Prof. Dr. Wolf-D. Bukow (Universität Siegen)
Nachdem es im Herbst rechten Gruppen und Parteien das erste Mal gelungen ist, mit einer Anti-Islam-Kampagne zunehmend Sympathisanten zu gewinnen, gehen am 12. Januar 2015 in Dresden schon ca. 25.000 Pegida-Anhänger auf die Straße. Die überall von der neuen Rechten organisierten PEDIGA-Demonstrationen stellen im Vergleich zu früheren rechten Demonstrationen eine neue “Qualität” dar. Sie sind in kurzer Zeit zu einer Massenbewegung avanciert und werden damit zu einer wirklichen Bedrohung für jede globalisierte Gesellschaft. Doch auch der Widerstand gegen das Pegida-Bündnis wächst: bundesweit demonstrierten zu dieser Zeit bereits 100.000 Menschen gegen Pegida.
Dass eine rechte politische Bewegung innerhalb weniger Wochen so viele Menschen in einer Stadt wie Dresden mobilisieren kann, das ist erstaunlich und bleibt erklärungsbedürftig, selbst wenn man die vorausgegangenen Ereignisse wie insbesondere den Terroranschlag von Paris mit in Rechnung stellt. Zwar gibt es seit langem eine relativ starke rechte Szene, angefangen bei entsprechenden “Kameradschaften” über die einschlägigen “Pro”-Parteien bis hin zur AfD. Dies gilt gerade auch für die neuen Bundesländer. Die Erfolge dieser Gruppierungen und Parteien hielten sich offenbar lange Zeit in Grenzen. Man kann daraus folgern, dass etwas passiert sein muss, was das plötzliche Erstarken der Bewegung erklärt. Man kann aber auch daraus folgern, dass es sich hier um eine Entwicklung handelt, die sich schon länger angebahnt hat, man hat sie nur nicht registriert oder wollte sie auch nur nicht wahrnehmen und dass es jetzt nur noch eines Auslösers bedurft hat, um aus einer marginalen Bewegung eine Massenbewegung zu machen. Dem Beobachter drängt sich in jedem Fall die Frage auf, wie so etwas geschehen konnte.
Für einen kritischen Beobachter der rechten Szene stellt sich die Frage, ob die Entwicklungen am rechten Rand der Gesellschaft nur nicht genau genug wahrgenommen wurden. Und tatsächlich wurden rechte Aktivitäten bislang kaum als etwas wirklich Besorgniserregendes registriert. Die Öffentlichkeit hat sich tatsächlich seit langem an rassistische Schmierereien bis hin zu gezielten Brandstiftungen und der Verfolgung von “Ausländern” gewöhnt. Man hat all dies aber eher als Ausdrucksformen eines Rassismus von gestern betrachtet. Hinzu kommt, dass sich diese Aktivitäten häufig vor allem gegen Flüchtlingsunterkünfte, gegen eine ohnehin schon lange skandalisierte Zuwanderung und gegen ohnehin schon immer diskriminierte Minderheiten wie die Roma richten. Und diese Aktivitäten passen außerdem auch zu dem, was sich seit langem in anderen europäischen Ländern abspielt. Die von der Öffentlichkeit vorzugsweise repräsentierte Mitte der Gesellschaft schien davon eher nicht betroffen und war dementsprechend auch nur wenig beunruhigt. Tatsächlich gab es sogar mitunter eine heimliche Zustimmung, weil es ja nur gegen “Ausländer” geht, gegenüber denen man ohnehin argwöhnisch ist und denen man z.b. eine spezielle Neigung zur Kriminalität unterstellt. Unruhe entstand eigentlich nur, wenn antisemitische Tendenzen sichtbar wurden. Was man jedoch lange nicht wahrhaben wollte, das ist, dass eine rassistische Bewegung, die sich einst in der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt hatte, sich nach dem zweiten Weltkrieg natürlich nicht einfach spurlos verdrängen und an den Rand der Gesellschaft hat verlagern lassen. Die rasstischen Ideologeme wurden weiter in der Mitte der Gesellschaft überliefert, nur eben in den Hintergrund geschoben. Sichtbar wurden sie jedoch weiter am Rand der Gesellschaft. Dort sind die klassischen Formen des Rassismus mehr oder weniger ungebrochen erhalten geblieben. In der Mitte der Gesellschaft wurden die Ausdrucksformen des Rassismus relativ schnell dem Nachkriegsklima angepasst. Aus heutiger Sicht muss man sagen, sie wurden schrittweise modernisiert. Greifbar wird dieser Modernisierungsprozess das erste Mal, als man in den 60er Jahren beginnt Menschen von außerhalb anzuwerben. Im Umgang mit der Generation Gastarbeiter tritt dieser modernisierte Rassismus deutlich zutage. Er hat sich tatsächlich nur gewandelt und der “neuen Zeit” anpasst. Es wird nicht länger biologistisch, sondern jetzt kulturalistisch argumentiert. Aus dem klassischen Rassisierungsprozess ist nur ein Ethnisierungsprozess geworden. Mit der Ethnisierungsstrategie wurden die Grundlagen für einen neuen Kulturrassismus geschaffen. Mit anderen Worten, der Rassismus hat eine Modernisierung erfahren, die ihn weniger auffällig erscheinen lässt, salonfähig macht und der ihm zugleich in der Form des Kulturrassismus eine neue Schlagkraft gibt. Der Rassismus blieb also nicht nur weiter präsent, sondern hat sich auch in der Mitte der Gesellschaft neu verankert und lässt sich seitdem je nach Bedarf auch sehr leicht reaktivieren. Die besondere Pointe besteht zugleich darin, dass man mit dieser kulturalistischen Verbrämung die Möglichkeit gewinnt, sich von den Ausdrucksformen des klassischen Rassismus zu distanzieren und sie als “Ausländerfeindlichkeit” zu brandmarken, obwohl man im Grunde genau das Gleiche tut. Und genau das ist selbst kritischen Beobachtern oft entgangen. Dieser neue Kulturrassismus ist deshalb noch lang nicht “zahnlos”, d.h. harmloser geworden. Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall. Heute wird klar, dass auf diese Weise nicht nur gewissermaßen der status quo erhalten wurde. Vielmehr ist ein neues Potential entstanden, das bei Bedarf zur Verfügung steht, um einen ganz neuen Rassismus mit einer hohen Durchschlagkraft hervorzubringen.
Wann und wie dieser neue Rassismus das erste Mal seine volle Wirkung entfaltet, lässt sich exemplarisch an dem Hooligan-Großtreffen, der Demonstration der HoGeSa auf der Rückseite des Kölner Bahnhofs am 26.10.2014 zu beobachten. Was hier geschehen ist, lässt sich in drei Schritten rekonstruiert werden:
- Zunächst einmal geht es um die Modernisierung einer seit langem vertrauten Szenerie. Die Hooligan-Szene, die einst aus den verschiedensten lokalen Szenen hervorgegangen ist, erfährt einen massiven Bedeutungsverlust. Er resultiert nicht zuletzt aus dem guten Abschneiden neuer konkurrierender Gruppen wie den “Ultras”. Die “Ultras” sind einfach erfolgreicher, weil sie kreativer, moderner und in den Medien deutlich präsenter, kurz, auf der Höhe der Zeit sind. Sie sind auch besser in den für diese Gruppen typischen Kampfspielen mit feindlichen “Partnern” und damit sowohl in ihrer Selbstinszenierung als Teil eines großen Fußballwettkampfes als auch in der öffentlichen Dramatisierung ihrer Gruppe. Und ganz besonders in den Stadien verdrängen die Ultra-Choreographien die traditionellen Hooligan- Inszenierungen.
- Vor diesem Hintergrund stellt das Hooligan-Großtreffen im Zentrum Kölns ein Schritt in Richtung einer längst überfälligen und radikalen Modernisierung der Gruppe dar. Allerdings wird mit dem neuen Schauplatz auch eine ganz neue Dramaturgie fällig. Die gesamte Szenerie von den Kampfspielen bis hin zur Zuordnung zu feindlichen “Partnern” muss neu arrangiert werden. Die alte Dramaturgie wird ins Zentrum der Gesellschaft verlagert, medialisiert und globalisiert. Aus der alten Freund-Feinkonstellation (Hooligans gegen Ultras usw.) werden jetzt eine neuen Freund-Feindkonstellation (Deutsche gegen “Ausländer”). Die unter dem Dach des Fußballs entwickelten Vorstelllungen werden unter das Dach einer globalisierten Weltgesellschaft gerückt. Das bedeutet auch, dass das die Freund-Feindkonstellation verbindende Selbstverständnis, nämlich der Kampf um die Hegemonie über die Fußballwelt, auf die neue Ebene übertragen werden muss. Aus dem alten Selbstverständnis wird quasi automatisch ein nationalistisches Selbstverständnis. Zur genaueren Differenzierung bietet sich das von diesen Gruppierungen bereits mitgebrachte rechte Weltbild an. Die aktuelle Konfliktlage wird kulturrassistisch angereichert: “Christliches Abendland” gegen “Fundamentalistischen Islamismus”. Und das bedeutet, dass die bisherigen Aktivitäten, nämlich direkte Aggression, durch neue Formen der Aggression ersetzt werden müssen. Die nonverbale Kommunikation wird gleichsam verbal “aufgerüstet” und kulturalistisch zugespitzt. Und die gesamten Aktivitäten sind ab sofort nicht länger an irgendwelche Fußballtermine gebunden, sondern werden jetzt mit nationalen Termintraditionen wie den Montag-Demonstrationen aus der DDR-Zeit und just- in-time über Internet abgesprochen.
- Dieses Vorgehen erweist sich in vielerlei Hinsicht nicht nur als sehr effektiv, sondern vor allem auch als folgenreich. Zwei Aspekte sind hier besonders wichtig. Im Rahmen der neuen kulturalistisch ausgelegten Dramatisierung auf der Ebene einer nationalen Medienöffentlichkeit sind global agierende Gegenbewegungen wie der IS besonders für die Funktion von feindlichen “Partnern” prädestiniert. Man kann auf diese Weise nicht nur neue Bundesgenossen rekrutieren, sondern sich zugleich auch nach einer neue Freund-Feindkonstellation ausrichten. Das bedeutet unter anderem, dass man sich in seinem Denken und Handeln dem Niveau des neuen Feinden anpasst. Die hierbei entstehende Freund-Feindkonstellation sieht knapp formuliert so aus: Religiös -christlich inszenierter deutscher Nationalismus (religiös aufgeladener Nationalismus) gegen einen national inszenierten religiös-islamischen Fundamentalismus (national aufgeladener islamischer Fundamentalismus). Die Freund-Feindkonstellation als solche ist kulturrassistisch-nationalistisch definiert, wobei den beiden Seiten eine zueinander komplementäre Struktur zugewiesen wird.
In der HoGeSa-Demonstration in Köln wird das erste mal in einer geradezu “genialen” Weise diese neue kulturrassistisch-nationalistische Freund-Feindkonstellation entwickelt. Die Hooliganszene avanciert Dank der skizzierten Transformation zum Dramaturgen einer Synchronisierung zwischen den Ideen eines restaurativen Nationalstaates und einem von den Rechtsbewegungen schon seit langem aktiv vorangetriebenen Kulturrassismus. Und im Verlauf dieser Synchronisierung werden die Aktionsformen zwischen den entsprechenden Gruppierungen ausgetauscht, angepasst und kulturalistisch verschmolzen. Die so konstruierte Freund-Feinkonstellation erzeugt gewissermaßen ein “Bündnis” zwischen weltweit agierenden rechten Bewegungen – ein “Bündnis”, in das das auch hin zum IS einbezogen wird.Auslöser für diese Denklogik ist im Grunde ein gezieltes Zusammenführen von zwei bislang nebeneinander verlaufenen, freilich schon immer miteinander verwandten Modernisierungsprozessen, nämlich der Modernisierung des Rassismus in der Form des Kulturrassismus und der Modernisierung der überkommenen Nationalstaatsvorstellungen in der Form eines christlich imprägnierten exklusiven Standortnationalismus.
Aus der Analyse der Kölner Ereignisse vom Oktober letzten Jahres lässt sich erkennen, wie die Entwicklung begonnen hat. Im Oktober waren es noch „Hooligans gegen Salafisten“. Diese erste Idee hat sehr schnell gezündet. Aus den Hooligans ist dabei eine nationalistisch ausgerichtete “patriotische Front” geworden. Die Hooligans haben die neue Plattform und die szenischen Elemente zur Dramaturgie beigetragen. Die Mitglieder aus dem rechten Parteienspektrum haben die passenden Argumentationsmuster beigesteuert und das organisatorische Feld übernommen. Und besonders in den neuen Bundesländern hat die Anknüpfung an die nationalen Daten viele neue Mitspieler gebracht. Was wir jetzt in Dresden mit den dortigen PEGIDA-Demonstrationenen erleben, sind Varianten dieses neuen “Spiels”, wobei von den Hooligans schon keine Rede mehr ist. Ihre Erfindung ist längst an die rechten Gruppierungen übergegangen.
Der erstaunliche Erfolg dieser neuen Inszenierung hat sicherlich mit der gelungenen Synchronisierung von zwei in der Mitte der Gesellschaft abgelaufenen, einerseits weitgehend unbemerkt gebliebenen und anderseits zugleich tief verankerten Modernisierungsprozessen zu tun. Er hat aber auch damit zu tun, dass es sich hier um eine effektvolle Inszenierung handelt, die geradezu optimal zur heute so beliebten Erlebniskultur passt. Zugleich wird in dieser Aufführung eine Weltsicht dramatisiert, die leicht eingängig ist, eine klare Rollenverteilung nach Gut und Böse verspricht und die vor allem durch die Anbindung an historische Daten (Montagsdemonstration) und an historische Zitate (“Wir sind das Volk”) dem Selbstwertgefühl der Menschen schmeichelt. Die PEGIDA verspricht: Wir sind endlich einmal auf der richtigen Seite der Weltbühne – eine Positionierung, die vor allem in den neuen Bundesländern attraktiv klingt.
Um diesen Mechanismus zu verstehen hilft ein Blick auf die Karl-May-Festspiele in Elspe/Sauerland bzw. Bad Segeberg/Schleswig-Holstein. Was für den Kleinbürger die Indianer-Festspiele sind, das ist für die Mitte der Gesellschaft PEGIDA. Beide Aufführungen dramatisieren den “Kampf des Guten gegen das Böse” und zielen auf eine Identifikation mit dem “Guten”. Und beide Aufführungen entziehen sich als dramatische Erzählungen jeder inhaltlichen Kritik. Für die Wirksamkeit der Inszenierungen ist es völlig gleichgültig, ob die Szenerie authentisch ist. Entscheidend ist, dass die dramaturgischen Mittel bei dem Publikum die entsprechenden Effekte auslösen. Und genau das ist bei den Karl-May-Festspielen kein wirkliches Problem. Niemand erwartet dort ein realistisches Bild vom Wilden Westen, sonder nur die Bestätigung seiner kleinbürgerlichen Phantasien, wenn am Ende die “Guten” Applaus bekommen und die “Bösen” ausgebuht werden. Bei einer politischen Inszenierung ist das freilich etwas ganz anderes. Hier geht es nicht mehr um eine mit dramaturgischen Mitteln erzeugte Bestätigung einer phantasievoll arrangierten privaten moralischen Ordnung, sondern um eine mit dramaturgischen Mitteln erzeugte Bestätigung einer phantasievoll arrangierten und kollektiv abgestimmten Weltordnung. Eine solche frei kreierte und schwarz/weiß inszenierende Weltordnung wird schnell zu einer Gefahr für eine globalisierte, säkularisierte und aus guten Gründen längst post-national agierende Gesellschaft, weil sie einen völlig falschen Referenzrahmen für das Handeln und Deuten vermittelt. Um an dieser Entwicklung etwas zu ändern, muss man, so wie das zivilgesellschaftliche Akteure in ihren Gegenveranstaltungen auch tun, die Kernbestandteile des von PEGIDA inszenierten Referenzrahmens angehen, den zunehmenden Kulturrassismus und den sich überall ausbreitenden neuen, zunehmend religiös aufgeladenen Nationalismus. Der Kulturrassismus und der religiös aufgeladene Nationalismus sind die entscheidenden Probleme. Sie müssen weiter angegangen werden und mit einem zukunftsorientierten Modell einer postnationalen, demokratischen und mobilitäts- und diversitätssensiblen Gesellschaft kontrastiert werden[1]. Angesichts der Tatsache, dass der Kulturrassismus und der religiös aufgeladene Nationalismus nicht nur in Europa, sondern auch darüber hinaus Mode werden, gibt es nur dann Chancen, gegen so etwas wie die PEGIDA Erfolg zu haben, wenn die Zivilgesellschaften von Köln bis Istanbul, um nur eine wichtige Achse zu nennen, besser miteinander kooperieren.
[1] Vgl. Wolf-D. Bukow (2015): Mobilität und Diversität als Herausforderungen für eine inclusive city. In: Marc Hill, Erol Yildiz (Hg.:) Nach der Migration. Postmigrantische Perspektiven jenseits der Parallelgesellschaft. Münster. Transcript S.105ff.