Dr. Yeşim Kasap Çetingök
Universität Innsbruck – Österreich
Für Taylor (1997) stellt eine Politik der Anerkennung eine elementare Voraussetzung moderner Demokratie dar. Gesellschaftliche Pluralität ist nach Taylor nur aufrechtzuerhalten, indem traditionale (Minderheits-)Kulturen mit ihren spezifischen Werten und Normen juristisch vor einer expansiven Leit- bzw. Mehrheitskultur geschützt werden. In der fachlichen Diskussion werden zweierlei Konsequenzen seiner Konzeption des Politischen thematisiert: Zum einen werden in dem Konzept Subjekte als Abbilder ihrer Herkunftskultur, ohne individuellen Willen behandelt (vgl. Benhabib 1999). Zum anderen schafft die Konzeption eine Polarisierung von Individual- und Kollektivrechten, die Habermas (1997) als unzureichendes Rechtsverständnis kritisiert. Benhabib wirft Taylor vor, dass er sich lediglich am Konflikt kollektiver Identitäten orientiert. Es existiere weder ein Automatismus, nach dem das subjektive Verlangen nach Authentizität die Form der Suche nach kollektiver Selbstverwirklichung annehmen müsste, noch gebe es eine zwangsläufige Übereinstimmung von individuellen und kollektiven Ansprüchen. (Vgl. Benhabib 1999, S. 46) Das Grundproblem sieht Habermas in Taylors kommunitaristischem Demokratieverständnis, nach welchem subjektive Freiheit auf die Zugehörigkeit zu einer Wertegemeinschaft, d. h. Identitätskollektive, zurückgeführt und an sie gebunden wird (vgl. Habermas 1997, S. 151). Das Gegenstück dazu bilde die liberale Demokratieauffassung, die die subjektive Freiheit als integratives Moment der politischen Verfassung betrachtet und anstelle kollektiv geteilter Werte die vorpolitischen, d. h. moralisch begründeten Menschenrechte bestimmt. Nach Laclau und Mouffe (2001) setzen sich auch mit den Bedingungen und Prozessen demokratischer Politik in den Gesellschaften der westlichen Moderne auseinander. Gesellschaft wird in ihrem Konzept nicht als eine über eine positive Eigenschaft oder ein einheitliches Prinzip zu beschreibende Einheit angenommen, wovon Taylor in seinem Modell und auch Habermas an seiner Kritik an Taylor ausgehen. Es wird die Gesellschaft als Produkt einer Reihe von Praktiken gedacht, die darauf abzielen, in einem Umfeld der Kontingenz eine Ordnung zu schaffen. Dieser Sichtweise zufolge ist jede Ordnung eine temporäre und gefährdete Artikulation kontingenter Praktiken. Die Dinge können aber auch anders liegen und jede Ordnung basiert auf dem Ausschluss anderer Möglichkeiten (Mouffe 2014). Mit dem Konzept der Artikulation weichen Laclau und Mouffe von der Vorstellung dialektisch vermittelter Ordnungsbildungen ab. Sie bezeichnen „als Artikulation jede Praxis, die eine Beziehung zwischen den Elementen so etabliert, dass ihre Identität als Resultat einer artikularistischen Praxis modifiziert wird.“ (ebd., S. 141). Die aus der artikulatorischen Praxis hervorgehende strukturierte Totalität nennen sie Diskurs. Das Spiel der Bedeutungen bleibt dementsprechend unverfügbar, insofern also weder von einem Diskurs ausgegangen werden kann, der dieses Spiel kontrolliert, noch von einem Subjekt, das dieses Spiel/diese Kontrolle zu unterlaufen vermag. Mit dieser Annahme, dass jede soziale Ordnung sowie auch die Politik nur auf der Durchsetzung von bestimmten artikulatorischen Praktiken gegenüber anderen beruhen kann und ihr hegemoniale Macht inhärent ist (Laclau und Mouffe 2001, S. 142), verliert die Sphäre der Politik ihren normativen Anspruch, alle partikularen Werte in sich vereinen zu wollen. Es geht um die Partizipation an den Prozessen kontinuierlicher Re-Artikulation von sozialer Ordnung. Die Konzeption des Pluralismus von Laclau und Mouffe (2001), unterbricht in diesem Sinne das erwähnte normative Verständnis der gesellschaftlichen Ordnung. Nach Laclau und Mouffe kann Gesellschaft nicht als eine über eine positive Eigenschaft oder ein einheitliches Prinzip zu beschreibende Einheit verstanden werden. Das Soziale zeichne sich nach Laclau und Mouffe ausschließlich durch eine “negative essence” (Laclau und Mouffe 2001, 96) aus, die die Autoren mit dem Begriff der konstitutiven Offenheit kennzeichnen (vgl. ebd.). Die zentrale Bedeutung der Laclau-Mouffe‘schen Rede von einer ‚konstitutiven Offenheit‘ des Sozialen besteht darin, dass keine soziale Ordnung und keine soziale Identität notwendigerweise existieren, sondern dass jede Ordnung und jede Identität einen grundsätzlich prekären Status haben (vgl. ebd.). Und die Ursache für diese prinzipielle Unsicherheit ist die eben benannte Offenheit des Sozialen. Laclau und Mouffe unterscheiden somit einerseits zwischen den Identitäten, Ordnungen und Normen, die dem Sozialen (zu einem bestimmen Zeitpunkt an einem bestimmten Ort) eine Form geben, und andererseits ‚dem Sozialen‘ als Dimension der Seins-Bedingung aller sozialen Phänomene. Sie verstehen das Soziale als ein nicht determiniertes diskursives Feld, in dem Elemente prinzipiell frei flottieren, ohne zwangsläufig in einer bestimmten Relation zueinander zu stehen. Die zentrale Idee ist, dass jede soziale Entität ihre Identität nur in der Abgrenzung von Differenzen erhält. „Jede Identität ist relational und jede Identität erfordert zwangsläufig die Bestätigung einer Differenz, d. h. die Wahrnehmung von etwas ‚anderem‘, das sein Außerhalb konstituiert.“ (Mouffe 2007, S. 23) Die in der Identitätskonstitution und den Beziehungen zwischen den durch Abgrenzung voneinander gebildeten Identitäten werden durch das Artikulationskonzept näher qualifiziert. Eine artikulatorische Praxis bringt Laclau und Mouffe zufolge also Momente eines Diskurses hervor, indem sie „Beziehungen zwischen Elementen“ (ebd.) herstellt und auf diese Weise, also im Zuge des In-Beziehung-Setzens, den Elementen Identitäten verleiht (vgl. ebd.). Da es keine prä-artikulatorische Essenz des Sozialen (auch nicht seiner einzelnen Teile) oder ein prä-artikulatorisches, das Soziale ordnende Prinzip gibt – vor der Artikulation lässt sich lediglich von verstreuten Elementen, nicht aber von Identitäten oder sozialen Beziehungen sprechen –, ist es die Relation zu anderen Momenten des Diskurses, welche die Elemente überhaupt erst zu Identitäten werden lässt. Aus der Beschreibung dieser von Laclau und Mouffe dargelegten grundlegenden Logik des Sozialen folgen bedeutsame Konsequenzen, nämlich erstens die Kontingenz jeder Identität sowie jedes im Zuge der artikulatorischen Praktiken konstituierten Diskurses, und zweitens die permanente Möglichkeit von Antagonismen innerhalb des diskursiven Feldes. Die Kontingenz des Sozialen folgt für Laclau und Mouffe aus der Nicht-Schließbarkeit des Diskurses, die sich wiederum aus dem Prinzip jener für die Seins-Konstitution notwendigen Differenz-Relativität ergibt. So wie jedes Element die Differenz benötigt, um zu einem diskursiven Moment zu werden, kann es auch keinen Diskurs, keine „diskursive Totalität“ (Laclau und Mouffe 2001, S. 110) geben, die als eine bestimmte Konstellation von in Momenten manifestierten Elementen aus sich heraus eine „gegebene und geschlossene Positivität“ (ebd.) darstellt. Mit dem Begriff des Antagonismus beziehen sich Laclau und Mouffe ausdrücklich nicht auf eine „Realopposition“ (Laclau und Mouffe 2001, S. 125) oder auf einen logischen „Widerspruch“ (ebd.), sondern bezeichnen ein an die Differenz-Relativität von Identitäten gekoppeltes konfliktives Verhältnis. Ein Antagonismus zeichne sich im Gegensatz zu Realoppositionen und Widersprüchen dadurch aus, dass es eben nicht die beteiligten Positionen ‚an sich‘ sind, die aneinandergeraten oder sich als inkompatibel erweisen; eine solche Definition erforderte schließlich die Annahme von positiven Identitäten, die Laclau und Mouffe explizit ablehnen. Aus dieser Sichtweise kann die Aufforderung der Anerkennung der partikularen Kulturen bzw. Werte als Segregationsbemühungen der westlichen Moderne verstanden werden, die zwar dadurch den Anspruch der Repräsentation des Universalismus beansprucht, sie aber im Grunde nichts anderes ist als ein zu einem bestimmten Zeitpunkt dominant gewordenes Partikulares. Durch die Akzentuierung der kontingenten Sinngebungs- oder Repräsentationsprozesse durch Laclau und Mouffe ist es möglich, den sozialen Raum zu teilen, umfassend präsente Instanzen oder Totalitäten zu untergraben und die Widerständigkeiten und machtvollen Ordnungsstrategien in ihrer Materialität, Irrationalität, Unbestimmtheit zu hinterfragen. So könnte sich z.B. eine Frage darauf beziehen, wie Differenzen von Minder- und Mehrheitskulturen in sozialwissenschaftlichen und politischen Diskursen antagonistisch zueinander und zu den hegemonialen Artikulationen konstruiert werden.
Literatur
Benhabib, S. 1999. Kulturelle Vielfalt und demokratische Gleichheit. Frankfurt am Main: Fischer.
Habermas, J. 1997. Die Einbeziehung des Anderen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Laclau, E./Mouffe, C. 2001 [1984]. Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics. Zweite Aufl. London/New York: Verso.
Mouffe, C. 2014. Agonistik. Die Welt politisch denken. Berlin: Suhrkamp
Taylor, C. 2009. Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Taylor, C. 1997. Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.