Der 8. Mai 1945 wurde als „Stunde null“ bezeichnet. Die Unterzeichnung der Kapitulation, wobei die letzte Unterschrift im Hauptquartier der Roten Armee in Berlin Karlshorst geleistet wurde, beendete den Zeiten Weltkrieg und leitete einen jahrelangen Transformationsprozess in Deutschland und Europa ein. Bei genauerer Betrachtung war jedoch der Nationalsozialismus nicht zu Ende, wie es als politischer Wille verkündet wurde. In Staat und Gesellschaft wirkten die „alten“ Kräfte weiter und wurden, insbesondere beim Aufbau der Geheimdienste und der staatlichen Verwaltung, weiterverwendet. In den Einstellungen der Bevölkerung sind die nationalsozialistischen Elemente des gesellschaftlichen Bewusstseins nie verschwunden, sondern leben seitdem in unterschiedlicher Stärke fort.
Auch der Fall der Mauer am 9. November 1989 besiegelte nicht nur den Untergang der DDR. Hinter dem politischen Prozess zur Deutschen Einigung bestand die Trennung von Ost- und West-Deutschland weiter und wird in vielen politischen Erklärungen und statistischen Datensammlungen aufrechterhalten. Der Ethnozentrismus hält nicht nur die Staaten in Europa getrennt, sondern auch die beiden Teile Deutschlands.
Das Kriegsende 1945 und der Mauerfall 1989 sind also einerseits wirksame Realität, andererseits ist die Vorstellung eines vollständigen Bruchs Wunschdenken. In analoger Weise lässt sich das Ende der deutschen und europäischen Teilung in Ost und West 1989/90 als Einschnitt verstehen, hinter dessen realer und zugleich gewünschter Veränderung Kontinuitäten wirksam sind. So war das Kriegsende 1945 mit dem Beginn der Ost-West-Spaltung Europas verbunden und der heiße Krieg verwandelte sich in den Kalten Krieg. Mit Gründung der NATO am 4. April 1949 formierte sich das größte Militärbündnis der Gegenwart, nachdem schon seit 1945 Teile der Kriegskonstellation im Westen wieder aufgebaut wurden. Die NATO war von Anfang an ein Instrument der USA. Als Reaktion auf die Gründung der Westeuropäischen Union mit der Einverleibung der BRD in das westliche Bündnis und ihrer Wiederaufrüstung wurde der Warschauer Pakt unter Führung der Sowjetunion 1955 gegründet.
Der Fall der Mauer 1989, die Auflösung des „Eisernen Vorhangs“ zwischen Ost und West und die Einigung Deutschlands werden bis heute als Ende des Kalten Kriegs angesehen. Die politischen und ökonomischen Tatsachen sprechen gegen diese Interpretation und indizieren eher die Fortsetzung des Kalten Kriegs, teilweise mit anderen Mitteln. Deshalb war auch die von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 im Deutschen Bundestag verkündete „Zeitenwende“ kein Einschnitt, sondern nur die Legitimation eines formellen Übergangs in den Raum „zwischen Frieden und Krieg“ – wie ein General der Bundeswehr 2025 feststellte.
Für die Gründung der NATO und ihre Verfestigung war die Strategie der USA entscheidend, als Militärmacht in Europa weiterhin präsent und frei handlungsfähig zu sein. Mit der NATO haben die USA ein Instrument für diese Strategie. Auch sollte eine Wiedererstarkung Deutschlands kontrollierbar bleiben; insbesondere sollte ein Zusammenschluss mit Russland verhindert werden. Deshalb war die NATO eine Barriere gegen Systeme kollektiver Sicherheit für Europa. Solche Ordnungsvorstellungen, die auf wechselseitige Sicherheit, Schutz und Verbindlichkeit abzielten, waren in der UNO entwickelt worden und wurden von Russland für Europa präferiert. Das NATO-Konzept jedoch orientierte sich an „kollektiver Verteidigung“ gegen den „Osten“ und schloss von Anfang an die sogenannte „Vorwärtsverteidigung“ ein.
Russland dagegen hat nach Auflösung des Warschauer Pakts 1991 und nach Auflösung der Sowjetunion ebenfalls 1991 für Europa ein System kollektiver Sicherheit gefordert und in vielen Initiativen zu realisieren versucht. Mit den NATO-Staaten war ein solches System nicht möglich. Die nach der Auflösung des Warschauer Paktes gegründete Gemeinschaft Unabhängiger Staaten bestand nach dem Beitritt Georgiens 1993 aus zwölf der ehemaligen 15 Sowjetrepubliken. Die baltischen Staaten gehörten von Anfang an nicht dazu; Georgien ist 2009 und die Ukraine 2018 ausgetreten. Diesen Entscheidungen sind intensive Aktivitäten des Westens vorausgegangen: ökonomische Versprechen und Leistungen, finanzielle Unterstützung der jeweiligen Opposition und der Protestbewegungen, Unterstützung von politischem Putsch(versuchen). Im Fall der Ukraine liegen diese Aktivitäten weit vor dem Austrittsdatum zurück, und dafür haben allein die USA fünf Milliarden Dollar investiert.
Entscheidend ist für die Entwicklung nach 1991 die Ausdehnung der Europäischen Union, die mit ihrer kapitalistischen Produktivität eine große Ost-Erweiterung brauchte und 2004 realisierte. Damit war auch die NATO-Erweiterung zwischen 1999 und 2020 einerseits vorbereitet (durch den Status des Beitrittskandidaten der schließlich beigetretenen Länder ab 1997) und andererseits abgesichert.
Die schrittweise Erweiterung der NATO folgte der Strategie, die Vereinbarungen der KSZE und der OSZE zu unterlaufen. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa war auf Vorschlag des Warschauer Paktes 1973 begonnen worden und wurde 1975 in Helsinki gegründet. Sie wurde 1995 in “Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa” umbenannt und erweitert. Diese regionale Sicherheitsorganisation mit ihren 57 Mitgliedsstaaten in Nordamerika, Europa und Asien diente der Sicherheit, der Konfliktverhütung und dem Konfliktmanagement und dem Schutz von Menschenrechten sowie der Abrüstung. Auch die Mitgliedschaft der USA in diesen Organisationen für „Europa“ verweist auf das Interesse der amerikanischen Regierung, in allen wichtigen Fragen Europas maßgebend dabei zu sein. Insbesondere sollte, wie schon bei der Gründung der NATO, verhindert werden, dass es eine zu enge Kooperation zwischen Deutschland und Russland gebe.
Der Kalte Krieg war also ein Zustand von Aufrüstung und Bedrohung einerseits, von Rüstungsbegrenzung und Kooperation andererseits. Während zur Rechtfertigung von Aufrüstung und Aggression durch Ausdehnung der NATO der Gesichtspunkt der Abschreckung durch Rüstung betont wurde und betont wird, ist die Stabilität des Nicht-Kriegs durch die Beziehungen und Vereinbarungen des Vertrauens ermöglicht worden. Insbesondere die Rüstungsbegrenzungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen zwischen den USA und der Sowjetunion gehören zu diesem Bereich. Als die USA 1959 in Europa Mittelstreckenraketen stationieren, reagierte die Sowjetunion mit dem Plan, auf Kuba ebenfalls Mittelstreckenraketen aufzubauen. Nach der Androhung der USA, die Sowjetunion mit ihren überlegenen Atomwaffen anzugreifen, reagierte die Sowjetunion mit dem Rückzug des Plans. Die Kuba-Krise war dank der Rationalität der Sowjetunion gelöst und war gleichzeitig der Beginn weiterer Verhandlungen. Dieser Vorgang war ein Modell, an dem sich Russland nach der Ausdehnung der NATO und der Einbeziehung der Ukraine in die NATO-Rüstung orientierte. Es drohte mit Krieg, falls die NATO weiterhin sich ausdehne und die Ukraine in ihren Einflussbereich einbeziehe und so die Sicherheit Russlands vor einem atomaren Erstschlag gefährde.
Die Begrenzung des Rüstungswettlaufs war für die USA immer ab dem Zeitpunkt wichtig, als sich die Sowjetunion und später Russland in Fragen der Waffentechnologie zu einem ernstzunehmenden Gegner entwickelt hatten. Das beiderseitige Interesse an Begrenzung des Militärisch-Industriellen Komplexes war ein wichtiges Motiv für die Rüstungskontrolle und -begrenzung. Besonders aber der Aufbau einer Erst- und Zweitschlagfähigkeit mit Nuklearwaffen erhöhte das Risiko für eine „zufällige“ Vernichtung der Welt. Der Frieden in Zeiten der Rüstungskontrolle wurde nicht mehr durch Aufrüstung, sondern durch Kooperation, also vertrauensbildende Maßnahmen, Verifikation der Vereinbarungen und aufwendige Compliance-Verfahren gesichert. Die im Kalten Krieg abgeschlossenen Verträge von SALT und SALT 2 über den ABM-Vertrag bis hin zu START 1 und START 2 bildeten ein Gerüst zur Bändigung der nuklearen Zerstörungspotentiale.
Die USA kündigten 2001 den ABM-Vertrag mit der Sowjetunion. Die USA wollten ein weltumspannendes Raketenabwehrsystem aufbauen, das auch Weltraumkomponenten umfassen sollte. Dieses besonders von der Regierung George W. Bush verstärkte Programm hätte die Vereinbarungen des ABM-Vertrages verletzt. Die Kündigung trat nach einer Frist von sechs Monaten im Juni 2002 in Kraft. Mit diesem Schritt hatten die USA endgültig ihr globales Dominanzinteresse zum Ausdruck gebracht, das insbesondere über die Verfügung eines weltweiten Überwachungssystems zum Ausdruck kommt. Seitdem verfügen die USA über die Kontrolle jeglicher globaler Kommunikation in Echtzeit, insbesondere durch Satelliten.
2019 verließen die USA den Vertrag über die Begrenzung der Mittelstreckenraketen (INF-Vertrag, gültig seit 1988), nachdem Russland die Stationierung von Mittelstreckenraketen angekündigt hatte. Diese Ankündigung war wiederum eine Reaktion auf den Aufbau von Raketenabschussanlagen in Rumänien und Tschechien durch die USA. Die Ankündigung des amerikanischen Präsidenten Biden, Langstreckenraketen, die als Trägersysteme für nukleare Sprengköpfe dienen, in Deutschland stationieren zu wollen, war nach Beginn des Ukrainekriegs eine besonders gravierende Verletzung des „2plus4-Vertrag“, mit dem die deutsche Einigung ermöglicht worden war. In diesem Vertrag heißt es nämlich in Artikel 3: „(1) Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihren Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen«.
Doch abgesehen von den einzelnen Verträgen und ihrer einseitigen Kündigung war die schrittweise Ausdehnung der NATO nach Mittel- und Osteuropa das wichtigste Instrument für die USA, den Kalten Krieg gegen Russland fortzusetzen und zu intensivieren. Er diente nach den Konzepten der amerikanischen Sicherheitsberater dazu, Russland zu einer asiatischen Regionalmacht zurückzudrängen, um sich dann perspektivisch der Konkurrenz mit China widmen zu können. Insbesondere auf Eurasien bezogen schreibt beispielsweise Zbigniew Brzezinski (S. 57 f.), dass das „Doppelinteresse Amerikas an einer kurzfristigen Bewahrung seiner einzigartigen globalen Machtposition und an deren langfristiger Umwandlung in eine zunehmend institutionalisierte weltweite Zusammenarbeit“ die Konsequenz habe: „ die drei großen Imperative imperialer Geostrategie: Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu schützen sowie dafür zu sorgen, dass die ‚Barbarenvölker‘ sich nicht zusammenschließen.“
Zbigniew Brzezinski, seit 1964 einflussreicher Berater amerikanischer Präsidenten und Sicherheitsberater von Präsident Carter, hat maßgeblich das Konzept der Unterstützung von Dissidenten im Ostblock vertreten und die subversive Unterminierung der sowjetischen Staaten bzw. ihrer Nachfolgestaaten und Russlands unterstützt und propagiert. Er schreibt 1997 einen genauen Ablaufplan für den Krieg gegen Russland:
„1. Spätestens 1999 werden die ersten neuen Mitglieder aus Mitteleuropa in die NATO aufgenommen sein, wenn auch ihr Beitritt zur EU vermutlich nicht vor 2002 oder 2003 erfolgen wird.
2. In der Zwischenzeit wird die EU Beitrittsverhandlungen mit den Baltischen Republiken aufnehmen und auch die NATO wird sich in der Frage der Mitgliedschaft dieser Staaten und Rumäniens vorwärts bewegen…. wohl die anderen Balkanstaaten …
3. Der Beitritt der Baltischen Staaten könnte vielleicht auch Schweden und Finnland dazu bewegen, eine Mitgliedschaft in der NATO in Erwägung zu ziehen.
4. Irgendwann zwischen 2005 und 2010 sollte die Ukraine für ernsthafte Verhandlungen sowohl mit der EU als auch mit der NATO bereit sein“ (Brzezinski, S. 108 f.).
Durch die NATO waren die USA immer in der Nähe des durch Mittelstreckenraketen erreichbaren russischen Kernlandes handlungsfähig. Russland war lediglich durch die „Neutralität“ Mitteleuropas vor einem atomaren Erstschlag relativ geschützt. Diese Sicherheit Russlands bzw. ihre Bedrohung war die Motivation Russlands, die Verhandlungen für die KSZE und die OSZE voranzutreiben oder die Charta von Paris mit der NATO zu schließen. Die Erwartungen Russlands hinsichtlich einer Einhaltung der Vereinbarungen wie auch auf eine Erfüllung der Abkommen Minsk 1 und 2 wurden nicht nur enttäuscht, sondern auch getäuscht. Die bedrohte Sicherheit war dann das Argument Russlands bis zum Krieg gegen die Ukraine und für diesen Krieg. Die nicht demokratisch legitimierten Akteure NATO und EU treiben aus dem Interesse der USA heraus den Kalten Krieg voran. 2022 ist dieser kalte Krieg umgeschlagen in einen lokalen heißen Krieg, der jetzt wieder Legitimation für eine weitere Rüstungsspirale, für die Aufrüstung gegen Russland und für eine wahnhafte Propaganda gegen die angebliche Bedrohung von ganz Europa darstellt.
Die Logik der westlichen Strategie zur Fortsetzung des Kalten Kriegs gegen Russland lässt sich so zusammenfassen:
– Ausdehnung der NATO trotz der Versprechen, dies nicht zu tun;
– Friedens- und Menschenrechtsrhetorik bei gleichzeitiger Praxis der Verletzung genau dieser Grundsätze (Serbien, Kosovo, Irak, Minsk 1 und 2 usw.);
– Verächtlichmachung der russischen Vorschläge für Frieden und kollektive Sicherheitssysteme (Putins Reden, Vorschläge und Forderungen nach einem Waffenstillstand usw.) und Zerstörung der Diplomatie;
– Aufbau von Angriffskapazitäten in der Nähe von Russlands Grenzen;
– Kündigung von wechselseitigen sicherheitsverbürgenden Verträgen;
– Sanktionen als wirtschaftliche Kriegsführung;
– NATO-Manöver in Ostsee und Schwarzem Meer;
– Anti-Russische Propaganda und Mobilisierung von Kriegsbereitschaft;
– Intervention zum Systemwechsel in der Ukraine, Einbeziehung der Ukraine in das Militärsystem der NATO und Aufrüstung;
– Militante und Intervention bei Wahlen (in Georgien, Moldau usw.)
Als kritische Zone in seinem „Zeitplan“ für Europa definiert Brzezinski den Zusammenschluss von Frankreich-Deutschland-Polen-Ukraine. Wenn die Ukraine so schreibt er 1979, in diesen Verbund integriert werden kann, dann muss Russland sich ebenfalls, wenn es zu Europa gehören will, der EU anschließen. Oder es wird zur asiatischen Regionalmacht. Deshalb haben die USA die Ukraine für fünf Milliarden Dollar „gekauft“. Aber: „Den Russen sollte beständig versichert werden, dass ihnen die Tür zu Europa offen steht … Um diesen Beteuerungen Glaubwürdigkeit zu verleihen, sollten die Zusammenarbeit und der Austausch zwischen Russland und Europa auf allen Gebieten ganz bewusst gefördert werden.“ (S. 109) Die Täuschung durch OSZE, NATO-Russland-Grundakte und Minsk 1 sowie Minsk 2 ist bis zum Ende des Jahres 2021 gelungen. Erst dann antwortet Russland auf den kalten mit einem heißen Krieg, da es seine elementaren Sicherheitsbedürfnisse bedroht sieht.
Hinweise
Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Rottenburg 2015 (im Original 1997).
Jeffrey Sachs: Eine neue Außenpolitik für Europa. Teil 1 und Teil 2, in: NachDenkSeiten, 3. September und 4. September 2025 (mit einer sorgfältigen Prüfung der vorgebrachten Gründe für die Behauptung, Russland bedrohe Europa).
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