„Integration ist eine dauerhafte politische und gesellschaftliche Aufgabe, die alle im Land lebenden Menschen betrifft. Integrationsförderung soll den Zuwanderern eine gleichberechtigte Teilhabe am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben ermöglichen und für Toleranz, Akzeptanz und wechselseitigen Respekt zwischen den Bevölkerungsgruppen werben.“
Diesen Integrationsbegriff und diese Erwartungen an die Förderung der Integration hat die „Zuwanderungskommission“ unter der Leitung der ehemaligen Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth der Politik schon im Jahr 2001 ins Stammbuch geschrieben. Wer es damit ernst meint, muss unter anderem
- Menschen unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft an Wahlen und Volksentscheiden teilnehmen lassen, wenn sie dauerhaft in Deutschland leben;
- Menschen unabhängig von Sprachnachweisen und dem Bezug von Transferleistungen das Recht auf ein Leben in der Familieneinheit zuerkennen;
- das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen, das Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge langjährig zu einem Leben ohne ausreichende medizinische und finanzielle Versorgung und in gesellschaftlicher Isolation verpflichtet;
- wirksame rechtliche Instrumente zum Schutz gesellschaftlicher Minderheiten vor Diskriminierung im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt, im privaten Geschäftsverkehr und in staatlichen Einrichtungen schaffen;
- rassistische Einstellungen und Vorurteilsstrukturen durch Aufklärungsarbeit und die Versachlichung von Konflikten aufbrechen und rassistisches Verhalten über das (Straf-)Recht ahnden;
- Strukturen auf allen Hierarchieebenen soweit öffnen, dass Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten nicht nur formal gleiche Zugangsrechte besitzen, sondern darin gemäß ihrem Bevölkerungsanteil tatsächlich repräsentiert sind.
Auch wenn die Integration gesellschaftlicher Minderheiten und insbesondere die Integration von Einwanderer_innen seit dem Jahr 2000 nicht nur ins Zentrum vieler und meist kontroverser Debatten gerückt, sondern (ohne wesentliches Zutun der Politik) tatsächlich vorangeschritten ist: Von der Erfüllung dieser Erwartungen sind wir noch meilenweit entfernt.
Während ureigene staatliche Aufgaben wie die Ausgestaltung gleichbehandlungs- und damit integrationsfördernder rechtlicher Rahmbedingungen vernachlässigt werden, vergibt die Politik die Integrationsförderung bzw. das, was sie darunter versteht, zunehmend als Auftragsarbeit an private zivilgesellschaftliche Träger. Dagegen ist im Grundsatz wenig einzuwenden. Die Erfahrung lehrt, dass Viele hierzulande vieles besser können und zu vielem besser berufen sind als staatliche Stellen. Nicht die Privatisierung der Integrationsförderung an sich ist also das Problem, sondern die Tatsache, dass die Politik es auch hier unterlässt, der Zivilgesellschaft taugliche, verlässliche, dauerhafte und nachhaltige rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen breitzustellen – mit nachteiligen und oftmals kontraproduktiven Folgen für das von der damaligen Integrationsbeauftragten Prof. Maria Böhmer ausgerufene „Integrationsland Deutschland“.
Beispiel „Abbau von rassistischen Einstellungen“
Seit über einem Jahrzehnt ermitteln repräsentative Befragungen die Einstellungen und Haltungen der deutschen Bevölkerung gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten. Die Befunde sind dramatisch: Ablehnende Haltungen gegenüber Nicht-Deutschen, Muslimen, Flüchtlingen, Juden, Roma, Schwarzen Menschen, Obdachlosen und Empfängern staatlicher Transferleistungen sind nicht nur am Rand, sondern besonders in der Mitte der Gesellschaft fest verankert. Solche Vorurteile, Stereotype und Ressentiments entfalten Wirkung: Sie werden von gewaltbereiten Rassisten als Legitimation für ihre Verbrechen instrumentalisiert, von rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen als Mobilisierungsthemen benutzt und finden ihren Niederschlag auch im Alltag. Diskriminierungen finden sich bei der Arbeits- und Wohnungssuche, im Bildungssystem, bei Behörden oder auf der Straße.
Die Bearbeitung von rassistischen Vorurteilsstrukturen ist deshalb ein wesentlicher Beitrag zur Integrationsförderung durch die Überwindung der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Minderheiten. Zivilgesellschaftliche Einrichtungen und kommunale Initiativen haben in den letzten Jahrzehnten unter anderem durch Information, Dialog und Begegnung, durch Fortbildungsangebote und Sensibilisierungsmaßnahmen viel dazu beigetragen, rassistische Stereotype zu hinterfragen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.
Dieses präventive Engagement in der vorschulischen Erziehung, der schulischen Bildung, der beruflichen Ausbildung sowie in Betrieben und Behörden wird von staatlichen Stellen bislang nicht ausreichend unterstützt und oftmals sogar erschwert oder diskreditiert. Ein Beispiel hierfür ist die von der christlich-liberalen Vorgängerregierung eingeführte »Extremismusklausel«, mit der Initiativen gegen Rassismus und Rechtsextremismus in den letzten Jahren unter einen Generalverdacht gestellt und in ihrer Arbeit behindert wurden.
Viele zivilgesellschaftliche Organisationen und Einrichtungen, die sich für die Bearbeitung von rassistischen Einstellungen einsetzen, haben trotz hoher Expertise keine gesicherte Finanzierung oder werden nur unregelmäßig und unzuverlässig über kurzfristige Modellprojekte gefördert. Das in diesen Projekten erworbene Erfahrungswissen und qualifiziertes Personal gehen deshalb regelmäßig verloren.
Beispiel Berufsanerkennung
Vor zwei Jahren trat das „Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen“ als Maßnahme für Gleichbehandlung, vor allem aber als Baustein im Kampf gegen den Facharbeiter_innen-Mangel Kraft. Es schaffte einen Rechtsanspruch auf Überprüfung der Gleichwertigkeit eines ausländischen Berufsabschlusses mit dem deutschen Referenzberuf. Die Bundesregierung ging damals von etwa 300.000 in Deutschland lebenden Personen aus, die von diesem Gesetz profitieren und ihren Abschluss als gleichwertig anerkennen lassen könnten. Im ersten Jahr nach Inkrafttreten gingen jedoch nur rund 30.000 Anträge bei den im Gesetz mit der Prüfung von Anerkennungsanträgen beauftragten Kammern ein. Rund 90 % der Migrantinnen und Migranten nutzten die Möglichkeit also bislang nicht. Die Frage nach dem hauptsächlichen „warum?“ ist einigermaßen leicht zu beantworten: Der Gesetzgeber hat eine Gebührenfreiheit in dem Anerkennungsverfahren nicht vorgesehenen.
Statt die mit der Durchführung der Prüfung beauftragten Kammern finanziell so auszustatten, dass die ihren gesetzlichen Auftrag unentgeltlich erfüllen können, hat er die mit einem Antrag auf Berufsanerkennung verbundenen Gebühren von bis zu 600,00 € den Antragstellern auferlegt. Und dabei bleibt es in der Regel nicht, denn auch die Kosten für die Beschaffung beglaubigter Dokumente und Kopien im Antragsverfahren hat der Antragsteller zu tragen.
Beispiel „Integrationskurse“
Integrationskurse als Maßnahme zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse für ausländische Staatsangehörige wurden 2005 im Rahmen des sogenannten „Zuwanderungsgesetzes“ eingeführt. Neueinwanderer-innen, aber auch sogenannte „Bestandsausländer_innen“ können unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Integrationskurs verpflichtet werden. Die Kurse sollen die sprachliche Handlungsfähigkeit von Migrant_innen im Deutschen fördern und ihnen damit gleiche gesellschaftliche Teilhabechancen ermöglichen.
Ein hohes Ziel, das hohe Anforderungen an die finanzielle Ausstattung und die strukturelle Ausgestaltung der Kurse und nicht zuletzt an die Lehrkräfte rechtfertigt, die bei den mit der Kursdurchführung beauftragten freien Bildungsträgerorganisationen zum Einsatz kommen. Der Gesetzgeber verlangt nicht weniger ein abgeschlossenes Studium, eine Zusatzqualifikation „Deutsch als Fremdsprache“, regelmäßige Fortbildung und die Lizensierung als Prüfer. Die besten Köpfe also sind gefragt und die – sollte man meinen – haben ihren Preis.
Doch die Integrationskurs-Wirklichkeit sieht anders aus: „Selbst in einem Call-Center hat man ein besseres und sichereres Einkommen als in den staatlichen Deutschkursen“, sagt Georg Niedermüller von der „Initiative Bildung Prekär (IBP)“. Zur Erfüllung des staatlichen Auftrags der Vermittlung von Deutsch- und Landeskenntnissen überweist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Trägern nicht mehr als 2,94 Euro pro Teilnehmenden und Unterrichtseinheit.
Für die in der Regel auf Honorarbasis beschäftigten Dozent_innen bleibt am Ende eines Monats ein Nettolohn von oft weniger als 1.000 Euro. Eine finanzielle Absicherung im Fall der Arbeitsunfähigkeit oder beim Ausfall von Kursen gibt es nicht. Es kann vor diesem Hintergrund kaum überraschen, dass viele Lehrkräfte die prekäre Beschäftigungssituation bei erster Gelegenheit hinter sich lassen und die Dozent_innen-Fluktuation dementspechend hoch ist. Die Auswirkungen auf die Qualität des Integrationskursangebots sind nachvollziehbarerweise fatal.
Was wir brauchen
Statt des gegenwärtig zu konstatierenden integrationspolitischen Stückwerks ohne ausreichende und verlässliche finanziellen Ausstattung der mit der Durchführung von Maßnahmen beauftragten Trägerorganisationen brauchen wir eine umfassende und handlungsorientierte Politikstrategie, die Vielfalt, Gleichstellung und Gleichbehandlung fördert. Ein solcher Politikansatz muss als Mainstreaming-Strategie alle Politikfelder umfassen und ist im Bund, in den Ländern und auf kommunaler Ebene gemeinsam von staatlichen Stellen und der Zivilgesellschaft zu gestalten.
Von besonderer Bedeutung sind dabei zum einen die Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen, die auf Gleichbehandlung und Förderung der Integration abzielen und zum anderen eine grundsätzliche Neuausrichtung der öffentlichen Finanzierung der Integrationsförderung. Organisationen und Strukturen, die sich in den hierbei relevanten Handlungsfeldern engagieren, müssen zukunftsfest gefördert werden. Die dauerhafte Bereitstellung ausreichender Mittel für die Integrationsförderung durch zivilgesellschaftliche Strukturen kann nicht über einzelne zeitlich begrenzte Förderrichtlinien und Programme erfolgen, sondern ist über Regelfinanzierungen zu gewährleisten.