Dr. Ertekin Özcan
Obwohl wir als VertreterInnen verschiedenen Organisationen seit über 40 Jahre für die Verbesserung zur Situation von türkeistämmigen Kinder und Jugendlicher beitragen und Lösungsvorschläge anbieten, haben sie trotzdem heute grundsätzlich ähnliche Probleme.
Als HDF (Föderation progressiver Volksvereine der Türkei in Europa) veranstalteten wir vom 24./ 26. März 1978 einen drei tägigen Bildungskongress in Frankfurt, um einen Beitrag zur Lösung der Bildungsfragen türkischer SchülerInnen zu leisten. Zusammenfassend stellte die HDF folgende Vorschläge und Forderungen:
- Grundsätzlich müssen ausländische Kinder in die Regelklasse aufgenommen werden. Es muss gewährleistet werden, dass sie mindestens 6 Stunden wöchentlich in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, wobei diese Unterrichtstunden in den Rahmenplan eingegliedert sind. Ein Zweisprachiger und multikultureller Erziehungs- und Ausbildungshorizont müssen gewährleistet werden.
- Zweck der Grundausbildung muss sein, dass den ausländischen Kindern sowohl in ihren Heimatländern als auch in den Ländern, in denen sie sich aufhalten, eine Berufsausbildung oder die Aufnahme eines Hochschulstudiums ermöglicht wird.
- Es müssen entsprechende Lernmaterialien für die spezifische Situation der Immigrantenkinder erstellt und Lehrkräfte in dieser Hinsicht qualifiziert werden.
- Schulaufsicht über alle Unterrichtsfächer einschließlich Muttersprachenunterricht und Religion muss durch deutsche Schulbehörden gewährleistet werden. Einfluss der Koranschulen muss abgebaut werden.
- Verstärkte Aufklärungs- und Elternarbeit muss gewährleistet werden. Der muttersprachliche Unterricht muss von den LehrerInen erteilt werden, die aus den jeweiligen Ländern kommen und über Kenntnisse und Qualifikation in der Muttersprache verfügen.“ (Özcan, Ertekin: Türkische Immigranten Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland 1989: S. 284ff)
Ähnliche und ausgeweitete bzw. verbesserte Vorschläge und Forderungen haben auch Türkische Elternvereine von 80’ern Jahren bis heute gemacht (Özcan:330ff), (Sprachliche und religiöse Vielfalt an Deutschlands Schulen (Hrg: Akdemie Klausenhof, FÖTED, ATÖF), 2004 S. 33ff)
Nach 40 Jahren an Berliner Schulen
Nach dem Bericht des Tagesspiegels am 07.10.2017 wurde Türkischunterricht, der vom türkischen Bildungsministeriums angestellten Lehrkräften ausßerhalb der Berliner Schulaufsicht an Grundschulen erteilt wurde, eingestellt.
Berliner Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles berichtete, dass der Lehrplan „eindeutig nationalistische und eindeutig religiöse“ Inhalte habe, obwohl er laut Abkommen nur Landeskunde und türkische Sprache vermitteln soll. Allerdings ist dieser Lehrplan schon seit vielen Jahren in Kraft, ohne dass der Senat auf einer Überarbeitung beharrte. Laut Rackles wurden zwar Änderungen gefordert, aber es wurde nicht kontrolliert, ob sie vorgenommen wurden. Erst Jahre später – unter dem Eindruck der repressiven türkischen Innenpolitik und vor dem Hintergrund türkischer Spitzelaktivitäten unter Deutschtürken – erneuerte die Bildungsverwaltung kürzlich ihre alten Änderungswünsche, denen aber bisher nicht genügend entsprochen worden sei.“
Anstelle des aus der Türkei angestellten Lehrkräften erteilten Türkischunterrichts, hat der Senat auf Vorlage der Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, Sandra Scheeres am 4. September 2018 einen Bericht an das Abgeordnetenhaus über die Förderung der Mehrsprachigkeit an Schulen beschlossen.
Senatorin Scheeres: „Die Berliner Schule wird internationaler. Mittlerweile gibt es 136.000 Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache. Wir werden das mehrsprachige Angebot für Türkisch und Arabisch ausweiten.
Nach einer Befragung wünschten sich viele der Schulleitungen, dass insbesondere staatliche Angebote als Alternative zum sogenannten Konsulatsunterricht geschaffen werden. Erste staatliche Angebote begannen an 21 Grundschulen. Diese haben seit dem 2. Schulhalbjahr 2017/18 ein AG-Angebot „Herkunftssprache Türkisch“ für SchülerInnen der Jahrgangsstufen 1-3 eingerichtet. Der Start der Pilotphase erfolgte in Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln. Kinder mit türkischer Familiensprache können seitdem an einer zweistündigen Arbeitsgemeinschaft Türkisch teilnehmen, die zusätzlich zum Regelunterricht angeboten wird. Zum Schuljahr 2018/19 bietet Berlin das Angebot insgesamt 41 Schulen Türkisch an
Vorschläge für die Verbesserung der Bildungschance von türkeistämmigen SchülerInnen
Wir begrüssen die Entscheidung der Senatsverwaltung für Schule, dass SchülerInnen türkischer Herkunft an insgesamt 41 Berliner Grundschulen im Schuljahr 2018/2019 Türkisch lernen künnen. Die SchülerInnen werden nach dieser Entscheidung zwei Stunden pro Woche in Arbeitsgemeinschaften von LehrerInnen des Landes Berlin unterrichtet.”
Ob die Senatsverwaltung für Bildung geplant hat, den Türkischunterricht im Rahmenplan als zeugnis- und versetzungsrelavantes Fach anzubieten? Das wissen wir noch nicht.
Um die Situation türkeistämmiger SchülerInnen verbessern zu können, machen wir folgende Vorschläge:
Das Angebot “Deutsch als Zweitsprache” (DaZ) für die SchülerInnen nichtdeutscher Herkunftssprache, die keine oder sehr wenige Deutschkenntnisse haben, sollte ausgebaut werden. Die Lehrkräfte, die DaZ unterrichten, sollten durch die Fort- und Weiterbildungsmassnahmen befähigt werden.
- In den Rahmenplänen der Schulen sollten die Vielfalt der Kulturen und Mehrsprachigkeit der Schulen berücksichtigt werden. Der herkunftssprachliche/muttersprachliche Unterricht sollte mit einem interkulturellen Ansatz als zeugnis- und versetzungsrelevantes Fach neben der deutschen Sprache wöchentlich vier Unterrichtsstunden angeboten werden.
- Zweisprachige Erziehung und Deutsch-Türkische Staatliche Europaschulen sollten ausgeweitet werden. Das Fach Türkisch, das im Rahmen der zweisprachigen Erziehung erteilt wird, soll das zeugnis- und versetzungsrelevantes Fach werden.
- Das Angebot von Türkisch als 2. Fremdsprache an den Berliner Sekunderschulen und Gymnasien sollte erweitert Die Erweiterung des Faches Türkisch als Prüfungsfach und Leistungskurs im Abitur in Gymnasien und in den Oberstufen der Sekunderschulen sollte gewährleistet werden.
- Der Bedarf nach TürkischlehrerInnen sollte durch die Einstellung der neuen Lehrkräfte mit Migrationshintergrund gedeckt werden.
- Für die Ausbildung des Lehrpersonals im Hinblick auf das Fach Türkisch als Herkunfts/muttersprache, als Fremdsprache und Zweisprachige Erziehung sollte an den Universitäten von Berlin das Studienfach “Lehramt Türkisch” eingerichtet SchülerInnen mit türkischen Migrationshintergrund sollten gezielt gefördert werden, auf Lehramt Türkisch zu studieren.
- Die Eltern sollten in ihrer Muttersprache und auf Deutsch über das Schulsystem informiert Mit diesem Ziel soll eine enge Zusammenarbeit mit dem türkischen Elternverein und Schulbehörden erfolgen. Hierfür sollten die türkischen Eltern durch Briefe, Informationsveranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit und Beratungen vor allem in den Schulen und Vorschuleinrichtungen informiert und betreut werden.
- Da die sozial- und bildungsschwachen Eltern nicht in der Lage sind, ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, sollte den Kindern verstärkt Hausaufgabenhilfe angeboten werden. Elternvereine, die Hausaufgabenhilfe und Nachhilfe für SchülerInnen anbieten, sollten finanziell unterstützt werden.
- Ganztagsschulangebote sollten insbesondere für SchüIerInnen mit Migrationshintergrund und sozial- und bildungsschwachen Familien erweitert werden.
Wenn wir davon ausgehen, dass auf Landesebene viele SchülerInnen türkischer und nichtdeutscher sowie deutscher Herkunftssprache aus sozial und bildungsschwachen Familien die Schule ohne Abschluss und mit einem einfachen Hauptschulabschluss verlassen, ist das eine Verschwendung und Verschenkung der Ressourcen in unserem Land. Daher müssen gleiche Startchancen allen Kindern und Jugendlichen in allen Bereichen durch verschiedene Maßnahmen und Reformen gewährleistet und erweitert werden. Dadurch wird der soziale Frieden auf Dauer gesichert und der Integrationsprozess vorangetrieben werden.