Schon über ein winziges Detail könnte ich mich – sollten wir uns empören. Zufällig hat mir jemand aus der Schweiz eine Tafel Bio-Schokolade mitgebracht, mit über 90 Prozent Kakao-Inhalt, aus fairem Handel und allem was dazugehört, rein pflanzlich – was an sich höchst lobenswert ist. Der Kakao stammt aus Honduras, wie groß auf der Verpackung steht. Aber der Skandal ist, dass ich hier in Honduras niemals eine solche Schokolade finden kann! Oder, falls doch, müsste ich wahrscheinlich sehr lange suchen, und sie wäre viel zu teuer. Der gemeine Mensch auf der Straße wird niemals eine solche Ware finden, und wenn dann sie nicht bezahlen können! In was für einer Welt leben wir, wo selbst diejenige Wirtschaft, welche beansprucht, die Menschen und die Natur gut und sozial gerecht zu behandeln, die Menschen am Ursprungsort der jeweiligen natürlichen Ressourcen von deren Produkten ausschließt?
(Das letzte Stückchen bei mir ist bald aufgegessen, und dann habe auch ich in Honduras keine honduranische Schokolade mehr.)
Anfang Januar brach in Honduras eine Karawane von Tausenden von Menschen in Richtung USA auf. Permanent gibt es Migration, von der die Öffentlichkeit nicht viel erfährt, aber durch diesen Zusammenschluss machen die Leute das Unsichtbare sichtbar: die Armut, die soziale Ausgrenzung vom globalen gesellschaftlichen Reichtum, der durch die Interaktion unzählig vieler Menschen und der Natur zustande kommt. Die Menschen und die Natur des globalen Südens haben in Form von Ressourcen aus der Erde, großflächiger Anpflanzungen und billiger menschlicher Arbeitkräfte einen Platz an vorderster Stelle bei der Erstellung der globalisierten Reichtümer, die von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent fahren und fliegen. (Der Müll landet dann auch oft wieder im Süden.) Gleichzeitig werden Menschen des Südens in großer Zahl von diesem ‘Welttopf’ oder ‘Weltkuchen’ ausgegrenzt, wobei der Weltkuchen gerade dadurch zustandekommt, dass den Menschen vor Ort das Land, auf dem sie bis vor kurzem sich selber versorgen konnten, geraubt wird.
Die Weltwirtschaft arbeitet sehr sehr häufig mit korrupten politischen Zusammenhängen in Ländern des Südens zusammen. Die Beispiele von Zuliefererbetrieben für Unternehmen wie Adidas und Puma usw., Shell in Nigeria, die Deutsche und Dresdner Bank mit Krediten für das Apartheid-Regime in Südafrika, an deren Schulden die Menschen noch lange nach dem Ende des Regimes leiden, sind Beispiele, die langsam bekannt werden. Oder die Zusammenarbeit deutscher Firmen wie Volkswagen mit der Militärdiktatur in Brasilien in Sachen Folter und Bekämpfung von Protesten für bessere Arbeitsbedingungen. Die Politik bei uns in den schönen aufgeklärten Ländern wäscht sich die Hände in Unschuld, indem sie die Wirtschaft privatisiert und dadurch die Konkretisierung des Politischen, dessen was alle angeht, einigen Privateigentümern, Geldinstituten u.ä. überlässt. D.h. die Politik und damit wir als WählerInnen delegieren die politische Macht über die soziale Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit an einige wenige Akteure der Ökonomie, die nur nach Gesichtspunkten des maximalen Gewinnes handeln.
Da brauchen wir uns nicht zu wundern, dass die Menschen, die durch das politische Handeln aus dem globalen Norden vom Land vertrieben und entrechtet werden, auch in den Norden wollen, um sich den ihnen geraubten Reichtum zu einem winzigen Maße zurückzuholen.
Ist es nicht zynisch, die Migranten abzuweisen und zurückzuschicken, wenn Bestohlene ins Haus ihres Diebes und Mörders eindringen, um an dessen Annehmlichkeiten teihaben zu wollen oder wenigstens nicht vor Hunger oder an heilbaren Krankheiten zu sterben – und zudem ihre Familienangehörigen bescheiden mitzuversorgen?
Muss da nicht die Kirche aufschreien, und alle die irgend ein menschliches Gewissen haben? Zuerst geht es überhaupt nicht anders, als dass wir die Menschen, die in Europa ankommen, so liebevoll und menschlich wie es geht, behandeln, als unseresgleichen, welche dieselben Rechte, dieselben Grundbedürfnisse (trotz kultureller Unterschiede) haben. Und dann sich an die Arbeit machen, die weltweiten Verhältnisse zu verändern. Sowohl für die Analyse der Realität, als auch für Alternativen gibt es viele Konzepte. Das Problem liegt, soweit ich sehe, in der ungleichen Machtverteilung. Es käme auf Empowerment, Ermächtigung der Entmachteten an.
Das wäre eine minimale Aufgabe für alle Menschen, Gruppen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen oder diesen Anspruch haben, für Kirchen, für alle mit einem menschlichen Gewissen.