In Honduras haben die Konflikte um Land und Ressourcen besonders seit dem Regierungsputsch 2009 stark zugenommen. Die seitdem im Amt befindlichen Regierungen ermöglichen es insbesondere, dass nationale und internationale Unternehmen, die sich als ökologisch nachhaltig darstellen, immer mehr die Natur ausbeuten. Dazu gehören Projekte wie Wasserkraftwerke, Sonnenenergiegewinnung, landwirtschaftliche Monokulturen, Bergbau, Tourismus. So gut, wie dies in europäischen Ohren klingen mag, zerstören diese Projekte oft die Qualität des Wassers der Flüsse, wo Fische aussterben, trocknet das ohnehin trockene Land nach dem Fällen von Wäldern für die Errichtung von Sonnenkollektoren aus, wird die Artenvielfalt vernichtet. Die Menschen der dort lebenden ländlichen, oft indigenen, Gemeinden, deren Lebensgrundlage dadurch verschwindet, werden nicht gefragt, oft werden sie durch die staatliche Polizei bedroht und verletzt, sowie durch das Justizsystem kriminalisiert. Viele VerteidigerInnen der Menschenrechte, der Natur und der Gemeingüter sind in den letzten Jahren ermordet worden.
Es ist nun meine Absicht, im Rahmen größerer Zusammenhänge einen Beitrag zur kausalen Erklärung dieser Prozesse zu leisten. Dazu thematisiere ich zuerst den Zusammenhang zwischen ausgelagertem Kolonialismus und Liberalismus/Neoliberalismus und danach die Arbeit der Natur als Quelle von Mehrwert.
Exportierter Kolonialismus und Neoliberalismus
Mit dem Beginn der Kolonisierung großer Teile der Erde durch Europa vor über 500 Jahren begann eine weltweite koloniale Beziehung, wurde innerhalb eines globalen Arbeitsregimes die Rasse erfunden[1]; es setzte sich innerhalb dieses Kontextes der Produktion die Vorstellung einer dichotomen, d.h. totalen, Unterscheidung zwischen verschiedenen Typen von Menschen, zwischen Mann und Frau[2] und zwischen Mensch und Natur[3] durch. Seit dem Ende der Kolonien, der politischen Unabhängigkeit im 19. und 20. Jahrhundert, ist die im globalen Süden innerhalb von deren Gesellschaften und der Mensch-Natur-Beziehung längst internalisierte koloniale Beziehung bestehen geblieben. Die Ausbeutung der Natur und die Ausbeutung und Ausgrenzung der Menschen hat bis heute weiter zugenommen, und Europa profitierte schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Hilfe des ökonomischen Liberalismus Englands, welches in Lateinamerika zur wirtschaftlich dominanten Macht wurde[4], von diesen Prozessen; und seit der Entkolonisierung im 20. Jahrhundert profitiert der ganze globale Norden unter Führung der USA von der Ausbeutung des globalen Südens. Diese Entwicklung hat sich seit den Jahrzehnten des Neoliberalismus, welcher mit der politischen Korruption in Ländern des Südens zusammenarbeitet, verschärft. Die Politik des Nordens, besonders der USA, passt auf, dass die Gesellschaften des globalen Südens nicht wirklich unabhängig, schon gar nicht sozialistisch werden. Abgesehen davon verschiebt der Neoliberalismus die weltweite koloniale soziale Beziehung in den Bereich einer Beziehung zwischen Dingen. Hinter der Beziehung zwischen Waren, Dienstleistungen und Geld wird unsichtbar, dass es sich weiterhin um eine Beziehung zunehmender Ausbeutung und Ausgrenzung zwischen Menschen handelt, sowie – dies mag vom Denken indigener Völker zu lernen sein – um eine unterdrückerische, aber der Kategorie nach soziale Beziehung zwischen Menschen und Natur. Die Gestaltung globaler sozialer Beziehungen ist aber Politik.[5]
Finanzialisierung der Natur, Naturkapital, Green Grabbing
Eine neue Welle der Ausbeutung der Arbeit der Natur hängt vermutlich nicht nur zeitlich mit der Explosion der Finanzmärkte zusammen, sondern ist eine wichtige, wenn nicht die wichtigste, materielle Grundlage von deren Wertgenerierung.
Nach dem Motto einer “Green Economy” sollen auch Dienstleistungen der Natur bezahlt werden.[6] Diesem Gedanken liegt ein gravierender Fehler zugrunde: bezahlt wird, wenn überhaupt, nicht die Arbeit der Natur, sondern die als Ware behandelte Arbeitskraft (Ak) der Natur. Die Differenz zwischen dem Wert der Ware Ak Natur und dem durch die lebendige Arbeit der Natur generierten Wert ist der Mehrwert, was an dieser Stelle die Arbeit der Natur betrifft. Die durch dieselben Prozesse von der Natur ausgegrenzten Menschen sind teils unterbezahlte Arbeitskräfte und teils “überflüssig”.
Ein Beispiel ist der Handel mit Emissionsgutschriften. Ein Betrieb, der mit seinem Ausstoß von CO2 unterhalb einer vom Staat definierten Obergrenze bleibt, kann den Differenzbetrag als Emissionsgutschrift, d.h. Umweltverschmutzungsrecht, verkaufen.[7] Oder ein Land oder Unternehmen investiert in emissionsreduzierende Maßnahmen und erhält dafür Emissionsgutschriften (Offsets), d.h. das Recht, eine bestimmte Menge CO2 (oder Methan) auszustoßen. REDD+[8] sind Emissionsgutschriften dafür, dass ein Staat oder Unternehmen, das Eigentümer von Wald ist, die Waldabholzung vermeidet oder einschränkt. Es gibt weitere Biodiversitäts-Offsets (Gutschriften) für Wälder, Flüsse, Pflanzen und Tiere, sowie Naturkapitalberechnungen, welche angeblich der ökologischen Diversität dienen sollen[9]. Hier kauft etwa ein Unternehmen, das einen Bereich der Natur ausbeutet, eine Kompensationsgutschrift, womit woanders ein Stück Natur (z.B. Wald) aufgebaut wird. In Brasilien[10] (Stand 2015) können Waldzerstörer bei der “Grünen Börse von Rio de Janeiro” “Waldrestaurations-Zertifikate” kaufen. Biodiversitäts-Offsets sollen eine Form von “Payments for Ecosystem Services”, Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen sein.[11] Diese Behauptung ist wie schon gesagt falsch. Unter dem Namen von “Naturschutzgesetzgebungen”[12] sorgen Staaten – wenn überhaupt, denkt man an Trump und Bolsonaro – dafür, dass die Ausbeutung der Arbeit der Natur mehr oder weniger, real oder fiktiv, an die anteilige Wiederherstellung der Ware Ak Natur gebunden bleibt. Nichts anderes sind die Offsets. Es sind Zahlungen für die “Restauration” der Ak der Natur. Einen Offset zu besitzen bedeutet, Privateigentümer einer jeweils bestimmten Menge an der Ware Ak Natur zu sein. Die Differenz zwischen deren Wert und dem Wert des Produktes der dann tatsächlich geleisteten Arbeit der Natur (Ökosystemdienstleistungen, Energiekraftwerke, Tourismusprojekte, Extraktion natürlicher Ressourcen u.a.) ist der Mehrwert. Die Finanzialisierung der Natur beim Green Grabbing wird verknüpft mit der Ausbeutung der Arbeit der Menschen. Das Gesamtkapital ist die Arbeitskraft von Natur und Mensch, und der gesamte Mehrwert ergibt sich aus der Differenz zwischen der Ausgabe für beider Ak und der Einnahme aus beider Arbeit. Nach dem hier entwickelten Kausalzusammenhang spielt bei der Explosion der Finanzmärkte die enorm gewachsene Ausbeutung der Arbeit der Natur unter Bedingungen von deren formeller und reeller Subsumtion[13] unter das Kapital eine große Rolle.
Den so dargelegten Zusammenhängen zufolge ist das, was in Honduras geschieht, paradigmatisch für die bis heute sich fortsetzende weltweite koloniale Beziehung. Eine echte Alternative wäre eine Politik der Menschlichkeit[14] und der Liebe zum Leben, die im Sinne einer Ökonomie der Reziprozität oder der Komplementarität[15] nicht die Ak der Menschen und der Natur bezahlt, sondern ihnen so viel gibt, wie sie brauchen, um gut leben zu können.
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[1]So Aníbal Quijano: Kolonialität der Macht, Eurozentrismus und Lateinamerika, Wien/Berlin (Verlag Turia + Kant) 2016.
[2]María Lugones: Colonialidad y Género. Hacia un feminismo descolonial [Kolonialität und Geschlecht. Auf dem Weg zu einem dekolonialen Feminismus], in: Walter Mignolo (et alii. Hrsg.): Género y descolonialidad, Buenos Aires 2014, S. 13-42.
[3]Daniel Stosiek: Die soziale Ausgrenzung der Natur, in: Thomas Hoffmann, Wolfgang Jantzen, Ursula Stinkes (Hg.): Empowerment und Exklusion. Zur Kritik der Mechanismen gesellschaftlicher Ausgrenzung, Gießen (Psychosozial-Verlag) 2018, S. 199-215.
[4]Gustavo Beyhaut: Süd- und Mittelamerika II, Von der Unabhängigkeit bis zur Krise der Gegenwart, Frankfurt/Main (Fischer Verlag) 1963.
[5]Hier orientiere ich mich an Überlegungen von David Graeber: Schulden. Die ersten 5000 Jahre, Stuttgart (Klett-Cotta) 2012.
[6]Magdalena Heuwieser: Grüner Kolonialismus in Honduras. Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidigung der Commons, Wien (Promedia Verlag) 2016, 73.
[7]Ebd., 77ff.
[8]Ebd., 83ff.
[9]Ebd., 85f.
[10]Ebd., 90.
[11]Ebd., ebd.
[12]Ebd., 91.
[13]Formelle Subsumtion unterwirft nur die Resultate der Arbeit (hier der Natur), beispielsweise bei der Nutzung des Regenwaldes und der Extraktion natürlicher Ressourcen; reelle Subsumtion dagegen unterwirft den gesamten Lebens- und Arbeitsprozess, was bei Monokulturen und bei der Massentierhaltung geschieht.
[14]José Saramago: Das Tagebuch, Hamburg (Atlantik Verlag) 2018.
[15]Wie bei indigenen Völkern immer wieder hervorgehoben wird.
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