschaftszweig, in dem ein Unternehmer tätig war oder sich ein Finanzinvestor engagiert hatte. Denn es machte beispielsweise einen großen Unterschied, ob man einen Baumarkt oder einen Messebaubetrieb, einen Friseursalon oder einen Fahrradladen besaß. Zu den Hauptprofiteuren des pandemiebedingten Krisendesasters gehörten einige der profitabelsten Unternehmen mit den reichsten Eigentümern. Während die Gastronomie, Touristik und Luftfahrtindustrie starke Einbußen verzeichneten, realisierten die Großkonzerne krisenresistenter Branchen in der Coronakrise sogar Extraprofite: Lebensmittel-Discounter, Drogeriemärkte, Versandhandel, Lieferdienste, Digitalwirtschaft und Pharmaindustrie stachen hervor.
Aus dem bereits im März 2020 mit einem Gesamtumfang von 600 Milliarden Euro geschaffenen Wirtschaftsstabilisierungsfonds des Bundes erhielten größere Unternehmen teilweise sogar mehrmals umfangreiche Finanzspritzen. Dabei handelte es sich einerseits um Garantien und andererseits um Rekapitalisierungsmaßnahmen, darunter Nachrangdarlehen, Ausfallbürgschaften und stille Einlagen. Zu den Konzernen, deren Anträge bewilligt wurden und die Staatshilfen in erheblichem Umfang bekamen, gehörten so bekannte Konzerne wie Deutsche Lufthansa AG, TUI AG, Adler Modemärkte AG und Galeria Karstadt-Kaufhof GmbH.
Je umsatzstärker und deshalb in aller Regel auch größer und kapitalkräftiger ein Unternehmen war, umso stärker profitierte es von der temporären Mehrwertsteuersenkung, besonders natürlich dann, wenn diese gar nicht an die Kundschaft weitergegeben wurde. Offenbar spiegelte sich die neoliberale Ideologie, nach der Unternehmer in einer Marktwirtschaft per se als „Leistungsträger“ gelten, auch in der staatlichen Subventionspraxis wider.
Zwar brachen die Aktienkurse nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie in Deutschland wie an sämtlichen Börsen der Welt vorübergehend ein, dramatische Verluste erlitten aber insbesondere Kleinaktionäre, die generell zu Panikreaktionen und überhasteten Verkäufen neigen. Hedgefonds und Finanzkonglomerate wie BlackRock wetteten hingegen sogar mittels Leerverkäufen erfolgreich auf fallende Aktienkurse und verdienten an den Einbußen von Kleinanleger:innen. Großinvestoren dürften die Gunst der Stunde außerdem für Ergänzungskäufe zu relativ niedrigen Kursen genutzt und davon profitiert haben, dass diese bald wieder von einem Rekordstand zum nächsten stiegen.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Zu resümieren bleibt, dass Arme, sozial Benachteiligte und Menschen ohne Vermögen die größten Verlierer/innen der Covid-19-Pandemie, viele Reiche, Unternehmer und Kapitaleigentümer hingegen als Gewinner aus der Coronakrise hervorgegangen sind. Zuletzt verstärkte der inflationäre Preisauftrieb, den gestörte Lieferketten, gestiegene Transportkosten sowie fehlende Rohstoffe und Vorprodukte mit verursacht haben, den sozioökonomischen Paternostereffekt der Pandemie.
Durch das Emporschnellen der Verbraucherpreise vor allem im Bereich der Haushaltsenergie, der Kraftstoffe und der Nahrungsmittel wurde neben Transferleistungsbezieher(inne)n die untere Mittelschicht besonders stark belastet. Während reiche und hyperreiche Haushalte aufgrund hoher Wertzuwächse von Aktien, Immobilien und Edelmetallen ihr Vermögen steigerten, gehörten Ärmere einmal mehr zu den Verlierer(inne)n der ökonomischen Entwicklung. Daraus folgt: Krisengewinnler sollten die Schuldenlasten von Bund, Ländern und Gemeinden abtragen, die Verlierer/innen der Coronakrise möglichst lange unterstützt und vom Staat passgenauer mit Hilfsmaßnahmen bedacht werden!
Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt. Kürzlich (am 18. Mai – Ende der Sperrfrist!) hat er das Buch „Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona“ bei Beltz Juventa veröffentlicht.