Seit mehr als zehn Jahren werden in Hamburg Lehrerinnen und Lehrer für den Türkischunterricht an deutschen Schulen ausgebildet; jetzt soll diese Studienmöglichkeit abgeschafft werden. Das Präsidium der Universität Hamburg hat beschlossen, die an der Ausbildung beteiligten Fakultäten zu bitten, die erforderlichen Schritte zur Einstellung des Unterrichtsfachs Türkisch einzuleiten. Der erste Schritt wurde bereits getan: Zum WiSe 2014-15 können sich Interessierte nicht mehr für das Fach Türkisch bewerben; es gibt keine Studienplätze.
Ausgerechnet im deutsch-türkischen Wissenschaftsjahr 2014, feierlich eröffnet von der Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, soll ein Studiengang abgeschafft werden, der die Voraussetzungen für den gewünschten Wissenschafts- und Innovationsaustausch erst schafft. Ohne sehr gut qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer können in den deutschen Schulen die Jugendlichen ihre türkisch-deutsche Zweisprachigkeit nicht so ausbauen, dass sie auf akademischem Niveau lesen und schreiben können. Für Handelsbeziehungen, für die Tourismusbranche und das Rechtssystem sind andere Türkisch-Deutschkenntnisse nötig als die, die zuhause am Küchentisch mündlich erworben werden können. Türkisch im Abitur wird u.a. in München, in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg abgelegt. Dafür braucht man Lehrkräfte, die die türkische Literatur kennen und studiert haben, die linguistische Kenntnisse besitzen und sich mit Spracherwerbsprozessen von Kindern, die hier aufwachsen, auseinander gesetzt haben. Sie müssen sich mit schwierigen didaktischen Fragen befasst haben: Wie unterrichtet man Türkisch mit Kindern, die auf sehr verschiedenen Stufen Türkisch sprechen, deren Eltern keine Bildung in der türkischen Sprache genossen haben, aber sehr wohl darauf Wert legen, dass ihre Kinder ihre Familiensprache nicht nur sprechen und verstehen, sondern auch lesen, schreiben und hoch entwickeln können?
Der einzige andere Studienort, an dem Türkisch als Fach für die Lehrerausbildung studiert werden kann, ist die Universität Duisburg-Essen. Sie versorgt das Ruhr- und Rheingebiet. Für den Norden erfüllt bisher Hamburg diese Aufgabe. Im Süden, in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern, herrscht Ödnis. Auch Berlin bildet nicht aus, sondern behilft sich mit Lehrkräften, die in der Türkei (meist für das Unterrichtsfach Deutsch) ausgebildet wurden.
Die Hamburgische Situation stellt sich folgendermaßen dar. Es können vier Lehrämter studiert werden: das Lehramt der Primarstufe und Sekundarstufe I (LAPS), das Lehramt an Gymnasien (LA Gym), das Lehramt an Beruflichen Schulen (LAB) und das Lehramt an Sonderschulen (LAS). Für alle gibt es ein B.A.-Studium von 6 Semestern (Bachelor of Arts) und ein Masterstudium (Master of Education) von 4 Semestern. Es werden zwei Unterrichtsfächer studiert, dabei sind fast alle Kombinationen möglich. Angehende Sonderschullehrer studieren nur ein Unterrichtsfach in Kombination mit einer sonderpädagogischen Fachrichtung. Das Hamburgische Studienangebot bietet eine Besonderheit insofern die Didaktiken der Unterrichtsfächer nicht in den Fächern selbst, sondern in der Erziehungswissenschaft angeboten werden. Dies stärkt die pädagogische Sicht und auch den Praxisbezug des Studiums, weil die Studierenden während ihrer drei langen Praktika in der Schule von den Lehrenden der Didaktik (z.B. des Türkischen) begleitet werden. Es schließt sich das Referendariat von 18 Monaten an – auch hier gibt es Seminargruppen für Türkisch. Allerdings sind die Plätze rar; viele Absolventinnen und Absolventen warten auf einen Platz.
Wo steckt nun das Problem, warum soll Türkisch im Lehramt abgeschafft werden?
Erstens ist die Zulassung für ein Lehramtsstudium in Hamburg schwierig. Das Verhältnis zwischen der Zahl der Bewerbungen und der der Studienplätze ist extrem schlecht; etwa 80 Prozent aller Bewerber für ein Lehramtsstudium werden abgelehnt. Der Numerus Clausus betrug im WiSe 13-14 entsprechend in der Erziehungswissenschaft 1,9, in Türkisch 2,9 und in Deutsch 1,6. Wer also Lehrerin für Deutsch und Türkisch werden wollte, musste eine Abiturdurchschnittsnote von 1,6 haben.
Zweitens ist der Anteil der Abiturienten mit türkischem Migrationshintergrund in Hamburg – wie anderswo auch – niedrig. Und diese wollen nicht unbedingt Lehrerinnen oder Lehrer werden. Es gibt hier zwar das Programm „Mehr Migranten werden Lehrer“, doch gibt es für die wenigen, die das Abitur schaffen, offenbar attraktivere Studienfächer als das Lehramt. Und wer das Abitur hat, hat nur in den seltensten Fällen auch in der gymnasialen Oberstufe Türkisch gehabt. Die Chancen für die Universität, Studierende mit guten Voraussetzungen zu finden und zulassen zu können, sind also minimal. Immerhin sind aber 128 junge Menschen immatrikuliert: 74 davon im B.A. und 32 im M.Ed. für die Primar- und Sekundarstufe.
Drittens beißt sich an dieser Stelle „die Katze in den Schwanz“: Der Bedarf an Studienplätzen ist gering, weil der Bedarf an Lehrerinnen und Lehren für Türkisch gering ist. Der wiederum geht auf mangelnde Nachfrage durch Eltern und Schülerinnen und Schüler zurück, die gar kein oder kein qualitativ hochwertiges Angebot in den Schulen bekommen. So gibt es nicht viele Abiturienten mit Türkisch und entsprechend nur wenige Bewerber auf Studienplätze usw. usw. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen.
Viertens besteht ein erheblicher Forschungsbedarf. Dies gilt sowohl für die Didaktik des Türkischen als auch für Türkisch selbst. Etabliert ist in Deutschland die Turkologie, meist in Verbindung mit Orientalistik. Sie wird an fünf Hochschulorten gelehrt, darunter in Hamburg. Literaturwissenschaft und Linguistik des Türkischen, wie sie als Basis für die Ausbildung von Lehrkräften gebraucht werden, sind hingegen sehr selten. Erstere gab es in Hamburg; die entsprechende Stelle, eine Juniorprofessur, ist derzeit vakant. Sprachwissenschaft wird nur durch Lehraufträge vertreten. Hier brauchte die Universität dringend eine Professur, für die aber kein Geld da ist. So liegt die Forschung brach und die Einheit von Forschung und Lehre ist nicht gewährleistet.
Fünftens ist auch das Lehrangebot verbesserungbedürftig. In der Fakultät für Erziehungswissenschaft gibt es seit einigen Jahren eine „Lehrkraft für besondere Aufgaben“. Sie bietet Veranstaltungen zur „Didaktik der Herkunftssprachen“ an, zunächst unabhängig von der Frage, um welche konkreten Sprachen es sich handelt. Durch Lehrerinnen und Lehrer, die als akademische Tutorinnen bzw. Tutoren eingesetzt werden, wird der Bezug zu Türkisch (bzw. Russisch) hergestellt. Dieses Modell funktioniert, hat aber den Nachteil, dass so ebenfalls die Forschung vernachlässigt wird.
Diese Probleme sind alle lösbar und es lohnte sich, in das Fach „Türkisch im Lehramt“ zu investieren. Dazu brauchte es den Willen aller Verantwortlichen: der Fakultäts- und der Universitätsspitze, der Behörde für Wissenschaft und Forschung, letztlich des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg. Denn es geht nicht nur ums Geld!
Allem voran steht die integrationspolitische Botschaft: Deutschland akzeptiert die Sprachen seiner Bevölkerung. Darauf ist Verlass!
Wir bilden Lehrerinnen und Lehrer und Lehrer für Türkisch aus, denn
- Türkisch ist eine wichtige Sprache in Deutschland.
- Türkisch stellt eine Ressource dar, die der wirtschaftlichen Kraft des Landes dient.
- Türkisch ist für die Kommunikation in den Familien notwendig.
- Türkisch ist Teil der Zweisprachigkeit unserer Kinder.
- Türkisch ist eine Bildungssprache.
- Türkisch ist schön!