Prof. Dr. Volker Lenhart
und Heidelberger studentische Vorlesungsgruppe[1]
Der Zugang zu, ein Mindestmaß von, und eine bestimmte Qualität der Bildung werden in internationalen Politik-Papieren zur Weltbildungssituation, wie dem “Education for All 2000 Assessment“ der Weltbildungskonferenz in Dakar, Senegal, 2000, ausdrücklich als ein Menschenrecht bezeichnet. Bildung ist also nicht nur, wie das von Ralf Dahrendorf geprägte Stichwort in der Bundesrepublik Deutschland der 1960er Jahre lautete, „Bürgerrecht“, sondern ein darüber hinausweisendes allgemeines Menschenrecht.
Das Menschenrecht auf Bildung ist in folgenden weltweit gültigen völkergewohnheitsrechtlichen und völkervertragsrechtlichen Dokumenten fixiert:
– der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948
– der Konvention gegen Diskriminierung in der Bildung/Erziehung 1960
– dem internationalen Vertrag über ökonomische, soziale und kulturelle Rechte 1966
– der Konvention über die Rechte des Kindes 1989
– dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2006
– der UN-Deklaration über Menschenrechtsbildung 2011.
Es stellt sich die Frage, ob eine Normerweiterung angestrebt werden oder aber Nachdruck auf eine bessere Implementierung des Menschenrechtes auf Bildung im Rahmen der bisherigen rechtsförmigen Bestimmungen gelegt werden soll. Bei der Abwägung ist zu beachten, dass Bildung nicht nur eine Voraussetzung für die aktive Wahrnehmung anderer Menschenrechte darstellt sondern für die Teilhabe an den Handlungsvollzügen in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Kultur der Weltgesellschaft, die heute zugleich als Wissensgesellschaft zu bezeichnen ist. Wenn man sich für eine verbesserte Ausfüllung der Normen entscheidet, fallen fünf Felder ins Auge, in denen weltweit Defizite zu beheben sind:
- Nachholende Erwachsenenalphabetisierung
Der EFA- Global Monitoring Report 2015 fasst die Ergebnisse der verschiedenen Erhebungen des letzten Jahrzehnts zusammen:
„There are about 781 million illiterate adults. The rate of illiteracy is likely to have dropped slightly from 18% in 2000 to 14% in 2015…
Progress has been made towards gender parity in literacy. All countries where fewer than 90 women for every 100 men were literate in 2000 have moved towards parity, but none of them will reach parity by 2015”. Mit Illiteraten sind hier Personen gemeint, die nicht in der Lage sind, eine einfache Bemerkung über ihr Alltagsleben verstehend zu lesen und zu schreiben.
Die meisten absoluten Illiteraten leben in den Ländern des globalen Südens. Darauf konzentrieren sich auch die vorgeschlagenen und durchgeführten Maßnahmen:
– Ausweitung und Verstetigung der Grundbildung für Kinder und Jugendliche, so dass der Analphabetismus „von unten“ her beseitigt wird.
– Politisch forcierte Massenkampagnen
– Flächendeckende Angebotsprogramme
– Kleine lokale Schwerpunktprogramme
Von diesen Maßnahmen haben die Massenkampagnen die geringsten nachhaltigen Erfolge aufgewiesen.
2: Friedensbildung
In vielen der gegenwärtig 223 kriegerischen Konflikte haben internationale Organisationen, nationale Behörden, Nichtregierungsorganisationen und lokale Initiativen versucht, auch durch Bildung Frieden zu stiften und zur Versöhnung verfeindeter Parteien beizutragen. Maßnahmenmuster sind entweder formal, d.h. schulbezogen oder nonformal, außerhalb der formalen Bildungsinstitutionen stattfindend. Ein Beispiel für die ersteren sind integrierte, inclusive Bildungseinrichtungen. Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Religionen, Kulturen, Nationalitäten lernen gemeinsam im Unterricht an einem Ort. Die meist bi- oder multilingual arbeitenden Kindergärten und Schulen ermöglichen den Lernenden eine frühe Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition und Identität. Auch das zur Toleranz befähigende Beachten der Überzeugungen und kulturellen Eigenheiten der jeweils anderen wird gelernt/geübt. Ein Beispiel für ein nonformales Maßnahmenmuster ist die arrangierte interkulturelle und zwischengemeinschaftliche Begegnung. Die Aktivitäten finden statt in Kinder- und Jugendbegegnungshäusern, Jugendcamps, „Friedenscomputerzentren“. Es gibt erlebnispädagogische Abenteuerbegegnungen, wie Wildwasserfahrten, und Wettkämpfe des „Sports für den Frieden“. Die Aktivitäten sollen dazu dienen, Räume einer friedlichen Interaktion zu schaffen und dadurch auch zum Abbau von Vorurteilen durch das Kennenlernen des anderen beitragen.
- Bildungsintegration von Flüchtlingen
Im Jahr 2015 gab es auf der Welt 61 Millionen Flüchtlinge. Die Problematik ist in Westeuropa, gerade auch in Deutschland, durch den Zuzug von Asylbewerbern aus den Krisenregionen Syrien, Irak, Afghanistan besonders bewusst geworden. Die Integrationsbemühungen enthalten notwendig eine Bildungskomponente: Sprachkurse für die Neuankommenden, Zugang zur Berufsausbildung, Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in die Schulen, Öffnung der Universitäten für die Aufnahme von Flüchtlingsstudierenden. Bei der schulischen Integration gibt es in Deutschland folgende Maßnahmen: Lernstandstests, Einrichtung von Vorbereitungsklassen, Sensibilisierung von Lehrkräften für kulturelle Diversität, Ausbildung von Lehrern/innen für Deutsch als Zweitsprache. Bei den Schulstandorten ist eine „Ghettoisierung“ zu vermeiden. Es gibt eine Tendenz, dass Flüchtlingskinder verstärkt in Schulbezirke zuziehen, die in ihren Einrichtungen eine ohnehin benachteiligte Schülerschaft zu betreuen haben. Die herkömmliche Migrationspädagogik ist mehr vor dem Anschauungssubstrat der Arbeitsmigration entwickelt worden. Mit der Flüchtlingsmigration hat sie sich weniger beschäftigt. Hier ist ein Nachholbedarf der Erziehungswissenschaft zu erkennen.
- Bildung als Vorbeugung gegen den Terror
Der weltweite Terror geht gegenwärtig vor allem von islamistischen Gruppen, wie
IS, Al Kaida, Boko Haram, Shabaab-Miliz aus. Eine wichtige Gegenmaßnahe gegen die Rekrutierung junger Menschen in Terrorgruppen sowohl in mehrheitlich islamischen als auch in westlichen Gesellschaften ist eine gegen den Terror gerichtete Profilierung der islamischen Theologie und des darauf basierenden Religionsunterrichts. Ägypten plante 2015 etwa die Einführung eines Universitätsfaches, das darlegt, wie die Terroristen den Koran und die islamische Überlieferung falsch interpretieren. Schüler/innen sollen mittels überarbeiteter Lehrpläne verstehen, dass terroristische Bewegungen nichts mit dem Islam zu tun haben. In Jordanien wird der Religionsunterricht in Schulen und Moscheen reformiert, es werden neu Schulbücher verfasst, die –nach den Worten des Bildungsministers- aufweisen, wie man ein moderater Moslem sein kann, wie man andere respektieren oder wie man in einer Umgebung leben kann, die verschiedene Nationalitäten und ethnische Gruppen umfasst. Jordanien ist ein Land, in dem nicht nur der Gebetsruf vom Minarett ertönt, sondern in dem auch Kirchenglocken zum christlichen Gottesdienst einladen dürfen.
Im Lehrplan für den islamischen Religionsunterricht an Grundschulen in Baden-Württemberg wird der Dschihad-Begriff vom mörderischen Kämpfertum getrennt: „(Schüler/innen) wissen, dass Dschihad das umfassende Bemühen um eine Änderung zum Guten ist: (es) setzt beim Individuum an, dass ich ein guter Mensch werde, mein Ego im Zaum halte, mich für andere einsetze, für Freiheit, Gerechtigkeit, gegen soziale Missstände in der Gesellschaft, für Gottes Wohlgefallen“.
- Berufsbildung für den informellen Sektor
Beim Menschenrecht auf Bildung wird oft übersehen, dass der Zugang zu beruflicher Bildung mit eingeschlossen ist. Freilich erreichen weder vollzeitschulisch ausgerichtete Berufsbildungsinstitutionen noch eine schematische Übertragung des dualen Systems (wie es in Deutschland erfolgreich ist) die Mehrheit der Arbeitenden in den Ländern des globalen Südens. Dort ist der informelle Wirtschaftssektor nach der Landwirtschaft immer noch der Bereich, der die meisten Arbeitsplätze bietet und der nicht nur für die Mehrheit der Menschen erreichbare Güter und Dienstleistungen hervorbringt sondern der auch die größte Berufsbildungsbildungsinstitution ist. Für die Förderung der beruflichen Qualifizierung unter den Bedingungen der informellen Wirtschaft hat die in der GIZ zusammengefasste deutsche Entwicklungszusammenarbeit einen „Werkzeugkasten“ Erfolg versprechender, teilweise auch schon bewährter Maßnahmen zusammengestellt:
-Anerkennung informell erworbener Kompetenzen
-Arbeitsvermittlung
-Beschäftigungsorientierte Aus- und Fortbildung
-Berufliche Bildung für Existenzgründung
-Community-based Training
-Finanzierungsansätze
-Green Skills für informell Beschäftigte (Befähigung zu umwelt- und ressourcenschonender Produktion)
-Institutionen der informellen Wirtschaft
-Learning Networks
-Mobile Berufsbildung
-Öffnung von Berufsbildungszentren
-Verbesserte traditionelle Lehrlingsausbildung
-Vermittlung von life skills.
Die Schwerpunkte zeigen: Die Weltgesellschaft ist von einer Ausfüllung der Normen des Menschenrechtes auf Bildung trotz –im historischen Vergleich- unbestreitbarer Fortschritte noch weit entfernt.
[1] Thea Herde, Valentin Stöltzel, Stefan Wick, Robert Kayser, Nicolas Bott, Julia Greiner, Sofia-Elisavet Tsiampali und Frederik Eckerle