Ein nicht nur für Kinderpolitik(-Wissenschaft) wichtiges Thema ist die demokratische politische Bildung für Friedensbemühungen und gegen Kriegsvorbereitungen durch Aufrüstung und Kriegspropaganda. Krieg und Frieden sind zentrale, aber meist unbeachtete oder nur oberflächlich betrachtete, zentrale Menschenrechts- und Kinderpolitik-Felder. Es gibt fast keine UN-Konvention ohne Verweis auf Frieden und Völkerfreundschaft als wichtigste Voraussetzungen menschlichen Lebens auf dem Planeten Erde. Krieg stellt eine aktuelle Thematik dar, von der heutzutage fast jedes Kind schon mal gehört hat. Mögliche Fragen für die demokratische politische Bildung wären hierbei:
- Was ist Krieg?
- Was macht er mit Erwachsenen und Kindern, mit Siegern und mit Verlierern?
- Ist die Abwesenheit von Krieg bereits Frieden?
- Was ist noch nötig, um friedliche Verhältnisse zu schaffen?
- Wie entstehen Kriege?
- Was kann – auch von Kindern – getan werden, um Frieden zu fördern?
- Fazit: Nicht nur Frieden zwischen Staaten und Armeen in Geschichte und Gegenwart ist wichtig. Auch alltäglicher und lebenswichtiger Frieden in der Stadt, der Gemeinde, der Schule, dem Verein und der Familie sind zu bewahren. Was können Kinder dazu alles beitragen?
- Wichtiges Lernziel friedenspädagogischer politischer Bildung ist die Unterscheidung zwischen Kriegsgründen und Kriegsvorwänden: Kriegsgründe bestehen meist darin, (mehr) Macht über Menschen, Rohstoffe wie Öl, Herrschaft über Regionen zu erlangen. Kriegsanlässe sind dagegen Vorwände wie angebliche Verteidigung des Abendlands, der Menschenrechte usw. Kriegsgründe bleiben meist verborgen – Kriegsvorwände werden der Bevölkerung durch Kriegspropaganda als angebliche Kriegsgründe verkauft. Somit können Kriege im Frieden vorbereitet werden durch militärische Aufrüstung und durch Kriegspropaganda. Dabei sind vor allem Feindbilder wichtig.
Kritische Kinderpolitik(-wissenschaft) kritisiert Kriegspropaganda und Kriegsrüstung als Kriegsvorbereitung und Kriegsdurchführung, unter deren Auswirkungen zumeist Zivilistinnen und Zivilisten und davon besonders Kinder und Jugendliche zu leiden haben. Neben vielen weiteren menschlichen Kosten sind Militär, Aufrüstung und Kriege weltweit die größten Klima-Killer und Umwelt-Verschmutzer. Auch verdeckte Kriege, Wirtschaftsblockaden und Sanktionen verschärfen vor allem die Lebenslagen der vulnerabelsten Gruppen in der betroffenen Gesellschaft. Wer sich daher mit Kinderrechte- resp. Menschenrechte-Themen beschäftigt, aber nur über die bis nach Europa bzw. Deutschland gelangten, geflüchteten Kinder und Jugendlichen reden möchte, blendet wichtige Zusammenhänge und Kausalverhältnisse aus. Entgegen landläufiger Demagogen sind nicht etwa Kriegsgegner und Deserteure sog. Drückeberger, sondern umgekehrt, wie schon der große deutsche Schriftsteller Thomas Mann sagte: „Krieg ist Drückebergerei vor den Aufgaben des Friedens“. Dies lässt sich auch anhand sprachlicher Beispiele untermauern.
Beispiele für die Sprache des Krieges
„Keine Angst vor Kernwaffen: Warum Deutschland jetzt über atomare Aufrüstung sprechen muss.“ Focus Online, 10.03.2022
„Dem russischen Faschistenführer Putin kann gar nichts Besseres passieren als solche westlichen Führungsfiguren, die direkt oder indirekt sagen, dass uns die Ukraine nichts angeht. Die Lumpen-Pazifisten haben speziell in der Politik und noch spezieller in der SPD, der Friedenspartei, einige mächtige Partner.“ Sascha Lobo, 20.04.2022 auf Spiegel Online
„Wir dürfen nicht vergessen, auch wenn Russen europäisch aussehen, dass es keine Europäer sind – jetzt im kulturellen Sinne – die einen anderen Bezug zu Gewalt haben, die einen anderen Bezug zu Tod haben.“ Florence Gaub, Politikwissenschaftlerin bei Markus Lanz, 12.04.2022
„EU-Außenbeauftragter fordert mehr Waffenlieferungen an die Ukraine“ Zeit Online, 09.04.2022
„Durch weitere Waffenlieferungen an die Ukraine müsse eine globale Hungerkatastrophe abgewendet werden, so der Landwirtschaftsminister.“ Berliner Morgenpost Online, 17.04.2022
„Der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter hat der Bundesregierung vorgeworfen, mit ihrer Zurückhaltung bei Waffenlieferungen an die Ukraine eine weltkriegsartige Ausweitung des Konflikts zu riskieren. Das Problem der Haltung Deutschlands sei, „dass wir bei den Sanktionen bremsen, bei den Waffenlieferungen bremsen, und damit die Gefahr droht, dass der Krieg sich immer länger hinzieht“ Welt Online, 20.04.2022
„Wir werden im Notfall jeden Quadratzentimeter unseres gemeinsamen Bündnisgebiets verteidigen.“ Annalena Baerbock, 20.04.2022
Diese sprachlichen Ausdrücke von Kriegspropaganda lassen sich täglich finden. Dass die oberste deutsche Diplomatin fordert, Russland zu „ruinieren“ und sich dazu versteigt, den Abbruch aller Handelsbeziehungen mit der Russischen Föderation „für immer“ zu beschließen, obwohl ihr Mandat eigentlich nur für vier Jahre existiert, zeigt die verheerenden Auswüchse militarisierten Denkens.
Ein kurzer Rückblick in die Welt vor 20 Jahren
Erinnern Sie sich auch noch an diese „herrlichen Zeiten“ Anfang dieses Jahrhunderts? Der heutige Bekenntniszwang gegenüber Russ(inn)en im In- und Ausland besagt ja: Wer sich in Russland gegen den Krieg ausspricht und wer sich als Russin/Russe im Westen nicht explizit gegen den Krieg und die russische Regierung positioniert, gefährdet seine bzw. ihre Existenz.
Vor etwa 20 Jahren wurde das in den USA nicht ganz unähnlich geregelt. Wer nicht die Fahne herausgehängt hat zum völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf den Irak mit hunderttausenden Toten, bekam es mit der patriotischen Nachbarschaft zu tun und wer friedensbewegt war, bekam auch mal Besuch von Polizei und Geheimdiensten. Derweil wurden Champagner auf der Straße ausgekippt und Pommes Frites von „French Fries“ in „Freedom Fries“ umbenannt, um die „feigen französischen Froschfresser“ zu bestrafen, die sich nicht an der völkerrechtswidrigen Irak-Aggression beteiligen wollten. Zugleich bejubelte in der BRD Angela Merkel die Vorbereitungen und Durchführungen des US-Überfalls (wovon sie sich bis heute – trotz aller IS-Folgen – nicht distanziert hat) und der größte Teil der sog. seriösen Medien behandelte fast alle, die den Irak nicht bombardieren wollten, als „anti-amerikanisch“. Wer sich die Mühe macht, mal die damalige Kriegsberichterstattung in den niveauvollsten Sendern wie CNN u.a. mit den heute in der EU zensierten RT-Formaten der Jetzt-Zeit zu vergleichen, wird sich sehr wundern über den Unterschied und deren jeweilige politisch-justizielle Behandlung. Seltsam, dass sich an diese Höhepunkte der „westlichen Wertegemeinschaft“ und „regelbasierten Friedensordnung“ 2002/03 so wenige Menschen erinnern können. Erstaunlich, wie sich die Zeiten ändern und doch auch gleichen. “With us or with the Terrorists”, sagte noch G. W. Bush. Das heißt heute: Entweder Du vertrittst zu 100% Nato-Narrative oder Du bist “Putin-Fan” (also “Faschist/in”, versteht sich)
Der Politologe Frank Deppe schreibt: „Man stelle sich vor: russische/chinesische und kubanische Truppen üben zusammen mit Truppen aus Mexiko an der texanischen Grenze der USA. In der Kuba-Krise (1962; M.K.) blockierten US-Kriegsschiffe sowjetische Schiffe, die Waffen nach Kuba transportierten. Der amerikanische Präsident hatte vorher erklärt, dass ein Durchbrechen der Blockade die Eröffnung eines Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion bedeuten würde.“ Da Kuba gerade ein Jahr vorher (1961) von den USA überfallen wurde, hatte es jedes Recht zur Verteidigung gegenüber dem Aggressor. Trotzdem konnte sich der Angreifer sogar noch als Opfer inszenieren (ein lehrreicher Film hierzu aus US-Regierungssicht ist übrigens: “Thirteen Days”; dt. Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=ywbLVeGQbHs). Die Lösung der sog. Kuba-Krise 1962 könnte ein wichtiges Lehrstück für momentane internationale Beziehungen darstellen.
Politische Bildung auf doppeltem Boden
Im Frühjahr 2022 brachte die Landeszentrale für politische Bildung Baden Württembergs eine Broschüre zum Ukraine-Krieg heraus. Mit ihrem Titel “Putins Angriff auf den Frieden” machte sie leicht vergessen, dass Regionen im Donbas bereits seit acht Jahren vorzugsweise von ukrainischer Artillerie beschossen wurden, sodass selbst die Vereinten Nationen von über 13.000 Toten bis zum 24. Februar 2022 ausgingen. In der Karikatur auf dem Titelbild der Broschüre “Putins Angriff auf den Frieden” der Landeszentrale für politische Bildung Baden Württembergs (https://www.lpb-bw.de/fileadmin/lpb_hauptportal/pdf/machs_klar/2022/mk52/krieg_ukraine.pdf) sagte ein russischer Soldat zu seinen Kameraden: „Sie (die Ukrainer; M.K.) sehen aus wie Menschen, aber es sind blutrünstige, hasserfüllte Monster!“ Damit war die Latte für niveauvolle und der Kriegspropaganda abstinente demokratische politische Bildung ziemlich niedrig angelegt.
Inzwischen ist auch die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) ebenfalls mit einer Broschüre zum Thema herausgekommen. Sie heißt: “Was geht? Krieg von Russland gegen die Ukraine” (https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Bpb_Ukraine-Krieg_220603_UA_Doppelseiten.pdf). Darin müssen alle Schüler/innen Deutschlands lernen, dass “Russland autoritär regiert” wird, während die Ukraine eine “Demokratie” ist. Die erst kürzlich verbotenen 14 Parteien und die verbotenen Nicht-Regierungs-Medien in der Ukraine werden es der Bundeszentrale sicherlich danken.
In der Chronologie der Ereignisse wird die “NATO” als ein Verteidigungsbündnis deklariert. Den nach 1990 wider alle Versprechungen forcierten Expansionismus der Nato lassen die Autor(inn)en weg, die völkerrechtswidrigen Angriffskriege seit über 20 Jahren ebenfalls (hunderttausende, meist arabische Tote zählen offenbar nicht). Dann kann man auch leichter darüber berichten, dass gegenwärtig in Moskau nicht von “Krieg” gesprochen werden darf und muss nicht erwähnen, welche hübschen Ersatzworte für Krieg seit 1999 in Deutschland verordnet wurden (z.B. “humanitäre Intervention” oder “verteidigen Deutschland am Hindukusch” usw.).
Auch gibt es “pro-europäische” und “pro-russische” Kräfte in der Ukraine, die seit mehr als 8 Jahren miteinander ringen, so die BpB-Broschüre. Hier sollten wir nochmal stocken: “Pro-europäisch”? Europa zählt weit mehr Länder als die 27 EU-Staaten. Auf einer Weltkarte der Bundeszentrale für politische Bildung steht als größte Stadt Europas: Moskau (8,6 Mio. Einwohner/innen). Und alle alten braunen und neuen olivgrünen Stalingrad-Kämpfer*innen müssen jetzt ganz stark sein: Der längste Fluss Europas soll laut dieser Weltkarte der BpB tatsächlich die Wolga sein (3.688 km). Wer/wie/was auch immer der Bewohner des Kreml ist: er steht morgens in Europa auf und geht abends in Europa ins Bett. Wer politische Bildung auf höchster Ebene betreibt, sollte hier genauer sein. In der momentanen Phase der extremsten und gefährlichsten Feindbild-Konstruktionen ist die genannte Gegenüberstellung schlicht unverantwortlich.
Dass es zwischen 2014 und 2022 die Minsker-Abkommen gab, müssen die Schüler/innen Deutschlands nach Ansicht der BpB offenbar nicht erfahren, denn die Regierung in Kiew hat ja in der gleichen Zeit ganz offen davon gesprochen, dass sie diese, auch vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Vereinbarungen nicht einhalten werde – mit dem Resultat, dass laut UN und auch Dank ukrainischer schwerer Artillerie sowie Asow-Söldnern zwischen 2014 und Februar 2022 über 13.000 tote Bürger/innen des Donbas zu beklagen waren. Das war übrigens der von der Landeszentrale für politische Bildung Baden Württembergs als “Frieden” gekennzeichnete Zustand, dem “Putins Angriff” angeblich galt (griff er ganz alleine an oder hatte er wenigstens einen Koch dabei?, könnte man mit Brecht fragen).
Dass die russischen Truppen bei der BpB schon im Frühjahr 2021 an der Grenze zur Ukraine aufmarschierten und nicht, wie herkömmliche Chronologien berichten, im Sommer, soll nicht so wichtig sein. Was ist schon eine Jahreszeit? Doch ein paar geographische Kenntnisse zur Ukraine sind bei der BpB schon zu erwarten. So ist es allgemein üblich, westlich der Ukraine Polen, die Slowakei, Ungarn und Rumänien zu verorten; nördlich Belarus; südlich: Krim und östlich Russland. Laut Bundeszentrale für politische Bildung (unter wissenschaftlicher Begutachtung von Prof. Dr. Jan C. Behrends) marschierten am 24. Februar 2022 „russische Truppen von Norden, Süden und Westen (sic; M.K.) in die Ukraine ein.” Das dürfte Polen, die Slowakei, Ungarn und Rumänien aber schon irritieren. Und dass so wenige Russen aus dem Osten einmarschierten, mag auch etwas erstaunen.
In der Ukraine gibt es “auch Menschen, die freiwillig kämpfen”, heißt es in der BpB-Broschüre. Ein Hinweis darauf, was Deserteuren seit dem 24.2.2022 droht, wäre zu viel verlangt gewesen (unsere Leitmedien interessieren sich ja auch nicht dafür; die kennen ja auch nur ukrainische “Helden”-Berichte). Auch sind viele “Opfer von Kriegsverbrechen geworden”. Die mutmaßlichen Kriegsverbrechen (z.B. Butscha, Kramatorsk usw.) sollten in der Tat gründlich und von neutraler Seite untersucht werden. Dabei darf gerne auch berücksichtigt werden, dass auch der Missbrauch von Zivilbevölkerung als “humanitäre Schutzschilder” genauso zu Kriegsverbrechen gehört, wie die Folterung und Ermordung wehrloser Zivilist(inn)en und Kriegsgefangener. Inwieweit und wie oft dies in den letzten Monaten von welcher Partei aus geschehen ist, muss von neutraler Seite untersucht werden. Und da die ukrainische Führung hunderttausende von Kleinwaffen (auch aus Deutschland) unter der Bevölkerung verteilt hat, werden diese hunderttausenden Waffen in den nächsten Jahren über Schwarzmärkte noch das eine oder andere Unheil in Europa verbreiten, selbst wenn der Ukraine-Krieg vielleicht schon lange beendet wäre (siehe auch die – ehemaligen – Kriegsschauplätze Irak, Afghanistan, Syrien, Libyen, wo damalige Waffenlieferungen noch heute für Destabilisierungen sorgen).
Am Ende ihrer Broschüre fragt die BpB: “Wie kann Frieden werden?” Warum sie dabei die noch im Februar 2022 von Bundeskanzler Scholz und Frankreichs Präsidenten Macron vor dem Krieg in München dem ukrainischen Präsidenten Selenski vorgelegten Vorschläge, die dieser dann vor den Friedensverhandlungen in der Türkei ebenfalls nochmal vorgebracht hat, noch nicht einmal nennt (Neutralität und Autonomieregelung im Osten), bleibt ihr Geheimnis.
Jetzt kann man hinsichtlich der Konflikt-Analyse sicherlich in allen Punkten im Sinne des Beutelsbacher Konsenses unterschiedlicher, kontroverser Ansicht sein – was die BpB jedoch leider nicht beachtet. Deshalb verwundert es dann auch nicht, dass ganz locker zu den “politischen Reaktionen auf den Krieg” berichtet wird: “Deutschland und andere Länder liefern Waffen in die Ukraine” und “Deutschland will die Bundeswehr für die Zukunft besser ausstatten”.
100 Mrd. Euro und nochmal zusätzlich 2% des Bruttoinlandsprodukts (ca. 70 Mrd. Euro jährlich) in die Rüstung. Das Geld ist bestimmt gut angelegt und wird die Situation in Deutschlands Krankenhäusern, Kitas, Schulen, Hochschulen und auf Deutschlands Straßen und Brücken sicherlich merklich verbessern. Wie beruhigend für alle. Indessen hat die Mehrheit der Bevölkerung berechtigterweise Angst vor der Kriegsbeteiligung Deutschlands, vor Nuklearkriegs-Gefahren und sinkendem Lebensstandard aufgrund der Sanktionen.
Was also lernen Deutschlands Schülerinnen und Schüler durch diese Broschüre?
Macht Euch keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung und in den besten Händen von Leuten, die sagen “na klar schaden wir uns” (Habeck), “wir werden Russland ruinieren” und keine Energie-Lieferungen mehr annehmen – “für immer” (Baerbock) oder – als einer der 4 Punkte der neuen “Scholz-Doktrin” vom 8. Mai 2022 – “alle Maßnahmen müssen Russland mehr schaden als uns”.
Da freut sich US-Präsident Biden mit seinem Fracking-Gas, seinen Waffen und seinem Interesse an einem sich schwächenden Europa. Wie aufgeklärt und brutal-offen sind dagegen manche Kriegs-Analysen in den USA, wie das folgende Dokument zeigt, das kaum ein/e deutsche/r Schüler/in kennen darf:
„US-Starökonom Jeffrey Sachs hat viele Staaten Osteuropas in die Marktwirtschaft begleitet. Jetzt warnt er vor der US-Strategie, die auf einen langen Krieg in der Ukraine mit Tausenden von Toten hinauslaufe. Europa empfiehlt er einen anderen Weg.
WELT: In Deutschland und Europa wird darüber gestritten, Energiesanktionen gegen Russland zu verhängen und Putin so von den Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft abzuschneiden. Wäre das die Maßnahme, die Putin zum Einlenken bewegen und den Ukraine-Krieg beenden könnte?
Jeffrey Sachs: Was den Ukraine-Krieg beenden könnte, sind die Angebote, die Präsident Wolodymyr Selenskyj Russland vor den Verhandlungen in Ankara am Wochenanfang gemacht hat. Eine neutrale Ukraine, Autonomie für den Donbass und die Bereitschaft, den Krieg am Verhandlungstisch zu beenden; das sind Grundlagen für einen Frieden. Die Europäische Kommission, Deutschland und die anderen EU-Länder sollten sich jetzt darauf konzentrieren, eine schnelle Verhandlungslösung zu fördern. Es wird ständig über Sanktionen oder militärische Hilfen geredet, aber nicht genug darüber, wie eine Verhandlungslösung aussehen könnte. (…)
Sachs: Die USA lieben die Eskalation von Konflikten. Ich beobachte sehr genau, welche Vorschläge und Botschaften aus den USA kommen. Die US-Regierung will die Gelegenheit nutzen und Russland in die Knie zwingen. Aber Europa sollte sich darauf nicht einlassen. Künftige Generationen in Europa müssen mit Russland als Nachbar leben. Biden hat in der Tat gesagt, dass wir uns für einen langen Konflikt wappnen sollen. Das ist eine schreckliche Idee. Ein langjähriger Kampf; da spricht ein alter amerikanischer Mann mit Erinnerungen aus dem Kalten Krieg. Da spricht kein Mann der Zukunft. Die Welt sollte sich nicht auf einen langen Kampf vorbereiten. Sie sollte darauf hinarbeiten, den Krieg mit Verhandlungen zu stoppen. Das ist eher möglich, als die US-Regierung glaubt. Die EU sollte vorrangig auf eine Verhandlungslösung setzen und zusammen mit der Ukraine Vorschläge für eine Einigung machen. Wenn die Vorschläge der EU und der Ukraine vernünftig sind, werden sich die meisten Länder der Welt dahinter stellen.
WELT: Das klingt, als würden Sie der USA Kriegstreiberei vorwerfen.
Sachs: Die USA betreiben Expansionspolitik. Das ist der Geist in Washington. Der USA geht es um die Vorherrschaft in der Welt. Ich frage Sie: Wer denkt denn noch so im 21. Jahrhundert?
WELT: China?
Sachs: Nein. China sagt immer, dass es eine multipolare Weltordnung anstrebt. Das müssen wir glauben. Die US-Regierung redet über die Bedeutung der US-Vorherrschaft. Das ist ein echtes Problem.“ (WELT v. 1.4.2022)
Fazit
Klar wird somit: Kriege brauchen Rüstung und Kriegspropaganda. Für beides hat die Broschüre der Bundeszentrale für politische Bildung prima Grundlagen geschaffen. Das dabei zutage tretende Verständnis von Bildung trägt dem Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, den Artikeln 28 und 29 der UN-Kinderrechtskonvention sowie dem Artikel 13 des UN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte relativ wenig Rechnung. Statt Förderung demokratischer und friedensorientierter Bildung, wie es die UN-KRK, die UN-AEM und der UN-WSK-Pakt vorsehen, lässt sich diese Form demagogischer Militarisierung von Kindern und Jugendlichen auch als strukturelle Kindeswohlgefährdung bezeichnen.