Marlis Tepe
Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW
Bildung ist ein Menschenrecht. Dies kann angesichts zunehmender Tendenzen zur Kommerzialisierung und Privatisierung von Bildung, aber auch hunderttausender Flüchtlingskinder ohne Möglichkeit zur Schulbildung nicht oft genug betont werden.
Einsatz für gute öffentliche Bildung weltweit
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vertritt 280.000 Beschäftigte an Schulen und Universitäten, in Einrichtungen der frühkindlichen Bildung, der beruflichen Bildung und Weiterbildung, der Forschung und Erwachsenenbildung und setzt sich für gute Arbeitsbedingungen und gute öffentliche Bildung in Deutschland und weltweit ein. Dies tut die GEW nicht allein, sondern gemeinsam mit den Gewerkschaften der Bildungsinternationale (Education International). Die Bildungsinternationale ist der größte gewerkschaftliche Weltdachverband. In ihr sind 400 Gewerkschaften aus 170 Ländern organisiert. Sie vertreten die Interessen von mehr als 30 Millionen Pädagoginnen und Pädagogen.
Das Menschenrecht auf Bildung ist in Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10.12.1948 festgelegt:
- Jeder hat das Recht auf Bildung. Diese soll kostenlos sein, zumindest der Grundschulunterricht, für den Schulpflicht bestehen soll. Fach- und Berufsschulen sollen frei zugänglich sein, und die höheren Bildungseinrichtungen haben allen gleichermaßen nach ihren Leistungen offen zu stehen.
- Die Bildung soll auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ausgerichtet sein und die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten stärken. Sie soll Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Völkern, ‘rassischen‘ und religiösen Gruppen fördern und die Arbeit der Vereinten Nationen zur Wahrung des Friedens unterstützen.
- Eltern haben ein Vorrecht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteil werden soll.
Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer der Vereinten Nationen(UN) hatten sich im Jahr 2000 beim ersten Weltbildungsgipfel in Dakar im Aktionsplan „Education for All“ und in der UN-Vollversammlung in New York mit der Verabschiedung der Millenniumentwicklungsziele zur Verwirklichung des Rechts auf Bildung verpflichtet und allen Kindern bis zum Jahr 2015 Zugang zu Grundbildung versprochen. Dieses Versprechen wurde leider nicht eingehalten. Der UNESCO-Weltbildungsbericht in diesem Jahr legt dar, dass zwar viele Verbesserungen erreicht worden sind, aber immer noch ca. 58 Millionen Kinder keine Grundschule besuchen. Nun soll ein weiterer Anlauf genommen werden, um in den kommenden 15 Jahren „Bildung für alle“ endlich Wirklichkeit werden zu lassen. Im September 2015 haben die Staats- und Regierungschefs in der UN-Vollversammlung in New York siebzehn neue Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDG) beschlossen.
Neue globale Ziele für nachhaltige Entwicklung
Die GEW hat gemeinsam mit der Bildungsinternationale in den vergangenen zwei Jahren einige Kraft darauf verwendet, dass in diese globale Post-2015-Agenda erneut ein eigenes Bildungsziel aufgenommen wird. Das ist uns gelungen. Bildungsziel 4 der SDG fordert: „Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern.“ In zehn Unterzielen zum Bildungsziel wird erstmals erweitert und definiert, dass Grund- und Sekundarschulbildung erfolgreich abgeschlossen werden und der Zugang zu frühkindlicher Bildung sichergestellt werden soll. Ebenso soll erreicht werden, dass alle Jugendlichen lesen, schreiben und rechnen lernen. Für unsere gewerkschaftlichen Anliegen ist besonders das Unterziel 4.7 von Bedeutung. Darin wird gefordert, „dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung.“
Die GEW steht hinter diesen Zielen. Die neue UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bildet eine gute Grundlage, um in den kommenden Jahren wirklich substanzielle Fortschritte zu erreichen, auch wenn wir wissen, dass Papier geduldig ist. Es muss weiterhin Druck erzeugt werden, damit die Politik ihre Versprechen einhält und die nötigen finanziellen Mittel bereit stellt, damit das Menschenrecht auf Bildung für alle umgesetzt werden kann. Von der Bundesregierung fordern wir, 0,7 Prozent des BIP in Entwicklungszusammenarbeit zu investieren und die Mittel für Grundbildung in der Entwicklungszusammenarbeit erheblich aufzustocken. Dafür setzen wir uns ein in der Globalen Bildungskampagne, einem Bündnis von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, das jährlich mit weltweiten Aktionen für gute Bildung an die Öffentlichkeit tritt.
Bildung statt Kinderarbeit
Ein besonderes Anliegen ist uns die Abschaffung von Kinderarbeit. Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gehen weltweit von 168 Millionen arbeitenden Kindern aus, davon allein 120 Millionen im Alter zwischen 5 und 14 Jahren. Die Mehrheit dieser Minderjährigen arbeitet in der Landwirtschaft und in Haushalten, aber auch im Handel, in der Industrie und im Bergbau müssen Kinder schuften. Die Ausbeutung von Kindern durch Arbeit ist ein Verbrechen, weil sie ihre Entwicklung schädigt und ihnen die Chancen auf ein besseres Leben nimmt. Kinder, die arbeiten müssen, können meist nicht zur Schule gehen. Ohne Bildung bleiben sie jedoch im Teufelskreis der Armut gefangen. Unter dem Motto „Bildung statt Kinderarbeit“ versucht die GEW daher durch Bewusstseinsbildung in Deutschland Sensibilität zu schaffen, damit die Menschen keine Produkte mehr kaufen, die mit Kinderarbeit entstanden sind, und diese stattdessen ächten. Kinderarbeit wird damit auch Gegenstand im Unterricht, etwa durch Wettbewerbe für kinderarbeitsfreie Zonen. Mit unserer GEW-Stiftung „Fair Childhood“ unterstützen wir gewerkschaftliche und andere Partner in Albanien, Burkina Faso und Indien, die sich gegen Kinderarbeit und für gute schulische Bildung engagieren.
Handlungsbedarf im deutschen Schulwesen
Auch im deutschen Schulwesen sieht die GEW weiter viel Handlungsbedarf, vor allem weil Schule noch längst nicht inklusiv ist. Die regelmäßigen PISA-Studien der OECD bestätigen unsere Wahrnehmung aus dem Schulalltag, dass der soziale Hintergrund der Kinder, ein Leben in Armutsverhältnissen, Migration und Behinderung die Bildungschancen erheblich einschränken können. Der aktuelle Nationale Bildungsbericht der deutschen Bundesregierung und der Bericht der Antidiskriminierungsstelle heben hervor, dass Menschen mit Migrationshintergrund zwar heute eine verbesserte Bildungsbeteiligung gegenüber früheren Berichtszeiträumen erreichen, der Zugang zu Bildung, Ausbildung und Beruf aber immer noch hinter Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund zurücksteht. Mehrdimensionale Diskriminierungen verstärken die Schwierigkeit, das deutsche Bildungssystem erfolgreich zu durchlaufen. Wir wollen als Bildungsgewerkschaft daran arbeiten, dass sich das ändert.
Bildung auch für Flüchtlingskinder
Durch Kriege, bewaffnete Auseinandersetzungen und Gewalt sind viele Menschen auf der Flucht. Auch die ungleiche Verteilung von Reichtum und Macht, Hungerkatastrophen oder Folgen des Klimawandels sind Ursachen dafür, dass viele Menschen das Recht auf Bildung nicht in Anspruch nehmen können. Die aktuelle Zuwanderung einer sehr großen Zahl von Flüchtlingen aber auch von Arbeitsmigrant*innen aus der Europäischen Union(EU) nach Deutschland stellt uns als Gewerkschaft und unsere Mitglieder in Schulen, Kitas und anderen Bildungseinrichtungen vor neue Herausforderungen. Mit Hilfe einer Studie „Es darf nicht an Papieren scheitern“ haben wir untersuchen lassen, ob tatsächlich alle Kinder in unserem Land – auch solche ohne legalen Aufenthaltsstatus – entsprechend des Menschenrechts auf Bildung Zugang zu Bildung erhalten. Das ist leider bisher noch nicht der Fall. Damit sich dies ändert, bedarf es eines Maßnahmenpakets, um die Rechtsvorschriften bekannt zu machen und umzusetzen. Unter der Forderung „Bildung kann nicht warten“ hat die GEW jüngst eigene Vorschläge und Handlungsempfehlungen an die Politik vorgestellt, damit das Recht auf Bildung für alle auch in Deutschland verwirklicht werden kann.